Kolumne Back on the scene: Besser als Bubble Tea

Das Leben kann so schön sein an diesem letzten legendären Herbstwochenende. Man muss sich nur mit lustigen Blasen umgeben.

Die Sonne beleuchtet Berlin, als wäre es Tel Aviv. Bild: dpa

Wenn man fast vierzig ist, kauft man keinen Bubble-Tea mehr, will aber trotzdem manchmal Spaß haben. Wenn überhaupt, eröffnet man als prekärer Mensch völlig verzweifelt gleich eine ganz Bubble-Tea-Filiale. Falls man gerade noch in der Lage ist, seine Gegenwart anders zu finanzieren – von Vorsorge kann natürlich sowieso keine Rede sein –, sucht man sich Blasen und Geblubber anderswo.

Mein bester Freund zum Beispiel verfügt dank einer veritablen Lactose-, Fructose- und Glutenintoleranz – was man heute halt so hat – über einen partiell aufgeblähten Bauch. Auf diesem mit meinem Kopf zu ruhen hatte ich neulich im wahrsten Sinne des Wortes die Freude. Wir lagerten aufgrund guter Beziehungen an einem Swimming-Pool hoch über den Dächern von Berlin.

Es begab sich an diesem letzten, legendären Spätsommer-/Herbstwochenende. Er okkupierte eine der wenigen freien Liegen, und weil ich auch den Sonnuntergang sehen wollte, legte ich mich dazu und nutzte seinen Bauch als Kissen. Was einen ungeahnten Effekt hatte: Jedes Mal, wenn er lachen musste, musste ich, bedingt durch die Erschütterungen, mitlachen. Und umgekehrt. Mein Freund war also ein Lachsack, und wir beide bildeten ein Perpetuum mobile der Heiterkeit.

Wir schauten lustige Videos auf dem iPhone an – Ades Zabel als Vicki Leandros zum Beispiel. Machten Fotos von unseren Aperol-Spritz-Gläsern, die in der Abendsonne unwirklich leuchteten, besonders weil sie am Poolrand standen. Am Rand eines Pools, in dem zwei niedliche Südfranzosen plantschten.

Nie wieder Steuererklärungen

Wir dachten im Traum nicht mehr daran, an unsere gescheiterten Beziehungen zu denken. Nie wieder würden wir über Steuerklärungen, das Älterwerden, die Rente und all diese Sachen nachdenken. Nie wieder, wenigstens für diese einen halbe Stunde, in der die Sonne Berlin ausleuchtete, als wäre es Tel Aviv, und gleich rechts um die Ecke, da wäre dann der Strand.

Unter mir gluckste der Bauch meines Freundes, in den Aperol-Spritz-Gläsern perlte es und außen bildeten sich Wasserperlen, so wie man sie auch auf der schön gebräunten Haut des Südfranzosen sehen konnte, der nun am leicht brodelnden Pool-Rand ruhte.

Das Leben war schön, in dieser einen halben Stunde. Nur schön? Immer strebt man nach dem Glück, und nur manchmal, ganz selten, bekommt man es zu fassen. Links neben uns konnte man schon den Mond sehen. Schon bald wurde es dunkel. Und kühl. Wir verließen die Dachterrasse, beide hatten wir noch Verabredungen für den Abend. Wir trennten uns mit einer Umarmung.

Heute, eine Woche später, sitze ich alleine in meiner Wohnung, und draußen ist es kalt. Der Winter kommt, und der macht mir gerade ein bisschen Angst. Wenn da nicht dieses Blubbern wäre. Dieses vertraute Blubbern in den Heizkörpern. Ein Fachmann würde sagen: Die müssen entlüftet werden. Aber ich sage: Schon die Heizkörper meiner Kindheit waren schlecht entlüftet, und so soll es bleiben.

Ich finde diesen Blubber-Sound heimelig, es ist mein Knistern im Kamin, es ist mein Meeresrauschen vor dem Schlafzimmerfenster. So lange es dort ordentlich blubbert, kann mir der Winter mit seinen langen, dunklen Stunden nichts anhaben. Ich muss mir nur noch Kerzen besorgen. Und einen niedlichen Südfranzosen im Wollpulli.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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