Terrorismus im Theater: Windungen einer Wahrheitssuche

So schnell wie eine Politthriller-Verfilmung: Das Berliner Maxim Gorki Theater bringt Yassin Musharbashs Terror-Roman „Radikal" auf die Bühne.

Kein Raum für Zwischentöne schafft der gläserne Verhörkasten, das Herzstück von Ben Baurs Bühnenbild. Bild: Thomas Aurin

Die Bombe explodiert gleich am Anfang. Ausgerechnet in einer TV-Talkshow. Unter den Opfern ist der ägyptisch-deutsche Abgeordnete Lutfi Latif, der zuvor bereits von islamistischen Extremisten bedroht wurde. Spannung liegt von nun an in der Luft, und nicht nur das. Die Regisseurin Anna Bergmann dreht am Maxim Gorki Theater die Bedrohungsgefühle groß auf: Neonlicht flackert, dräuende Musik unterlegt die Handlung, die auf der Bühnenleinwand immer wieder auch aus der Perspektive von Überwachungskameras erzählt wird.

Der Abend folgt dem Vorbild von Politthriller-Verfilmungen. In schnellen Szenen und allzu dichtem Ablauf entwickelt sich eine Ermittlungsgeschichte, in der jeder wie mechanisch eigene Interessen verfolgt: der BKA-Beamte muss Ergebnisse vorweisen, die Journalisten beschwören die Gefahr lieber, als sie zu entkräften, und die Islamhasser aus den besseren Gesellschaftskreisen legen geschickt falsche Spuren, um islamfeindliche Stimmung zu schüren. Mittendrin die leutselige Studentin Sumaya und vor allem der Terrorexperte Samson, der sich selbst in eine rechtsbürgerlichen Radikalenbewegung einschleust, um dort den wahren Attentäter zu finden.

Anna Bergmanns Inszenierung von „Radikal“ hält den ausgefeilten Windungen dieser Wahrheitssuche allerdings nicht stand. Yassin Musharbashs Roman hat es auf die Bestsellerliste gebracht, weil die möglichen Wurzeln einer Radikalisierung genau und realistisch geschildert sind. Der emotionale Überschuss, mit dem die Regisseurin die Beteiligten argumentieren lässt, versperrt jedoch das Gehör, egal, ob aus dem konservativen Lagern intellektuell mithilfe der Menschenrechte argumentiert wird oder sich ein muslimischer Jugendlicher aufgebracht wehrt, wegen seiner Herkunft unter Generalverdacht zu fallen.

Oft wird an der Rampe gesprochen. Das mag mit dem Bühnenbild zusammenhängen: Ein gläserner Verhörkasten, der von Büromöbeln umstellt ist, sich ständig dreht und Zwischentöne eher verbannt. Wie die Milieus charakterisiert sind und wie die Terroristen sich in ihnen entwickeln, bleibt völlig unscharf. Aber nicht, weil Unauffälligkeit ihr Merkmal wäre, sondern weil die Regisseurin diese Unschärfe setzt.

Freund und Feind

Yassin Musharbashs Roman erschien kurz vor dem Attentat von Anders Breivik und bevor die Zwickauer NSU-Zelle aufgedeckt wurde. Die frei erfundene Geschichte wirkte durch diese Ereignisse plötzlich realistischer, als einem lieb sein konnte. Dass das Maxim Gorki Theater „Radikal“ ein Jahr nach dem Erscheinen auf die Bühne bringt, ist schon ein kleiner Coup, aber das erhoffte Eigenleben schafft das Bühnenspiel nicht zu entwickeln. Der Resonanzraum Realität bleibt meilenweit entfernt.

Holger Stockhaus stolpert als Terrorexperte Samson so gutherzig durch die Handlung, dass er eine Karikatur auf vermeintliches Expertenwissen abgibt. Und die Studentin Sumaya, die abseits machtgeleiteter Interessen die Dinge am besten zu durchschauen vermag, tritt bei Pegah Ferydoni arg treu emotionsgeleitet auf, sodass man ihr nicht abnimmt, ein wichtiges Rädchen der Handlung zu sein. Die Frage, wer Freund, wer Feind, wem überhaupt zu trauen ist, verliert sich endgültig im künstlichen Voranerzählen.

„Radikal“. Gorki Theater, Berlin. Regie: Anna Bergmann, Dramaturgie: Jens Groß. Termine: 17. Oktober, 28. Oktober, 1. November, 10. November, 22. November, jeweils 19.30 Uhr.

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