Besuch bei Poco Domäne: Ist nicht Wohnen immer ein Problem?

Bei Ikea gibt es Billy und Ivar, bei Poco Domäne Relaxliegen und Schmutzfangmatten. 67 Fragen an das hässlichste Möbelhaus Europas.

Muss ein Teppich funktionieren? Bild: secretgarden / photocase.com

Was bedeutet es, dass auf deiner Fassade steht „Teuer hat hier Hausverbot“, und für wen gilt das Verbot außerdem? Darf ich hereinkommen? Weißt du, dass ich zu dir herausgefahren bin, weil ich keine Köttbullar mehr sehen kann, weil ich dich kennenlernen möchte?

Gibt es hier ein Bällebad? Oder haben Bällebäder Hausverbot? Glaubst du, dass in Skandinavien alle Kinder glücklich sind? Warum stehst du hier so einsam? Wieso hat die Straße zu dir keinen Gehweg? Was heißt eigentlich „Poco Domäne“, wer hat sich diesen Namen ausgedacht? Ich brauche einen Duschvorhang, am besten einfarbig – hast du so was? Was kostet er? Bist du stolz darauf?

Geht dir die Vorstellung, wie mir, auf die Nerven, dass in Schweden weiße Tischdecken grundsätzlich gebügelt und gestärkt sind, oder findest du die Vorstellung schön? Wie sieht die Heimat aus, die du versprichst; das Land der Werktätigen, das Land der Millimetergenauen, das Land der Familien? Ist nicht Wohnen immer ein Problem?

Warum ist der Himmel hier so grau, ist das nur heute so? Verlierst du dich deswegen in Alpinweiß, Alu gebürstet, Buche, Kernnuss, Graumetallic und Eiche?

Warum nennst du Fußabstreifer „Schmutzfangmatten“? Warum heißen Teppiche, die du für die Küche empfiehlst, „Allzweck-Küchenläufer“? Willst du die Dinge nach ihrer Funktion benennen, geht es darum?

Weißt du, wie oft das Wort „Funktion“ in deinem Katalog auftaucht? Und hast du eine Vorstellung davon, was du aufs Spiel setzt, wenn du ein Sofa „Funktionsecke“ nennst? Bist du fasziniert von der Möglichkeit der deutschen Sprache, Substantiv an Substantiv zu montieren; ist so die Kippcouchgarnitur zu erklären, der Halogenspotbalken, die Keramiktischleuchte, die Stauraumliege?

Ist nicht jede Einrichtung ein Klischee?

Hast du dir das Wort „Beimöbel“ ausgedacht, den „Abverkauf“, die „Schnitzelvariationen“, die du in der Werbung versprichst? Ist nicht jede Einrichtung ein Klischee?

Wie hat man zu sein? Weshalb bringt Müssen Sicherheit? Warum schreist du mich an: dreihundertneunundneunzig, tausendeinhundertneunundneunzig Euro? Warum sind die Farben deiner Werbung Rot und Gelb, aber die Farben deiner Möbel Braun und Schwarz?

Hast du keine Angst vor dunklen Fluren, vor tiefen Decken? Beruhigen sie dich?

Ist Rückzug ratsam?

Kann hier alles kippen?

Wird der Couchtisch aus Buche-Nachbildung oder der aus Nussbaum-Nachbildung oder der mit der glitzernden Glasablage eines Tages einfach umfallen; kann hier alles kippen, wie eine Westernkulisse im Orkan? Und was steht dann noch? Wünschst du dir manchmal, dass Schnitzelvariationen auf deinen Parkplatz regnen?

Wäre es nicht schön, wenn hier Bäume stünden? Mit welchem Gefühl rollen deine Kunden auf diesen Parkplatz? Freust du dich, wenn der Filialleiter am Abend die Türen verschließt? Was tust du dann?

Der Markt: Poco Domäne ist eins der sechs umsatzstärksten Einrichtungshäuser Deutschlands. Das Unternehmen geht auf Rainer Wunderlich zurück, der 1972 auf einem Bauernhof die Teppich-Domäne Harste gründete. Er verkaufte zunächst Teppichfliesen, dann auch Tapeten, Gardinen und Möbel. Heute betreibt der Konzern Poco Domäne 96 Märkte mit mehr als 6.000 Mitarbeitern.

