Die Rote Liste der Kultur: Kahlschlag statt Konzert

Das Berliner Archiv der Jugendkulturen, Sommertheater in Roßlau und die Bergischen Symphoniker – drei Fallbeispiele für die allgegenwärtigen Einsparungen im Kulturbereich.

Wasserburg ohne Theater: Roßlau in Sachsen-Anhalt. Bild: imago / Steffen Schellhorn

Die Gründe für den Kulturabbau sind vielfältig, doch sehr oft fehlt Kommunen oder Bundesländern das Geld. Seit Juli veröffentlicht der Deutsche Kulturrat regelmäßig in seiner Zeitschrift Politik & Kultur, ob Museen, Theater, Kinos oder Orchester noch auf der Vorwarnliste der bedrohten Kultureinrichtungen stehen oder schon akut gefährdet sind.

Der Deutsche Kulturrat ist der Dachverband der deutschen Kultur-Verbände und damit das politische Sprachrohr von Lichtspielhäusern, Theatern, Museen und allen anderen Kultureinrichtungen. Er vergibt – analog zur Roten Liste bedrohter Arten – die Gefährdungskategorien 0 (geschlossen) bis 4 (Gefährdung aufgehoben/ungefährdet).

Mit der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen will der Kulturrat den „schleichenden und geräuschlos vonstatten gehenden Kulturabbau in Deutschland anhand von konkreten Beispielen belegen“, sagt Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Die nächste Rote Liste erscheint in der November/Dezember-Ausgabe von Politik & Kultur.

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Jugend ohne Anwalt

BERLIN taz | Klaus Farin sitzt auf einem Goldschatz. Trotzdem kämpft der Jugendforscher aus Berlin seit Jahren gegen den finanziellen Ruin. Sein 1998 gegründetes „Archiv der Jugendkulturen“ umfasst eine weltweit einzigartige Sammlung authentischer Szenezeugnisse, vom ersten Techno-Flyer bis zur Antifa-Zeitung.

Der auf 200 Quadratmetern Präsenzbibliothek geordnete Materialwust aus 8.000 Büchern und Broschüren, 32.000 Fanzines, Zeitschriften, Zeitungen, Flyern, 600 Magister- und Diplomarbeiten sowie 84.000 CDs, LPs, MCs, DVDs und Videos dient Farin und einer Handvoll Mitarbeiter zur wissenschaftlichen Erforschung von Adoleszenzphänomenen. Ob Skater, Emos, Junghexen: mit ihrem Detailwissen über jede noch so obskure Jugendkultur haben sich die Jugendforscher ein Renommee bei Wissenschaftlern, Politikern und Publizisten erarbeitet.

Ausstellungen wie zu „50 Jahre BRAVO“, Workshops und die wissenschaftliche Publikationsreihe leisten unverzichtbare Aufklärungsarbeit. Im Gegensatz zu vielen selbst ernannten Jugendexperten wissen die oftmals selbst szenenahen Archivmitarbeiter, wovon sie reden, wenn es um Ballerspiele oder die Gefährlichkeit von Gangster-Rap geht.

Obwohl vielfach ausgezeichnet, wurde das Archiv nie regelmäßig öffentlich gefördert. Für den Wissenschaftsbetrieb zu eigensinnig, für die Politik nicht relevant genug – so hielt man sich jahrelang mit Projektgeldern, Praktikanten und ehrenamtlicher Arbeit über Wasser. Als 2010 die Miete nicht mehr bezahlt werden konnte, sammelte Farin Spenden und gründete die Stiftung „Respekt“.

Fast alle arbeiten ehrenamtlich

Doch auch die brachte dem Archiv nicht den finanziellen Frieden: 103.000 Euro Stammkapital genügen nicht, um von den Zinsen die Arbeit zu finanzieren. Weiterhin lebt das Archiv prekär: 25 von 31 Mitarbeitern arbeiten ehrenamtlich, eine langfristige Planung ist unmöglich.

Dazu kam ab 2010 der Umsatzeinbruch im Buchhandel, der den hauseigenen Verlag an den Rand des Konkurses bringt. Dies und das Problem der Mietzahlung für das wachsende Archiv hat den Kulturrat veranlasst, das Archiv der Jugendkulturen als „gefährdet“ einzustufen.

