DFB-Kader für Europameisterschaft: Zartes deutsches Gebilde

Trainer Julian Nagelsmann gibt den Kader für die Fußball-EM im eigenen Land bekannt. Überraschend ist nach der PR-Kampagne nur eine Entscheidung.

Julian Nagelsmann ballt die Fäuste

Geballte Überzeugung: Nagelsmann glaubt an seine Spieler Foto: Federico Gambar/dpa

Eine wirkliche Überraschung hatte Julian Nagelsmann am Donnerstag nicht mehr zu verkünden. Der größte Aufreger bei der engültigen Bekanntgabe des deutschen Kaders für die kommende Heim-EM war wohl die Nachricht, dass vier Torhüter dabei sein werden. Neben Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen werden auch Alexander Nübel sowie Oliver Baumann nach den Bällen hechten. Nagelsmann begründete dies mit der so möglichen besseren Belastungssteuerung im Training.

Häppchenweise war in den vergangenen Tagen ein Großteil der Nominierten im Auftrag des DFB über Influencer aus dem ­Altenheim, Bäcker, Rapper, Quizmaster oder andere Kanäle verkündet worden. „Eine ­geniale Idee“, lobte Nagelsmann die PR-Abteilung des Verbandes, die zur schrittweisen Identifizierung mit dem Team beitrug, wie er befand.

Wie zu erwarten, ersparte ihm das aber nicht die Fragen nach zwei Spielern, die in der weiteren Vergangenheit Größen im Nationalteam waren und sich in der jüngsten Vergangenheit zudem in prächtiger Form präsentierten. Innenverteidiger Mats Hummels reüssierte mit Borussia Dortmund insbesondere in der Champions League, Leon Goretzka investierte in den letzten Wochen unermüdlich viel in das Spiel des FC Bayern.

Schwere, aber „keine bösen Gespräche“ seien das mit den beiden und anderen Nichtberücksichtigten gewesen, erklärte Nagelsmann. Wobei seine genaueste Zeitangabe vom längsten Absagetelefonat (22:30 Minuten) schon als ein Hinweis auf den quälenden Charakter des Austauschs gedeutet werden kann. Gut möglich, dass hiermit die Unterhaltung mit Leon Goretzka, seinem ehemaligen Spieler beim FC Bayern, gemeint war, das Nagelsmann als „emotional“ bezeichnete. Stattdessen bekam dessen Vereinskollege, der unerfahrene Aleksandar Pavlovic, den Vorzug.

Torhüter:

Manuel Neuer, ­Marc-André ter Stegen, Oliver Baumann, ­Alexander Nübel

Abwehr:

Nico Schlotterbeck, ­Jonathan Tah, Robin Koch, Maximilian Mittelstädt, Joshua Kimmich, ­Antonio ­Rüdiger, David Raum, Waldemar Anton, ­Benjamin Henrichs

Mittelfeld und Sturm:

Chris Führich, Niclas Füllkrug, Aleksandar Pavlovic, Kai Havertz, Leroy Sané, Deniz Undav, Robert Andrich, Thomas Müller, Pascal Groß, Maximilian Beier, ­Ilkay ­Gündogan, Florian Wirtz, Toni Kroos, Jamal Musiala

Erweckungserlebnis im März

Was ihn zur Absage bewog, wollte Nagelsmann nicht in der Öffentlichkeit breittreten. Der 36-Jährige erklärte lieber, was den Kreis seiner Auserwählten auszeichnete. Sie waren fast ohne Ausnahme bei den letzten Länderspielen im März dabei, die für Nagelsmann so etwas wie ein Erweckungserlebnis waren. Er nominierte damals für die Spiele gegen Frankreich und die Niederlande sechs formstarke Neulinge und wirbelte die Teamordnung nach enttäschenden Auftritten vergangenen Herbst mächtig durcheinander. Besonders goutiert wurde charakterlich einwandfreies Verhalten. Nagelsmann erzählte, man habe damals auch die Köche und Physiotherapeuten um Feedback gebeten. Die Begeisterung war anscheinend rundum groß. Es sei „die beste DFB-Maßnahme“ der vergangenen Jahre gewesen, erklärte Nagelsmann. So lobte er auch am Donnerstag erst im zweiten Anlauf die fußballerischen Qualitäten des 34-jährigen Thomas Müller, im ersten hob er seine Qualitäten als „Connector“ hervor: „Er kann mit den Rappern und mit denen, die jodeln.“

Die Herausforderungen für die Nominierung beschrieb Julian Nagelsmann als komplex. Es ginge nicht darum, die besten 26 Fußballer zu wählen, sondern diejenigen, die von ihren Charakterzügen am besten zusammenpassen. Weil er nun ein 27-köpfiges Aufgebot hat, muss er vor der EM noch einen nach Hause schicken.

Nagelsmann hat bereits im März bekannt, ein Freund von klaren Rollenverteilungen zu sein. Gerade von den Spielern auf der Ersatzbank erwartet er absolute Loyalität. Eine weitere Begründung für seine Auslese ließ aufhorchen. Er sprach fast schon poetisch von einem „zart wachsenden Gebilde“. Wenn er neue Elemente hinzunehmen würde, könnte das „Haus wieder einstürzen“. Man könnte auch sagen: Die Hoffnungen der Fußballfans in diesem Lande, die es mit dem DFB-Team halten, beruhen bislang auf der Basis eines zehntägigen Ausnahmetrips.

Julian Nagelsmann schürte dennoch Hoffnung: „Wenn wir teilnehmen, sollten wir auch gewinnen können.“ Er erzählte von seinem guten Bauchgefühl. Und wenn es mit dem ganz großen Ziel nicht klappen sollte, könnte er auch mit der K.-o.-Phase und einem begeisternden und mitreißenden Fußball seines Teams gut leben. „Ich verstehe den Fußball schon als Unterhaltungsbranche“, sagte Nagelsmann dazu. Das Bohei der Nominierung war auch in dieser Richtung der erste Schritt.

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