Kommentar Kanzlerkandidat Steinbrück : Ich halte euer Geld zusammen

Auch wenn Linke zetern: Peer Steinbrück ist das Beste, was Rot-Grün passieren konnte. Ein klareres Angebot an die Mitte gibt es nicht.

Weiß, dass das mediale Interesse an seiner Person immens werden wird: Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Bild: dpa

Betrachten wir Peer Steinbrück doch einmal aus der Sicht Angela Merkels. Steinbrück ist ihr Hassgegner, das heißt, er wäre es, wenn Merkel diese Emotion kennen würde. Trotzdem: Der Herausforderer Steinbrück ist für sie gefährlich. Der hitzige Sozialdemokrat und die kühle Christdemokratin sind Antipoden im besten Sinne.

Steinbrück emotionalisiert. Er regt Menschen auf, aber auch an. Egal ob Respekt, Bewunderung oder tiefe Abneigung – niemand, der Steinbrück kennt, hat keine Meinung zu ihm. Hilfreich ist dabei, dass Steinbrück anders als Merkel über die große rhetorische Klaviatur verfügt. Er spitzt zu, er beherrscht die vernichtenden Schmähkritik im Parlament ebenso wie brillante Marktplatzreden im Wahlkampf.

Seine Person garantiert deshalb, dass Merkel ihre Lieblingsstrategie im Wahlkampf nicht anwenden kann. Gegen Steinbrück lässt sich nur schwer eine schläfrige Wohlfühlstimmung inszenieren, bei der die rot-grünen Wähler einfach zu Hause bleiben. Auch die zweite strategische Grundkonstante Merkels torpediert Steinbrück. Die Kanzlerin profitiert davon, als erfolgreiche Krisenmanagerin dazustehen.

„Ja, ja, Merkel hält das Geld zusammen“, seufzen rot-grüne Strategen frustriert, wenn man mit ihnen das Image Merkels in der Bevölkerung diskutiert. In der Tat ist dies ein Nebeneffekt der viel zu zögerlichen Rettungspolitik der Kanzlerin in Europa: Viele Bürger haben den Eindruck, dass Merkel ihre Steuergelder unerbittlich verteidigt. Und Steinbrück?

Image als Haushaltskonsolidierer

Der ehemalige Finanzminister achtet sorgsam auf sein Image als Haushaltskonsolidierer, und allgemein wird ihm eine hohe Wirtschaftskompetenz zugeschrieben. Steinbrück kann Merkel, wenn es um das Bild des besten Krisenmanagers geht, glaubhaft Konkurrenz machen. Vielen dürfte die historische Szene aus dem Oktober 2008 noch präsent sein, die sich auf dem Höhepunkt der vorletzten Finanzkrise abspielte.

Steinbrück und Merkel, beide sahen mitgenommen aus, traten im Lichthof des Kanzleramts vor die Kameras. Und erklärten, dass der Staat für das Gesparte der Bürger geradestehe. Eure Sparkonten sind sicher. Welcher Gegenkandidat, wenn nicht Steinbrück, könnte Merkels Erzählung kontern – ich halte eurer Geld zusammen?

Wenn Rot-Grün an etwas krankt, dann daran: Durch die wiederholte Zustimmung zu Merkels Kriseninterventionen haben sie die Grenzen zwischen Regierung und Opposition verwischt. Und es hilft dabei wenig, dass sie bei jedem Abnicken beleidigt darauf hinweisen, man habe das alles ja schon früher gewusst.

Wenn SPD und Grüne ihre kleine Chance auf eine gemeinsame Mehrheit wahren wollen, müssen sie ihr Gegenangebot zu Merkel hart konturieren. Das schafft der Polarisierer Steinbrück eher als der Diplomat Frank-Walter Steinmeier. Natürlich haben sich die aufrechten Linken bei SPD und Grünen nach der Ausrufung Steinbrücks in selbstquälerische Debatten gestürzt. Hach ja, der Wunschkandidat ist er ja nicht.

Regierungsverantwortung

Schon klar, der rechte Sozialdemokrat hat – auch in Regierungsverantwortung – so ziemlich jede Schweinerei mitgemacht: Er war ein Genosse der Bosse. Er hat den Bankensektor üppig beschenkt, den er heute kritisiert. Er hat als vehementer Verteidiger der Agenda-Politik Gerhard Schröders geholfen, Arbeitslose zu drangsalieren. Stimmt alles.

Trotzdem bleibt diese Kritik rückwärtsgewandt und also unproduktiv. Steinbrück würde sagen: Heulsusen. Die eigentliche Frage lautet nämlich: Wem traut man eine progressivere Politik zu – einer großen Koalition unter Merkel oder Rot-Grün unter Steinbrück? Bei der Bewertung des Kanzlerkandidaten kommt es im Moment zu bemerkenswert affirmativen Abwehrreflexen.

Und zu einer nicht statthaften Vermischung: Seine kaum zu bestreitende Selbstgewissheit wird von Kritikern als Beleg für seine politische Unfähigkeit angeführt. Oder als Beleg für seine Korrumpierbarkeit. Oder als Beleg für was auch immer. Nun sind aber weder Arroganz noch Nettigkeit politische Kategorien.

Oder, um es noch einmal im Duktus eines Peer Steinbrück zu sagen: Die besten Politiker sind Arschlöcher. Sonst hätten sie es nicht bis ganz nach oben geschafft. Das schlimm zu finden, ist nicht nur naiv, sondern auch unpolitisch. Zumal jetzt schon feststeht: Auch ein Kanzler Steinbrück ist klug genug, die nach links gerückten Programmatiken von SPD und Grünen nicht zu konterkarieren.

Enges programmatisches Korsett

Er könnte es auch gar nicht tun. Seiner Partei, dies lässt sich in der Rentendebatte beobachten, kann das programmatische Korsett gar nicht eng genug sein, das sie ihm vor dem Wahlkampf stricken wird. Außerdem folgt Politik immer auch den Strömungen, die der Zeitgeist vorgibt. So wie die rot-grüne Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 teilweise neoliberale Politik gemacht hat, so müsste ein Kanzler Steinbrück ab 2013 auch linke Positionen umsetzen.

Ohne Steuererhöhungen lassen sich eben die Krisenkosten nicht refinanzieren. Seine linken Kritiker bei SPD und Grünen vergessen: Steinbrück, der vor der Agenda-Zeit übrigens für die Vermögensteuer eintrat, hat die opportunistische Flexibilität, die jeden Spitzenpolitiker auszeichnet. Er passt seine Überzeugungen auch die Gegebenheiten an. Nicht zuletzt ist Steinbrück für Merkel so gefährlich, weil er für eine klare Arbeitsaufteilung im rot-grünen Lager sorgt.

Ein klareres Angebot an die Mitte und an die Wirtschaft kann die SPD nicht machen. Wenn einer Merkels weichgespülter CDU in bürgerlichen Milieus, die sich um den Industriestandort Deutschland sorgen, Stimmen abkaufen kann, dann er. Gleichzeitig wildert er nicht in den Wählerschichten des Partners, weil Grüne dem berühmtesten Grünen-Fresser der Republik zu Recht unterstellen, dass ihm Ökologie egal ist.

Steinbrück hat sich eindeutig gegen eine große Koalition positioniert. Kanzler oder Rente, er spielt auf alles oder nichts. Diese Kompromisslosigkeit passt perfekt in einen Lagerwahlkampf. Man kann von Steinbrück halten, was man will. Aber sicher ist: Er maximiert die minimale Chance, die Rot-Grün 2013 hat.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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