Zur Zukunftssicherung hat sich Archiv-Gründer Farin nun überlegt, den Verlag zu verkaufen – aber nicht an irgendwen. Freunde des Projekts sollen als Kommanditisten in die Verlags-KG einsteigen und Anteile für 5.000 Euro kaufen.

Der eigentliche Zweck des Verlagsverkaufs ist, langfristig das Archiv zu retten, wie Verlagsleiter Farin sagt. Finden sich zu wenige Kaufinteressenten, droht dem Verlag das Aus. Und längerfristig dem Archiv, denn das Archiv lebt vom Verlag. Im worst case würde den empfindlichen Jugendkulturen, die zwischen einer jugendhungrigen Industrie und einer skeptischen Öffentlichkeit wachsen, ein Anwalt genommen. NINA APIN

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Ein „teures Ding“

BOCHUM taz | Mitten im Konzert war plötzlich Stille. Keinen Ton spielten die Bergischen Symphoniker mehr. Generalmusikdirektor Peter Kuhn wandte sich stattdessen ans Publikum: „So klingt es, wenn Sie kein Orchester mehr haben.“

Der Grund für den ungewöhnlichen Protest der aktuell 71 Musikerinnen und Musiker: Den Bergischen Symphonikern droht die Zerschlagung. Denn getragen wird das Orchester von den Städten Remscheid und Solingen. Und die stehen vor der Pleite: Als kleinste kreisfreie Großstadt Nordrhein-Westfalens hat das knapp 110.000 Einwohner zählende Remscheid 572 Millionen Euro allein an Kassenkrediten aufgehäuft – nur um kurzfristig zahlungsfähig zu bleiben. In Solingen ist die Lage kaum besser: Dort laufen Kassenkredite von über 480 Millionen Euro.

Mithilfe der Landesregierung will Remscheids SPD-Oberbürgermeisterin Beate Wilding aus der Schuldenspirale aussteigen. Mit fast 6 Milliarden Euro will das Kabinett von Wildings Parteifreundin Hannelore Kraft Nordrhein-Westfalens klammen Kommunen helfen. Mit Unterstützung aus Düsseldorf sollen die Haushalte schon 2016 ausgeglichen sein.

In Remscheid werden deshalb nicht nur die Gewerbe-, Grund- und Hundesteuern erhöht – es wird auch eisern gespart: Bereits Ende Juni legte Wildings Verwaltung dem Stadtrat einen Beschluss vor, der das Aus für die in Form einer GmbH organisierten Symphoniker besiegeln sollte: „Wir haben dem Rat die Beendigung der Gesellschaft vorgeschlagen“, sagt Wildings Büroleiter Sven Wiertz.

Das aber ging den Kommunalpolitikern der regierenden Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP zu weit. Schließlich ist das Orchester neben dem Theatergebäude das letzte in Remscheid verbliebene Symbol der Hochkultur – ein eigenes Theaterensemble leistet sich die Stadt längst nicht mehr. Stattdessen werden freie Produktionen eingekauft.

Doch die Remscheider haben die Rechnung ohne ihre Partner aus Solingen gemacht. Schon vor 17 Jahren hatten die beiden Städte ihre Orchester zusammengelegt. Insgesamt 14 Millionen Euro sind so bereits gespart worden, schätzen Insider. Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith (CDU) hat sich zum Weiterbestehen der Symphoniker bekannt. Seitdem pokern beide Stadtverwaltungen ums Geld: „Der 1995 geschlossene Vertrag ist nicht einseitig kündbar“, sagt Reiner Daams, der für die Solinger Grünen in der Gesellschafterversammlung der Orchester-GmbH sitzt.

Unbezahlbarer Luxus

In Remscheid sieht das seine Parteifreundin Beatrice Schlieper ganz anders. Natürlich sei ein Aus für die Bergischen Symphoniker „traurig“. Die Musiker leisteten „hervorragende Arbeit“ etwa mit ihrer Schulmusik, mit der Jugendliche für klassische Musik begeistert werden sollen, sagt die Chefin der grünen Ratsfraktion. Dennoch sei das Orchester ein „teures Ding“, ein „Luxus“, den sich die Pleitestadt kaum mehr leisten könne: „Wenn wir weiter 2 Millionen Euro im Jahr für die Symphoniker ausgeben, erklärt uns die Kommunalaufsicht doch für verrückt.“

Unter den Musikern geht deshalb die Angst um. Zwar haben sie mit Unterstützung von KollegInnen von der neuen Philharmonie Westfalen, vom WDR, von Orchestern aus Düsseldorf und Hagen bereits vor dem Rathaus protestiert, doch wegen der laufenden Verhandlungen will kein Symphoniker offen reden.

