Das Montagsinterview: "Eine fürchterliche Erfahrung"

Brigitte Fronzek wollte Spitzenkandidatin der SPD Schleswig-Holstein werden und scheiterte. Ein Gespräch über demütigende E-Mails, deprimierende Abstimmungen und ihre Arbeit in der Stadtverwaltung.

Zu Beginn ihrer Amtszeit hatten manche Männer noch Schwierigkeiten, sich etwas von ihr sagen zu lassen: Brigitte Fronzek. Bild: dpa

taz: Frau Fronzek, Sie wollten Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein werden – jetzt sitzen Sie immer noch im Elmshorner Rathaus. Sind Sie frustriert?

Brigitte Fronzek: Es geht so. Die Niederlage im SPD-Kandidatenrennen war hart. Aber dass das nun der Weltuntergang für mich war, kann ich nun auch nicht behaupten.

Sie haben sich in den Zweikampf um die Spitzenkandidatur zwischen dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner und dem damaligen Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig eingemischt. Warum?

Ich wollte nicht, dass dieser Mitgliederentscheid zu einem Duell wird. Das führt dazu, dass man sich gegenseitig schlecht macht. Und wenn ich meinen Werdegang angucke, dann bin ich für die Stelle als Ministerpräsidentin sehr geeignet.

Das hat nicht geklappt. Aus einem Duell wurde ein Duell mit Beiwerk.

Ja, das hat mich sehr gewundert. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Kandidatur bekam ich E-Mails, in denen stand, dass meine Kandidatur nur eine Scheinbewerbung sei, um Albig Stimmen wegzunehmen. Das ging so weit, dass sogar Freunde mich gefragt haben: Warum willst du Ralf Stegner helfen? Das wollte ich überhaupt nicht!

60, wurde in Pinneberg (Schleswig-Holstein) geboren. Seit 1996 ist sie Bürgermeisterin von Elmshorn - einer Stadt mit rund 50.000 Einwohnern und 380 Mitarbeitern. Sie wurde zwei Mal wiedergewählt. Zuvor arbeitete die promovierte Verwaltungsjuristin als selbständige Anwältin und kümmerte sich vor allem um Fälle aus dem Sozialversicherungsrecht. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Gab es Druck?

Ja, allerdings nur per E-Mail und nur von der Gefolgschaft von Torsten Albig. Ich solle gefälligst meine Kandidatur zurückziehen, haben die geschrieben. Was diese Bewerbung denn überhaupt solle, mich wolle doch sowieso keiner. Torsten Albig hat mir versichert, er habe davon nichts gewusst. Ich habe keinen Anlass, ihm nicht zu glauben.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe es schlicht ignoriert. Als ich dann merkte, das geht nicht weg und hat ganz große Kreise ergriffen,habe ich versucht, offensiv zu werden und diese Sachen öffentlich gemacht.

Haben Sie persönliche Angriffe erlebt?

Nö, das war ja das Angenehme daran, nicht ernst genommen zu werden: Man hat sich keine Mühe gegeben, mich anzugreifen.

Wie ging es Ihnen während der Kandidatur?

Während das lief, war ich streckenweise völlig verunsichert. Ich habe mich gefragt, warum ich das wohl gemacht habe. Vor allem die ganze Arbeit! Ich habe für jede der 16 Vorstellungsrunden eine neue oder deutlich veränderte Rede gehalten. Und dann waren manche Abstimmungsergebnisse für mich völlig unbefriedigend. Wie kann es angehen, dass ich bei der Probeabstimmung nach der Vorstellungsrunde in Lensahn nur sieben Stimmen bekommen habe, während Stegner und Albig weit über 100 erhielten? Das war schon schwierig.

Was haben Sie nach der Abstimmung in Lensahn gemacht?

Ich habe auf der Rückfahrt mit meinen Unterstützern kurz darüber geredet und dann den Tag einfach abgehakt. Doch das reichte nicht. Das ist einfach eine fürchterliche Erfahrung. Am folgenden Wochenende habe ich das dann mit meinem Mann diskutiert. Er hat vorschlagen, dass ich mich mehr anstrenge.

Hat Sie die Kandidatur verändert?

Ja. Das durchgestanden zu haben, das überlebt zu haben, hat mir in der täglichen Arbeit viel gebracht. Ich habe viel mehr reflektiert, wo ich politisch stehe. Ich bin jetzt durchsetzungsstärker.

Werden Sie der Gefahr einer solchen schweren Niederlage in Zukunft aus dem Weg gehen?

Ich kandidiere nirgendwo mehr.

Auch nach der Niederlage im Mitgliederentscheid hätten Sie noch nach Kiel gehen können. Sie waren als Sozialministerin im Gespräch. Warum sind Sie noch hier?

Merkwürdigerweise war alles im Gespräch. Auch das Innen- und Justizministerium. Mir ist bei den Koalitionsverhandlungen aufgefallen, dass ich zeit meines Lebens selbstbestimmt gearbeitet habe. Ich habe gemerkt, dass ich Schwierigkeiten mit dem Unterordnen habe. Und ich habe mich mit dem Gedanken angefreundet, nicht mehr gar so lange 80 Stunden zu arbeiten. Im Dezember 2013 endet meine Amtszeit, dann höre ich auf zu arbeiten.

Sie wurden 1996 Bürgermeisterin von Elmshorn. Kamen die Mitarbeiter der Stadtverwaltung damals schon klar damit, eine Frau als Chefin zu haben?

