Manipulation bei Organtransplantationen: Das große Münchener Umetikettieren

Der Manipulationsverdacht am Münchner Klinikum rechts der Isar erhärtet sich. Blutwerte eines Leberpatienten sollen absichtlich vertauscht worden sein.

Raus mit die Organe, rin mit die Organe: Mit den richtigen Werten ist das gar kein Problem. Bild: dpa

BERLIN taz | Eine knappe Woche lang hatte der Ärztliche Direktor des Münchner Klinikums rechts der Isar versichert, bei der Übermittlung von Patientendaten an die Stiftung Eurotransplant seien in der Vergangenheit lediglich „Fehler“ passiert. Von einer vorsätzlichen Manipulation von Labor- oder Dialysedaten bei Transplantationspatienten könne keine Rede sein. Absichtlich sei kein Patient in München bei der Organvergabe bevorzugt worden.

Am Dienstag korrigierte Reiner Gradinger diese Fehleinschätzung per Pressemitteilung: „Wir müssen davon ausgehen, dass in einem Fall manipulierte Laborwerte zu einer Transplantation geführt haben könnten.“ Weitere Angaben „zu beteiligten Personen und näheren Umständen“ lehnte er unter Verweis auf „das laufende Verfahren“ bei der Staatsanwaltschaft ab.

Nach Informationen der taz soll die Blutprobe eines Patienten, der auf eine Spenderleber wartete, bewusst im Nachhinein umetikettiert worden sein. Sprich: Dem Patienten wurde einfach das vom Labor bereits untersuchte Blut eines anderen, auch schwer kranken, aber gar nicht auf eine Transplantation wartenden Patienten zugeordnet.

Dieser Wert wurde dann an Eurotransplant gemeldet. Es ging offenbar um den Kreatininwert, der Auskunft über die Nierenfunktion gibt, die wiederum einer der entscheidenden Parameter bei der Vergabe von Spenderlebern ist. Weil dieser Wert sehr hoch war, erhielt der Patient eine Spenderleber. Mit seinen eigenen Blutwerten hätte ihm diese nicht zugestanden.

Ein ärztliches Versehen

Wie die taz aus Insiderkreisen erfuhr, erfolgte die Manipulation bereits 2010. Der Patient soll gesetzlich krankenversichert und deutscher Staatsbürger gewesen sein. Dem Klinikum war der Fall angeblich selbst und bereits im August 2012 während einer internen Überprüfung aufgefallen. Bis zum Wochenanfang allerdings wurde das Vertauschen der Daten als ärztliches Versehen gewertet.

Dann aber kam ein Arzt am Montag aus dem Urlaub zurück und wies bei einer erneuten Befragung durch die Klinikleitung auf ein „Gedächtnisprotokoll“ hin, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Das Klinikum hat die Existenz dieses Protokolls mittlerweile bestätigt, ohne Verfasser oder Adressaten zu nennen. Der Klinikleitung soll das Protokoll nicht bekannt gewesen sein.

Aus Klinikkreisen erfuhr die taz, dass das Protokoll offenbar zwei Jahre lang in der Schreibtischschublade eines nicht ganz rangniedrigen Arztes lag, ohne dass die darin enthaltenen Manipulationsschilderungen Konsequenzen nach sich gezogen hätten. Bei dem Schreibtisch soll es sich nicht um den des Protokollverfassers handeln und auch nicht um den des Arztes, der jetzt den Hinweis gab.

Das heißt: Mindestens drei Ärzte wussten etwas, schwiegen aber. Alle sollen weiterhin an der Klinik tätig sein. Und alle sollen noch im August bei einer ersten Befragung Kenntnisse über etwaige Manipulationen verneint haben. Ein Verhalten, das mit Angst vor der Klinikleitung erklärt werden könnte: Diese soll stets gemahnt haben, dass die Steigerung der Zahl der Lebertransplantationen wünschenswert sei.

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