Die Musiker fürchten den finanziellen Kahlschlag, und nicht nur die Orchesterakademie für junge StudentInnen sei bedroht. Wenn nicht nur Remscheid, sondern auch Solingen 500.000 Euro kürzt, sei ein Viertel des Etats weg. Die Symphoniker müssten dann radikal verkleinert werden – selbst im besten Fall drohe die Abstufung vom B- zum C-Orchester. Ein Musiker fasst den kulturellen Aderlass zusammen: „Strauß, Mahler oder Bruckner können wir dann nicht mehr spielen.“ ANDREAS WYPUTTA

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Theatersommer fällt ins Wasser

DRESDEN taz | Kuriose Nutzungen hat die Wasserburg Roßlau in Sachsen-Anhalt in ihren 650 Jahren schon erlebt: provisorisches Rathaus, Gefängnis, Wohnhaus. Inzwischen ist die Wasserburg ein typischer Veranstaltungsort, um den sich ein Burgverein kümmert, der Mittelalterfeste, Ritteressen, Ska-Konzerte und Theater auf dem Programm hat.

„Ein toller Ort und eine ideale Kulisse“, schwärmt Benjamin Kolass vom Verein theaterBurg. Ansonsten aber hat er wenig Grund zum Schwärmen. Seit 2005 spielt seine überwiegend aus Berlinern bestehende freie Theatergruppe einen Sommer lang eine Inszenierung, die sie speziell für Roßlau einstudiert haben. Anfangs waren es eher Problemstücke wie „Der Kick“ oder „norway.today“, dann Kleists „Zerbrochenen Krug“ und Büchners „Leonce und Lena“.

In diesem Jahr aber musste der Burgtheatersommer ausfallen. Im April sagte das Kultusministerium in Magdeburg den zuvor gewährten 10.000-Euro-Zuschuss ab. Damit fiel eine von vier Finanzierungssäulen, die so kurz vor Saisonstart nicht ersetzt werden konnte. Dabei trägt sich der theaterBurg-Verein schon weitgehend selbst. Nur ein Viertel macht die Landesförderung aus. Weitere 10.000 Euro kommen jeweils aus staatlichen Lotterieeinnahmen, von privaten Sponsoren und aus den Eintrittsgeldern.

Das Kultusministerium begründete die Absage mit der allgemeinen Kürzung der Fördermittel für freie Theater im Landeshaushalt. Man habe deshalb eine Prioritätenliste erstellen müssen, wobei aus Sachsen-Anhalt stammende Künstler bevorzugt wurden. Die Berliner hätten dieses Kriterium nicht erfüllt. Die späte Verabschiedung des Haushalts habe die für die Künstler ärgerlich späte Absage zur Folge gehabt.

Das Bauhaus schluckt Gelder

Im Nachbarort am großen Anhaltischen Theater in Dessau kracht es auch, weil 205.000 Euro eingespart werden sollen. Und was das arme Sachsen-Anhalt für die regionale Kultur aufbringen kann, schluckt das Bauhaus. Aber die „Kleinen“ dürften nicht gegen die „Leuchttürme“ ausgespielt werden, meint theaterBurg-Organisator Kolass. Konkurrenz belebe das Geschäft, und dem Dessauer Theater empfiehlt ein externer Gutachter gerade eine Sommerbespielung – so wie in der Wasserburg Roßlau.

Eine Nische besetzt hatte die Bespielung der Wasserburg offensichtlich. Mit 300 Besuchern musste sich die achtköpfige Schauspielertruppe bei ihrem Start begnügen. Im vergangenen Jahr kamen schon 1.000 Besucher in den Burghof, teilweise reisten sie aus Leipzig oder Bitterfeld eigens für das Theaterspektakel an, sagt Kolass.

Für das kommende Jahr nährt das Kultusministerium die Hoffnung mit der Ankündigung, es werde dann erneut über Förderungen entschieden. Vorsorglich wollen sich die theaterBurg-Akteure aber schon nach weiteren Geldgebern umsehen. MICHAEL BARTSCH

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