Elektronische Musik: Neues vom Planeten der Drums

Billige Laptops, geckrackte Software und das Netz: LV und Cooly G haben bei ihren Debütalben die gleiche Grundlage. Trotzdem finden sie ihren eigenen Sound.

Die Musikerin Cooly G. Bild: ashes 57

BERLIN taz | Die verschiedenen Genres von elektronisch generierter Dancefloormusik, die sich in den Nullerjahren am Rande der Metropolen bildeten, haben einiges gemeinsam – egal, ob es sich um Kwaito aus Südafrika, brasilianischen Baile Funk oder das Housegenre UK Funky aus London handelt. Billige Laptops, gecrackte Software und Filehoster sorgen dafür, dass all diese Spielarten ihren Weg in die nerdigen Produzentenkreise westlicher Metropolen findet.

Der „Planet of Slums“ wird zum „Planet of Drums“, in dem digital produzierte Rhythmen zirkulieren und immer wieder auf lokale Stile treffen. „Global Ghettotech“ hat der amerikanische Musikethnologe Wayne Marshall diesen Prozess genannt und dabei bestimmt nicht an das Londoner Produzenten-Trio LV gedacht. Will Horrocks, Gervase Gordon und Si Williams haben mit dem Getto herzlich wenig zu tun. Sie kommen aus dem pittoresken Stadtteil Dulwich im Süden der Stadt und haben sich an der Universität kennengelernt.

Dafür haben sie seit Längerem ein Ohr für das, was sich auf den Filesharing-Seiten im Netz so tut und eine Familienanbindung nach Südafrika. Und genau dort lernten LV die MCs, wie etwa Spoek Mathambo kennen, die ihnen auf ihrem neuen Album „Sebenza“ die Aufwartung machen – auf den Soundsystems von südafrikanischen Taxifahrern, bei denen Kwaito gespielt wird.

Soundtrack der Post-Apartheid-Ära

Diese reduzierte House-Spielart ist so etwas wie der Soundtrack der Post-Apartheid-Ära, geliebt in den Townships und vom ANC. Das „Andere“ sind die MCs aus der britischen Exkolonie trotzdem nicht. „Mac, Macbook Pro, Processor“, rappt Okmalumkoolkat auf dem Titelstück des Albums, einer Hymne auf den Feierabend.

Klar, man produziert auch in Südafrika mit den gleichen Tools wie in Südlondon. Muss man ja auch. Denn was auf den ersten Höreindruck wie ein Transfer der spärlich und rau produzierten Snares von Kwaito in die britische Bassmusik wirkt, ist das Ergebnis von langen Mailwechseln, prozessierten Gesangsspuren und langen Nächten vor dem Rechner.

Wer da noch nach Ursprüngen fragt, wird keine Antwort bekommen. Und so ist „Sebenza“ ein auf hochkomplizierte Art raues Housealbum geworden. Zu komplex für eine authentische Bloc Party in den Townships und bei allen Details doch immer auf der Suche nach dem perfekten Popmoment.

Detailverliebt präsentiert sich auch die Londonerin Cooly G. Vielleicht hat sie deshalb so lange für ihr Debütalbum „Playin’ Me“ gebraucht. Ihre Debütmaxi „Narst/Love Dub“ war 2009 ein kleiner Hit. Die A-Seite montierte ein paar Synthesizer-Stabs über einen dieser aufmüpfigen UK-Funky-Patterns zu einer unvergesslichen Hookline. Die B-Seite war ein Dub-House-Track, der endlich das Naheliegende tat und den leicht paranoiden Dubstep mit der Relaxtheit von TripHop versöhnte.

Hyperlokalistin und Nachwuchspflegerin

Und damit hatte Merrisa Campbell, wie Cooly G bürgerlich heißt, zugleich die Richtung vorgegeben – sie ist die Hyperlokalistin der international zirkulierenden Bassmusik. Ihre selbst gebrannten CDs vertrieb sie in Londons Plattenläden, mit einem Clubabend für Nachwuchsmusiker im Südlondoner Stadtteil Brixton leistet sie lebenswichtige Basisarbeit. Und verfeinerte in der Arbeit am kollektiven „Scenius“ ihren Stil.

Cooly G brachte alle disparaten Stränge einer in London kristallisierten, afro-britisch-karibischen Musiktradition zusammen, ohne dabei zu sehr auf den Dancefloor zu schielen. Und so steht die zweifache Mutter auch drei Jahre nach ihrer Debütmaxi noch auf einsamer Flur. Nur ihr Talent als Produzentin scheint der Sensibilität für den großen Popentwurf im Weg zu stehen. Cooly Gs Drumpatterns sind subtil und komplex zugleich, die spärlichen Gesangseinlagen können es in puncto Schwülheit locker mit Massive Attack aufnehmen, ohne jemals in deren Pathos zu verfallen.

Nur ihre Songs selbst mäandern ein wenig ziellos. Mal zerstauben die Hooklines in Hallfahnen, ein anderes Mal verliert sich ein Track im Niemandsland zwischen Drumcomputer, Synthesizer-Pads und Streichersamples.

Und selbst wenn es antiquiert klingt – dies ist eine Frage des richtigen Formats. Auf mehrere Doppel-12inch Maxisingles verteilt wäre „Playin’ Me“ unverzichtbar, als Album hat es schlicht zu viele Längen. Aber wer hört denn noch so linear Musik, dass dies ernsthaft stören würde?

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