Nicht alle. Ich habe das gar nicht bemerkt, bis irgendjemand mal sagte: „Das können Sie doch nicht machen, Herrn XY sagen, dass er sich geirrt hat. Das ist doch für ihn ganz furchtbar zu ertragen, das von einer Frau zu hören.“ Da war ich ganz überrascht.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Es blieb mir nichts anderes übrig, als solche Bedenken zu ignorieren. Ich kann doch nicht nur deshalb nicht sagen was ich denke, weil die Leute sich von einer Frau nichts sagen lassen möchten. Da mussten die durch – und ich auch.

Und wie hat das funktioniert?

Vieles hat sich durch altersbedingtes Ausscheiden von Mitarbeitern erledigt. Das ist eine Generationsfrage. Als ich hier anfing, gab es zwölf Ämter und davon wurde ein einziges von einer Frau geleitet. Inzwischen haben wir nur noch zehn Ämter, aber sieben werden jetzt von Frauen geleitet.

Weibliche Führungskräfte zu finden, war für Sie also kein Problem?

Wie Sie sehen, geht das ganz einfach. Das Problem ist, dass man Auswahlverfahren auch so gestalten kann, dass es nur die Männer werden.

Wie macht man das?

Indem man einfach nur auf die Dienstzeiten guckt. Und da Frauen ja immer mal drei Jahre aussetzen oder weniger arbeiten, wenn sie Kinder zu betreuen haben, fallen sie aus dem Raster.

Wie lange sollte man Bürgermeister einer Stadt bleiben?

Nicht länger als 18 Jahre. Ich habe mir bei der letzten Wahl gut überlegt, ob ich noch mal kandidiere. Aber wir hatten damals so viele angefangenen Projekte, ich hatte Angst, dass es vielleicht nichts mehr wird, wenn ich nicht mehr dabei bin.

Das Problem werden Sie doch im nächsten Jahr wieder haben, wenn ihre Amtszeit endet.

Dann habe ich das Wichtigste durchgezogen. Es hat ja auch einen bestimmten Reiz, nach 18 Jahren das Stadtfest nicht mehr eröffnen zu müssen.

Ist das nervig?

Es macht auch Spaß. Aber es hat in der Wiederholung dann durchaus Schwierigkeiten.

Warum sind Sie eigentlich in der SPD?

Ich finde es richtig, wofür die SPD steht. Aber es liegt auch in der Familie. Es sind alle mit 17 eingetreten! Mein Opa, mein Vater, mein Sohn, ich.

Das heißt, dass ihre Familie auch Erfahrung mit der Verfolgung in der NS-Zeit gemacht hat?

Väterlicherseits war meine Familie sozialdemokratisch, schon immer, mütterlicherseits kommunistisch. Wobei die Kommunisten natürlich mehr Erfahrung mit Verfolgung hatten als die Sozialdemokraten. Die haben sich nur ein bisschen versteckt gehalten im Dorf und die schwarz-rot-goldene Flagge vergraben, bis der Krieg vorbei war. Meine kommunistische Großmutter war im Konzentrationslager.

Wie hat Sie das beeinflusst?

Im Umgang mit Neonazis hat mich das geprägt. Außerdem hat das dazu geführt, dass ich mich mit voller Kraft für die Demokratie einsetze.

Mit Neonazis auseinandersetzen mussten Sie sich am Anfang ihrer Amtszeit.

Ja, das war ein importiertes Problem. Die kamen 1999 und 2000 hierher nach Elmshorn, um Aufmärsche zu machen. Mich als Bürgermeisterin hat das natürlich unglücklich gemacht, dass meine Stadt im Zusammenhang mit Neonazis genannt wurde. Es gab keine andere Möglichkeit als dagegenzuhalten und auf das Problem aufmerksam zu machen. Das war sehr lehrreich.

Wie meinen Sie das?

Ich habe gelernt, dass man, wenn man gegen die Neonazis aufsteht, schnell alleine dasteht, vor allem wenn man exponiert auftritt. Ein Teil meiner Nachbarn hat mit mir herumgemeckert, weil die Nazis Wurfkrallen in die Straßen geworfen hatten.

Das haben die Ihnen vorgeworfen?

Ja! Wenn ich mich mit den Neonazis anlege, sollte ich doch dafür sorgen, dass die Nachbarn nicht behelligt werden. Das hat mich schon etwas nachdenklich gemacht. Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die glaubt, wenn man ein Problem ignoriert, dann geht es weg. Die wollten, dass ich keine Gegendemo mache, damit es keiner mitbekommt.

Das klingt nach einer klassischen Bürgermeister-Position.

Ja. Und was hat das im Osten gebracht? Nichts.

Hatten Sie Erfolg?

2001 haben die Gegendemonstranten viel Unterstützung erhalten und das hat mir gezeigt, dass wir viel stärkere Aufklärungsarbeit leisten müssen. Dann sind die Menschen auch bereit, sich zu engagieren. 2001 ist auch eine erneute Demo der Neonazis verboten worden. Das Verbot ist vom Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben worden. Das hatte aber auch mit den Anschlägen auf mein Haus und auf die IG Metall zu tun. Das habe ich damals nicht publik gemacht. Ich wollte keine Nachahmungstäter herausfordern, war am Ende sehr eingeschüchtert und brauchte Polizeischutz.

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