Scholz’ Mindestlohn-Vorstoß: Überflüssige Mindestlohn-Kommission

Die 14-Euro-Forderung des Kanzlers ist wohlfeil. Das Problem ist das Konstrukt der eigentlich beschließenden Kommission – es gäbe Alternativen.

Christiane Schönefeld steht neben Steffen Kampeter und Stefan Körzell

Eine Kommission mit Konstruktionsfehler schlägt im vergangenen Jahr die Erhöhung des Mindestlohns um 41 Cent vor Foto: Michael Kappeler

Die Aufregung ist mal wieder groß: Olaf Scholz hat sich doch tatsächlich dafür ausgesprochen, den Mindestlohn zunächst auf 14 Euro und dann auf 15 Euro zu erhöhen. Schade nur, dass der Bundeskanzler diese gute Idee mit seiner Rumpelkoalition weder umsetzen kann noch will. Es geht ihm wohl eher darum, seine schlechten Zustimmungswerte etwas zu verbessern. Trotzdem ist der Aufschrei der üblichen Verdächtigen laut. Aber wenn jetzt Union und FDP im Gleichklang mit den Ar­beit­ge­be­r:in­nen­ver­bän­den mal wieder zetern, die Lohnfindung sei ausschließlich eine Sache der Sozialpartner, in die sich die Politik nicht einmischen dürfe, dann ist das in gleich in mehrfacher Hinsicht unehrlich.

Erstens verschweigen sie, warum die Große Koalition 2015 überhaupt einen flächendeckend geltenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat. Das beruhte auf der Erkenntnis, dass das deutsche Sozialpartnerschaftsmodell ausgerechnet im untersten Lohnbereich nicht mehr funktioniert. Das liegt vor allem in der Schwäche der Gewerkschaften hierzulande begründet. Denn in Ländern mit starken Gewerkschaften braucht es keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn.

Deswegen gibt es ihn beispielsweise nicht in den nordischen Ländern, wo an die 90 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten. In Deutschland gilt das inzwischen nur noch für rund 50 Prozent der Beschäftigten. Wo jedoch die Kraft der Ar­beit­neh­me­r:in­nen nicht reicht, bleibt nichts anderes mehr, als dass der Gesetzgeber die Ar­beit­ge­be­r:in­nen dazu zwingt, keine ­Armutslöhne mehr zu zahlen.

Rein politische Entscheidung

Zweitens beruhte die Höhe des Mindestlohns schon bei seiner Einführung auf einer rein politischen Entscheidung – und zwar auf Kosten der betroffenen Beschäftigten. Die damals beschlossenen 8,50 Euro waren eine willkürliche Festlegung ohne schlüssige Begründung – außer der, dass damit die Ar­beit­ge­be­r:in­nen nicht allzu sehr verärgert wurden. Dabei erfüllte diese Einstiegshöhe ein wichtiges Kriterium nicht: Sie war nicht ausreichend, um eine Rente erreichen zu können, die über der Grundsicherung im Alter liegt. Der von der Ampelkoalition nach der Bundestagswahl 2021 beschlossene Sprung auf 12 Euro war das Eingeständnis, dass der Ausgangspunkt zu niedrig festgelegt worden war.

Drittens hatte die sogenannte Mindestlohnkommission von Anfang an einen schweren Konstruktionsfehler. Die paritätische Besetzung mit jeweils drei Ver­tre­te­r:in­nen der Gewerkschaften und der Ar­beit­ge­be­r:in­nen klingt zwar sozialpartnerschaftlich, ist es aber de facto nicht. Denn anders als in Tarifauseinandersetzungen fehlt der Gewerkschaftsseite jegliches Druckmittel, während die Ar­beit­ge­be­r:in­nen­sei­te über eine Blockademacht verfügt.

Das hat dazu geführt, dass die Ge­werk­schafts­ver­tre­te­r:in­nen in der Vergangenheit minimalen Erhöhungen zugestimmt haben, damit es überhaupt eine Verbesserung des Mindestlohns gibt. Als im vergangenen Jahr schließlich ihr Bauchgrimmen zu groß wurde, wurden sie einfach von den Ar­beit­ge­be­r:in­nen mit Hilfe der formal unabhängigen Kommissionspräsidentin überstimmt. Das Ergebnis war eine empörend niedrige Erhöhung um jeweils 41 Cent in diesem und im kommenden Jahr. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hätte diesen skandalösen Kommissionsvorschlag nie und nimmer akzeptieren dürfen.

Grundproblem bleibt

Genau das hat der Sozialdemokrat Heil jedoch getan. Deswegen hat es auch ­etwas Wohlfeiles, wenn sich Scholz jetzt den Forderungen von Gewerkschaften, Linkspartei, Grünen und aus den eigenen Reihen nach einer deutlich stärkeren Anhebung anschließt. Das macht es noch nicht falsch. An das Grundproblem wagt er sich allerdings nicht. „Wenn Politik und Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum Mindestlohn in der Presse führen, dann kann man die Mindestlohnkommission auch gleich auflösen“, hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gesagt. Da hat er ausnahmsweise recht: Die Mindestlohnkommission sollte aufgelöst werden.

Stattdessen würden sich zwei Alternativen anbieten. Eine Möglichkeit wäre, einfach den gleichen Berechnungsmechanismus anzuwenden wie bei der Erhöhung der Abgeordnetendiäten. Deren Grundlage ist die durchschnittliche Lohnentwicklung, was den Abgeordneten in diesem Jahr 6 Prozent mehr bescheren wird. Warum sollte das nicht auch für Ma­lo­che­r:in­nen mit Mindestlohn gelten?

Eine andere Möglichkeit bestünde in der Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie. Demnach gelten Mindestlöhne als angemessen, wenn sie mindestens 60 Prozent des mittleren gesamtwirtschaftlichen Lohns von Vollzeitbeschäftigten entsprechen. Das wärens übrigens aktuell knapp über 14 Euro, im kommenden Jahr um die 15 Euro. Also ganz, wie es Scholz fordert, nur leider nicht umsetzt.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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