Oberbürgermeister-Wahlen Stuttgart: Wer wird Chef in Schwaben-City?

Richtig umstritten unter den Kandidaten fürs Oberbürgermeisteramt in Stuttgart ist die Verkehrspolitik. Sonst ist der Wahlkampf bislang lau.

Die OB-Kandidaten: Bettina Wilhelm, Fritz Kuhn, Sebastian Turner. Hannes Rockenbauch fehlt im Bierzelt. Bild: dpa

STUTTGART taz | Stuttgart ist anders. Der Stadt geht es tatsächlich gut: Ihre Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Kriminalitätsrate ebenso. Der Haushalt präsentiert sich in der wohlhabenden Stadt als relativ solide. Kein Wunder, dass sich der Wahlkampf um den Oberbürgermeister-Posten eher um Personen als um Inhalte dreht.

Sowohl die CDU als auch die Sozialdemokraten schicken parteilose KandidatInnen ins Rennen: Auf der einen Seite tritt der Werbeunternehmer und Millionär Sebastian Turner für die CDU an, auch die FDP und die Freien Wähler unterstützen ihn. Auf der anderen Seite kandidiert Bettina Wilhelm für die SPD. Den beiden Parteilosen setzten die Grünen mit dem Bundestagsabgeordneten Fritz Kuhn ein politisches Schwergewicht entgegen.

Sie alle müssen sich vor dem Außenseiter Hannes Rockenbauch vom parteifreien Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) in Acht nehmen. Der junge Rotschopf tritt nicht nur als engagierter Gegner des Großprojekts Stuttgart 21 auf, sondern bringt auch bei anderen Themen mit neuen Ideen Schwung in die Wahlkampfdiskussionen.

Politisiert durch Stuttgart 21

Diese vier gehören zu den aussichtsreichsten KandidatInnen. Außerdem treten zehn weitere an, was auch belegt, wie sehr die Stadt durch die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21, den umstrittenen Bahnhof, politisiert wurde.

Inhaltlich allerdings blieb der Wahlkampf bislang ziemlich mau. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass Themen wie Migration und Verkehrspolitik, die anderswo brenzlig sind, hier nur zum Teil für Konflikt sorgen. Denn Stuttgart ragt auch in diesem Fall heraus: Kaum eine andere Stadt hat mehr Zuwanderer. Und keine andere hat mehr Feinstaub.

Doch der große Anteil von Bürgern, die in erster oder zweiter Generation aus dem Ausland stammen, wird in Stuttgart nicht als problematisch angesehen. Im Gegenteil gilt hier die Integrationspolitik als vorbildlich. Selbst Rockenbauch muss den Noch-OB Wolfgang Schuster (CDU) in dieser Sache loben. Und, so betonte Rockenbauch, das komme nicht oft vor. Doch bei diesem Thema sind sich alle einig: Schuster hat einen guten Job gemacht.

Fast zwei Fünftel der Stuttgarter haben einen Migrationshintergrund. In den Schulen ist der Anteil noch höher: Dort haben etwa 60 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, was bedeutet, dass mindestens ein Eltern- oder Großelternteil aus dem Ausland stammt.

Unter dem Christdemokraten Schuster entwickelte Stuttgart als erste deutsche Stadt ein kommunales Integrationskonzept. Der Oberbürgermeister machte das Thema zur Chefsache und siedelte die Integrationsstelle direkt bei sich an. Früher als die meisten anderen Orte bot Stuttgart flächendeckend Deutschkurse für Zuwanderer an. Für ihr Engagement wurde die Stadt sogar von der Unesco ausgezeichnet.

Allerdings: An den Gymnasien lag der Anteil der SchülerInnen ohne deutschen Pass (13 Prozent) im vergangenen Jahr deutlich niedriger als an den Haupt- und Werkrealschulen (54 Prozent). Zudem ist der Anteil an Jugendlichen ohne Schulabschluss unter Migranten fast fünfmal so hoch wie bei deutschen Jugendlichen.

Angesichts dieser Zahlen scheinen sich die OB-KandidatInnen einig zu sein: Bessere Bildung soll helfen, die Integration weiter zu fördern. Da klingt ein CDU-Kandidat Turner nicht anders als ein Grüner Kuhn.

S21 stoppen

Bleibt der Verkehr. Hier unterscheiden sich die Ansätze der KandidatInnen tatsächlich, nicht nur in Bezug auf Stuttgart 21. Die Haltung zu dem Großprojekt ist für viele BürgerInnen immer noch eine wichtige Frage. Sowohl der SÖS-Mann Rockenbauch als auch CDU-Kandidat Turner haben hierzu eine klare Antwort: Rockenbauch will alle Hebel in Bewegung setzen, um den Tiefbahnhof noch zu stoppen.

Turner will S 21 ohne Wenn und Aber vorantreiben. Der Grüne Kuhn und SPD-Kandidatin Wilhelm versuchten einen Mittelweg zu finden. Sie sind kritisch, wollen sich aber beide an das Ergebnis der Volksabstimmung halten, bei der sich die Mehrheit für den Weiterbau ausgesprochen hatte.

Die S-21-Gegner befürchten, dass sich durch den neuen Bahnhof und Rückbau der Schienentrassen ein anderes Problem ihrer Stadt verschlimmert: der Feinstaub. Denn durch Stuttgart führt immerhin die dreckigste Straße Deutschlands. Am so genannten Neckartor, an dem die B 14 vorbeiführt, werden regelmäßig die von der EU vorgegebenen Grenzwerte überschritten.

An 35 Tagen darf der Feinstaubwert über den eigentlich zulässigen 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Am Neckartor lag der Wert im Jahr 2011 an 89 Tagen darüber – Spitzenwert in Deutschland. Auch anderswo in der Stadt wurden die EU-Vorschriften gebrochen. Das Hauptproblem: Stuttgart liegt in einem Talkessel, hier fängt sich der Feinstaub.

Die schlechte Luft ist deshalb in Stuttgart kein reines Öko-Nischen-Thema. Nicht nur Kuhn, auch die anderen KandidatInnen versprechen, sich des Problems anzunehmen.

Rockenbauch von der SÖS setzt auf eine „Citymaut“, mit der er einen kostenlosen Nahverkehr ermöglichen will. Der Grüne Kuhn hingegen hält nichts von einer Maut, er will lieber das Tempo drosseln und die Parkplätze teurer machen. CDU-Kandidat Turner setzt auf eine Verkehrsleitzentrale und weniger Staus. SPD-Kandidatin Wilhelm wirbt für Carsharing und möchte sich um mehr Stellplätze für die Anbieter kümmern.

Das sind schöne Versprechungen. Nun wird es Zeit, dass sie auch umgesetzt werden und ein frischer Wind durch den Stuttgarter Talkessel weht.

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