Die Branche: Im vergangenen Jahr haben die Deutschen laut dem Verband der Möbelindustrie durchschnittlich 373 Euro für Einrichtung ausgegeben, dazu etwa 150 Euro für Textilien und Dekorationen der Wohnung. Poco Domäne machte 2011 nach eigenen Angaben 1,1 Milliarden Euro Umsatz. Der schwedische Möbelriese Ikea nahm im selben Jahr 24,7 Milliarden Euro ein.

Wovon verkaufst du mehr, vom Polsterpflegemittel für Kunstleder oder von der Lederpflege? Verachtest du Ikea; wie sie Regale ins Auto schieben, Holzsplitter aus dem Kofferraum fegen, ein Weinregal montieren, ihre weißen Gardinen, überhaupt die Illusion von Licht, belächelst du das?

Ist dir bewusst, dass deine Möbel ratlos machen können; was bringt man in einer Standvitrine unter, was in der Hängevitrine, was im TV-Unterschrank? Wie viele Ehen sind gelungen auf dem Schlafsofa, schwarz, Füße in Chromoptik, inklusive Bettkasten? Ist diese Frage unangebracht, fühlst du dich angesprochen? Müssen Ehen gelingen? Was ist eine Wellenunterfederung?

Was soll in einem Zimmer stehen?

Welches Versprechen gibst du, wenn du versicherst, dass durch das eng gefasste Rastermaß und die verschiedenen Höhen Drehtürenschränke mit Schwebetürenschränken individuell planbar und kombinierbar sind?

Was soll in einem Zimmer stehen? Ist es nicht so, dass jedes Möbelstück Folgen hat, die Couch fordert einen Couchtisch, die Matratze einen Lattenrost, die Glühbirne eine Fassung und einen Lampenschirm, der Fernsehapparat einen Beistelltisch, auf dem er steht? Was denkst du über Menschen, die sich dieser Logik entziehen; die Couch bleibt ohne Tisch, die Matratze ohne Lattenrost, die Birne mit Fassung, aber ohne Lampenschirm, der Fernsehapparat steht auf dem Boden, gefallen dir leere Räume? Magst du den Samstag am meisten von allen Tagen? Oder den Sonntag?

Wo gibt es diesen Teppich aus deinem Katalog, auf dem Straßen abgebildet sind, Schulen und Verkehrsinseln, eine Kirche, ein Spielplatz, ein Bäckerladen und ein Metzger, und darf ich hier Spielzeugautos im Halteverbot parken und rückwärts in den Verkehr einschlagen, beim Nachbarn in den Garten brettern; soll ich auf diesem Teppich nachspielen, was man im echten Leben von mir erwartet oder aber doch eher das Gegenteil?

Gefällt dir das Wort „Relaxliege“?

War es deine Idee, an Fernsehsessel Taschen zu nähen, in die man die Fernbedienung steckt? Hat der Einfall seine Erfinderin glücklich gemacht? Gefällt dir das Wort „Relaxliege“?

Kaufe ich erst zu viele Kleider und dann einen größeren Schrank? Bist du zufrieden, dass die Hochhäuser höher werden, sich die Reihenhäuser länger reihen? Magst du Umzüge? Brauche ich mal wieder eine neue Welt?

Wovon träumst du, wenn du für Kinder ein Hochbett als Ritterburg baust, für das Wohnzimmer schwere Gardinen vorsiehst? Ist Gemütlichkeit wirklich ein so deutsches Wort, wie sie immer sagen?

Was hat es zu bedeuten, wenn im Flur ein Schlüsselkasten hängt, auf dem Straßenfluchten in New York zu sehen sind, gelbe Taxis, spiegelnde Fassaden, und du gleichzeitig für das Schlafzimmer der Eltern einen Paravent mit Motivdruck anbietest, den Traum von Übersee: das Empire State Building bei Nacht? Sollen wir nun gehen oder bleiben? Hilfst du uns bei der Flucht? Sollen wir die Jalousien verschließen? Ist dir wichtig, wo die Sonne aufgeht? Wirst du dich an mich erinnern, wenn ich wiederkomme, und wo finde ich einen Duschvorhang in Ozeanblau?

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