Debatte Lebensmittel: Bio ist doch besser!

Bio-Lebensmitteln wird vorgeworfen, nur ein moderner Ablasshandel zu sein. Unsinn! Ökolandbau bleibt besser als konventionelle Landwirtschaft.

Sauwohl solls ihnen gehen: Bioschweine aus Oberbayern. Bild: dpa

Bio ist ein Mythos, ein Ablasshandel für Gutmenschen, reine Verbrauchertäuschung – solche Thesen haben gerade wieder Konjunktur. Anlass geben eine Studie der Universität Stanford über den geringen gesundheitlichen Mehrwert von Ökoessen und eine ARD-Sendung über Missstände in der Biotierhaltung. Da könnten Verbraucher glatt auf die Idee kommen, kein Bio mehr zu kaufen.

Dabei ist die Stanford-Untersuchung kein Grund, auf Ökolebensmittel zu verzichten. Ihre Autoren behaupten zwar wie zahlreiche Wissenschaftler zuvor, dass es kaum Unterschiede zwischen ökologisch und konventionell erzeugten Nahrungsmitteln gibt, „wenn es ausschließlich um die Gesundheit geht“. Lebensmittel seien nicht „bedeutend“ nahrhafter, wenn sie nach den Regeln des Ökolandbaus erzeugt wurden.

Allerdings können die Forscher nicht ausschließen, dass es vielleicht doch gefährlich ist, konventionelle Produkte zu essen, die jeweils in geringen Mengen, jedoch gleich mit mehreren Pestiziden belastet sind. Schließlich wurde diese potenzielle Gefahr noch nicht genügend untersucht.

Gekürzte Schwänzchen

Sich gesund ernähren zu wollen ist auch nur einer von vielen Gründen, Bioware zu kaufen. Motiv Nummer eins der Biokonsumenten ist laut der repräsentativen Umfrage „Öko-Barometer 2012“, eine artgerechte Tierhaltung zu unterstützen. Umso bedrohlicher für die Branche sind Berichte wie die vor Kurzem ausgestrahlte ARD-Sendung „Wie billig kann Bio sein?“. Die Aufnahmen etwa aus Ökoschweinezuchtbetrieben wollen so gar nicht zum Traumbild von einer artgerechten Haltung passen.

Sie zeigten Schweine, die einzeln in engen Käfigen leben, in denen sie sich kaum bewegen können. Auslauf? Fehlanzeige. Für den Verein „die Tierfreunde“, der die Bilder aufgenommen hat, steht deshalb fest: „Die Lebensbedingungen der Tiere unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Tiere in der konventionellen Massentierhaltung.“

Doch das ist ein Trugschluss: In der konventionellen Haltung ist es Standard, Schweinen die Ringelschwänzchen mit einer Klinge zu kürzen – ohne Betäubung. Dieses Kupieren soll verhindern, dass sich die Tiere in der reizarmen Umgebung im Stall gegenseitig in den Schwanz beißen. Bei Biohaltung ist das Schwanzkürzen dagegen eine Ausnahme, die bei den Behörden beantragt werden muss. Nordrhein-Westfalen etwa hat dem zuständigen Landesamt zufolge bisher keine einzige Genehmigung erteilt.

Zudem hat ein Bioschwein in der Mast je nach Gewicht gemäß EU-Ökoverordnung mindestens 0,8 bis 1,5 Quadratmeter Platz im Stall und 0,6 bis 1,2 Quadratmeter zum Auslauf. Das sind mindestens 50 Prozent mehr, als die deutsche Verordnung zum Tierschutz in der Landwirtschaft konventionellen Betrieben vorschreibt. Zwar darf der Freilauf für Biotiere gesperrt sein, wenn das Wetter oder der Zustand des Bodens zu schlecht ist, doch konventionell gehaltene Schweine können nie an die frische Luft.

Mehr Kontrollen

Natürlich gibt es auch in der Ökohaltung Missstände. Manche Bauern zum Beispiel verstoßen gegen die Vorschriften. Aber die Bio-Kontrollstellen überprüfen jeden Betrieb mindestens einmal im Jahr – konventionelle werden seltener kontrolliert. In einigen Punkten sind die EU-Ökoregeln auch zu lasch. 3.000 Hühner in einer Gruppe etwa sind zwar weniger als in konventionellen Betrieben, aber für artgerechte Haltung immer noch zu viel.

Es ist gut, dass Recherchen auf solche Probleme hinweisen und damit den Reformdruck in der Branche aufrechterhalten. Doch das sollte nicht über die Vorteile der Biohaltung insgesamt hinwegtäuschen. Auch Ökotierhaltung hat Mängel – aber konventionelle Tierhaltung ist schlimmer.

Gruppen wie die „Tierfreunde“ ziehen daraus die Konsequenz, auf Produkte tierischen Ursprungs zu verzichten, also vegan zu leben. Da können Biobauern ihre Tiere noch so gut behandeln – Veganer werden sie nie zufriedenstellen. Es ist aber auf absehbare Zeit unrealistisch, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung vegan ernähren will. Deshalb sind die Fortschritte in der Biohaltung gegenüber der konventionellen Konkurrenz so wichtig.

Bei aller Kritik an diesem Segment der Biobranche sollte man auch nicht vergessen, dass der Ökolandbau, anders als der gesamte Landbau, seine höchsten Verkaufserlöse nicht mit Fleisch, sondern mit Obst, Gemüse und Kartoffeln erzielt. Wer Pflanzen biologisch anbaut, verzichtet auf chemisch-synthetische Pestizide und leicht lösliche Mineraldünger. Beide Stoffe tragen durch ihre giftige Wirkung oder zu viel Nährstoffe dazu bei, dass immer mehr Tier- und Pflanzenarten auf den Äckern und in deren Umgebung aussterben. Die Chemikalien landen oft auch in den Brunnen von Wasserwerken – und werden zum Gesundheitsrisiko für den Menschen.

Vorteilhafter Neuseeland-Apfel

Dazu kommt der Schaden für das Klima: Um Pestizide und Mineraldünger herzustellen, ist viel Energie nötig, was zu einem hohen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid führt. Weil die Ökolandwirtschaft ohne die Chemikalien auskommt, verursacht sie weniger CO2-Emissionen: Je nach Untersuchung liegen sie, auf den Ertrag bezogen, 20 bis 50 Prozent unter denen der konventionellen Konkurrenz.

Diese Vorteile gelten sogar für den viel kritisierten Bioapfel aus Neuseeland – einmal davon abgesehen, dass einer Studie der Universität Gießen zufolge Äpfel aus Übersee eine bessere Klimabilanz haben als heimische Äpfel, wenn letztere monatelang im Kühlhaus gelagert werden.

Kritiker wenden gern ein, dass Biolandwirte ihre Pflanzen mit Kupfer vor Krankheiten schützten. Das Schwermetall reichert sich im Boden an und schädigt zum Beispiel Regenwürmer. Doch hier geht es nur um einen Teil der Biopflanzenproduktion, vor allem um Obst und Wein. Im Übrigen: Auch konventionelle Landwirte benutzen kupferhaltige Pestizide.

Insgesamt muss die Losung also lauten: Esst weiter Bio! Lebensmittel zu erzeugen hat immer negative Folgen für die Umwelt und oft auch für Tiere. Aber Ökobauern richten in der Gesamtbilanz weit weniger Schaden an als ihre konventionell arbeitenden Konkurrenten.

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Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.

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