DIE WAHRHEIT: Die Rache der Sieben

Eine Bombennacht in München.

Unter dem ehemaligen Lokal Sieben ist eine Bombe explodiert. Bild: reuters

Eigentlich hat Herr Kellermann vorgehabt, nach dem vierten mindestens noch ein fünftes Feierabendbier zu trinken. Als jedoch zwei Polizisten in Kampfmontur sein Stammlokal betreten und herrisch verkünden, wegen der Entschärfung einer unter der ehemaligen Gaststätte Schwabinger Sieben aufgefundenen 250-Kilogramm-Bombe dürfe niemand den Raum verlassen, beschließt er spontan, heimzugehen, weil er sich von niemandem seiner Freizügigkeit berauben lasse.

Das solle er ruhig versuchen, spottet die Schafkopfrunde der kommunistischen Altstudenten, dann werde er schon sehen, wie weit er bei einer Staatsgewalt komme, deren brutales Vorgehen er ansonsten bei jeder Gelegenheit lautstark verteidige. Herr Kellermann sagt, er sei zeit seines Lebens aufrechter Sozialdemokrat gewesen und lasse sich nicht von mutmaßlichen Terroristen beleidigen, trinkt sein Bier aus und geht. Nachdem ihm von den USK-Spezialkräften erläutert worden ist, man diskutiere nicht mit betrunkenen Gewaltbereiten und sehe sich rein dienstlich nicht in der Lage, Elemente wie ihn in einem eventuellen Splitter- und Trümmerregen herumspazieren zu lassen, so gern man das privat auch täte, bestellt Herr Kellermann grummelnd sein fünftes Feierabendbier und sagt, ein solcher Aufwand wegen einer läppischen Bombe, die kaum größer sei als eine anständige Wassermelone, sei typisch für diese Zeiten.

„Hört hört!“, tönt es vom Stammtisch. Ein Zufallsgast in Anzug und Krawatte meint, ein chemischer Langzeitzünder stelle in der Tat eine Gefahr dar, die ein pyrotechnischer Laie nicht im Ansatz begreifen könne. Er, sagt Herr Kellermann, habe ein solches Gelumpe draußen im Hartelholz schon als Volksschüler reihenweise entschärft, da müsse er sich kein blödes Gerede von westpreußischen Staubsaugervertretern anhören, und bestellt ein sechstes Bier.

Da kehren die Uniformierten zurück und melden, das Gebäude müsse evakuiert werden und man solle alles, inklusive Speisen und Getränken, zurücklassen oder notfalls Letztere stante pede verzehren. Herr Kellermann sagt, ein ganzes Bier auf einmal auszutrinken vertrage sein Magen nicht, er werde auf das erworbene Getränk aber auch nicht verzichten. Der jüngere Polizist bittet ihn, keine Schwierigkeiten zu machen, weil man schon genug Ärger mit der alten Frau Reibeis aus dem vierten Stock habe, die sich mit der Begründung, sie habe zwei Weltkriege überlebt und sei nur ein einziges Mal ausgebombt worden, zunächst standhaft geweigert habe, ihre Wohnung zu verlassen, und nunmehr dabei sei, mithilfe von vier Kollegen ihren Speicher und Keller auszuräumen und den gesamten Plunder in die Notunterkunft in der Morawitzkystraße zu schaffen.

Das, sagt Herr Kellermann, sehe der dementen Schachtel ähnlich, allerdings habe sie in diesem Fall recht und er schließe sich ihrer Haltung solidarisch an. Die Studenten, die zwischenzeitlich das sowieso faschistoide Rauchverbot für ungültig erklärt und ihre Zigarillos und Purpfeifen entzündet haben, erklären, in diesem Ausnahmefall seien sie auf seiner Seite. Der Wirt beschließt, eine Schanklizenz ohne Stammpublikum nütze ihm weniger als umgekehrt. Als sich daraufhin ein Aktionsbündnis zur Ausrufung der Freien Republik Altschwabing gründet und eine allgemeine Wehrpflicht im Verteidigungsfall verkündet, rufen die Polizisten Verstärkung.

Es gelingt ihnen unter Einsatz erheblicher Zwangsmittel zwar, die gesamte Kneipenbelegschaft auf die Occamstraße zu schaffen. Dort kommt die Entsetzung jedoch ins Stocken, weil im selben Augenblick der wild zappelnde und brüllende Herr Hammler im Stile eines Sitzdemonstranten aus dem Haus getragen wird, verfolgt von seiner Frau, die ihn anfleht, wenigstens seine Herztabletten zu nehmen, wenn er sich schon vor aller Welt zum Narren machen müsse. Die alte Frau Reibeis wiederum, der bei dem Anblick die Kiste mit dem Teeservice ihrer Großtante Walburga entgleitet, führt in dem Scherbenhaufen einen Veitstanz auf und plärrt, sie gehe überhaupt nirgends mehr hin, sondern lasse sich notfalls ein zweites Mal ausbomben. Das nunmehr zur wüsten Prügelei ausartende Handgemenge wird schließlich von einem lauten Knall unterbrochen, der durch ganz Schwabing schallt.

Das Bombendrama, liest Herr Reithofer seiner Frau am nächsten Morgen aus der Zeitung vor, sei glimpflich ausgegangen; zwar gehe der Sachschaden in die Millionen, aber die Brände seien schnell gelöscht gewesen. Wieso allerdings ausgerechnet in der von der Explosion gar nicht unmittelbar betroffenen Occamstraße 36 Personen, darunter 28 Polizisten, Prellungen, Schürfwunden, Hämatome und blaue Augen erlitten hätten, werde aufgrund grotesk widersprüchlicher Angaben wohl für immer ungeklärt bleiben.

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kari

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