Zufluchtsort Berlin: Flüchtlinge stark im Kommen

In Berlin suchen deutlich mehr Menschen Asyl als in den Vorjahren. Acht Notunterkünfte eröffnet. Opposition kritisiert "dramatisch verschlechterte" Situation.

Flüchtlingsprotest vorm Brandenburger Tor. Bild: dpa

Nach Berlin kommen so viele Flüchtlinge wie seit Jahren nicht. 3.500 neue Asylsuchende erwartet Sozialsenator Mario Czaja (CDU) dieses Jahr. 2011 kamen noch 2.316 Flüchtlinge, 2006 waren es nur 913.

Czaja sprach am Donnerstag im Abgeordnetenhaus von einem „enormen Anstieg“. Allein im September hätten 2.316 Menschen Asyl beantragt, im gleichen Monat vor einem Jahr waren es 443. Acht Notunterkünfte mit 920 Plätzen habe man zuletzt eingerichtet. Insgesamt seien momentan 4.878 Asylbewerber in 25 Einrichtungen untergebracht. Dazu kämen 7.000 Flüchtlinge in Wohnungen.

Czaja berichtete vor allem von Einreisen aus Serbien und Mazedonien, teils mit „organisierten Busreisen“. Kein einziger Asylantrag dieser Bürger sei 2012 bisher anerkannt worden. Das klang verdächtig nach Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der gerade eine „Asylmissbrauch“-Debatte lostrat. Czaja allerdings betonte, Berlin habe in den Neunzigern schon größere Flüchtlingszahlen bewältigt. „Jeder, der hier Zuflucht sucht, kann aufgenommen und mit angemessener Unterkunft versorgt werden.“

Die Opposition kritisierte dagegen eine „dramatisch verschlechterte Lebenssituation“ der Asylbewerber. Einrichtungen seien „hoffnungslos überfüllt“, Mitarbeiter überfordert. Eilig würden spartanische Container-Dörfer aufgebaut, Sanitäranlagen fehlten, Kinder- und Schulbetreuung ebenso.

Linke, Grüne und Piraten forderten auch die Abschaffung des „unwürdigen“ Asylbewerberleistungsgesetzes: Die entsprechende Bundesratsinitiative solle Berlin mittragen. Mit dem Gesetz erhalten Asylbewerber bisher nur rund 60 Prozent der üblichen Sozialleistungen. Das wertete das Bundesverfassungsgericht im Juli als grundgesetzwidrig.

Rot-Schwarz vertagte den Antrag in die Ausschüsse. Es brauche noch „Überzeugungsarbeit“ bei der CDU, gestand Ülker Radziwill (SPD). Sie selbst zollte dem Protestmarsch von Flüchtlingen, der Anfang Oktober Berlin erreichte, „Anerkennung und Solidarität“. Auch die Opposition lobte „Einsatz und Kraft“ der Protestierer, von denen sich einige jetzt im Hungerstreik befinden.

Czaja kritisierte indes die Bezirke, die eine Aufnahme von Flüchtlingen verweigerten. So bringt derzeit etwa Lichtenberg 1.181 Asylbewerber unter, in Steglitz-Zehlendorf sind es nur 40, in Reinickendorf 46, in Neukölln 53. Dies soll künftig „gleichmäßiger“ erfolgen, so Czaja. So konnten zuletzt drei Notunterkünfte in Moabit, Mitte und Heiligensee eröffnet werden. Laut Czaja fehlen bis Jahresende dennoch weitere 700 Plätze.

SPD-Frau Radziwill warnte davor, die Debatte Populisten zu überlassen. Friedrichs Äußerungen nannte sie „enttäuschend“. Die Linke erinnerte, dass die Asyldebatte der Neunziger zu Ausschreitungen führte. Der CDU warf sie vor, in Rudow gemeinsam mit der NPD gegen ein Flüchtlingsheim gewettert zu haben.

Die Neonazi-Partei meldete just für Samstag, ab 10 Uhr, eine Kundgebungsfahrt für "Recht und Ordnung" und gegen "Südländer-Horden" an: Von Grünau über Marzahn, Hohenschönhausen nach Weißensee. Angemeldete Teilnehmer: 10.

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