Ernennung zum Weltschiedsrichter: Statistisches Phänomen

Markus Merk ist mal wieder Weltschiedsrichter. Ernannt hat ihn die International Federation of Football History & Statistics, die skurrile Organisation eines gewissen Alfredo Pöge.

In welchem Licht sonnt er sich? "Weltschiri" Markus Merk Bild: dpa

Womöglich hat Dr. Alfredo Pöge am Montag einen Sekt aufgemacht. Hat er es doch als Präsident der International Federation of Football History & Statistics (IFFHS) wieder mal in fast alle deutschen Medien gebracht. Dass Dr. Markus Merk von der IFFHS zum dritten Mal als "Welt-Schiedsrichter des Jahres" ausgerufen wurde und mit dem Zweitplatzierten Herbert Fandel die deutschen Referees einen Doppelsieg landeten, war sowohl Spiegel Online, Focus Online als auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zumindest eine Meldung Wert. Mit Ehrungen wie "Welttorhüter" oder "Welttorjäger" verschafft sich die IFFHS weitere Publizität. Die Gesellschaft, die sich in einem unscheinbaren Reihenhaus in Bonn-Hardtberg verbirgt, stellt den Nachrichtenagenturen gern ihre ellenlangen Statistik-Kolonnen zur Verfügung. Nur wenn man sich für den die IFFHS selbst interessiert, scheut der Fußball-Doktor das Licht der Öffentlichkeit.

Wissensdurstigen Journalisten, die sich für die Kriterien der Wahlen interessieren, gewährt der Präsident keine Audienz. "Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht", teilt er dann barsch mit. 90 Prozent der Fußballjournalisten wüssten "doch gar nicht, wen wir ehren. Die haben keine Ahnung, was in der Welt passiert." Das Niveau der Sportberichterstatter etwa in Holland oder Spanien hingegen sei viel höher. Am Telefon demonstriert Pöge ein fast überbordendes Selbstbewusstsein. Klar ist, dass es für statistische Fußballdinge weltweit nur eine Kapazität gibt: ihn und die IFFHS. Aber wäre ein Zeitungsartikel nicht auch eine gute Werbung für seine Organisation? Pöge findet das nicht: "Wir haben keinerlei Interesse an PR, in keiner Form."

Die Website der IFFHS ist freilich entlarvend genug. Rund 200 Mitglieder in 120 Ländern hat laut eigenen Angaben die Gesellschaft, die sich "um eine chronologische Dokumentation des internationalen Fußballs auf wissenschaftlicher Basis sowie um die authentischen Weltrekorde in allen Belangen des Fußballs bemüht". Hier ist zu erfahren, dass Pöge, als er die IFFHS 1984 in Leipzig gründete, gar die sozialistische Staatsmacht herausforderte: Pöges Wahl zum Präsidenten der IFFHS habe "in der DDR zu gewaltigen Turbulenzen" geführt. Pöge "strebe nach Perfektionismus, lehnt unlogische Aktionen radikal ab und hält an dem Grundsatz fest, je tiefer man in die Materie eindringt, desto weniger weiß man. Er sieht sich, obgleich er der Ideengeber war und ist, nur als einen Teil der IFFHS und lehnt jeglichen Personenkult ab."

Was Pöge, der "letzte Idealist Europas" (Eigenwerbung), und die IFFHS in Bonn so treiben, finden anerkannte Fußballhistoriker wie Karl Lennartz indes recht seltsam. "Diese IFFHS ist etwas völlig Obskures", sagt der emeritierte Kölner Universitätsprofessor. Weil Pöge seinen Antrag, bei der IFFHS Mitglied zu werden, vor einigen Jahren abgelehnt hat, vermutet der Kölner Sporthistoriker eine Ein-Mann-Veranstaltung hinter der IFFHS: "Wahrscheinlich gibt es nur den Pöge." Sollte die ganze Arbeit der IFFHS tatsächlich darin bestehen, dass ein älterer Herr zu Hause in womöglich manischer Weise ellenlange Statistiken aufstellt? Dann, immerhin, wäre die mediale Präsenz spektakulär.

Dabei hat die taz schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die "hochtrabend klingenden Titel", die Pöge sich ausgedacht hat, mitnichten offizielle seien, sondern "in stiller Selbstanmaßung vergeben" würden. Wenn es die IFFHS trotzdem häufig in die Zeitungen schafft, ist dafür der Sportinformationsdienst (sid) in Neuss verantwortlich. Der "verwertet nur das, was Pöge uns per Fax schickt", verteidigt sich der leitende Redakteur Ralph Durry zwar. Aber was hinter der IFFHS steckt, weiß Durry nicht. Nur dass sich Pöge "auf einen Kreis von internationalen Experten" berufe. Die Konkurrenz von der Deutschen Presse-Agentur (DPA) dagegen ignoriert Pöge. Nachdem DPA-Redakteure Pöge auf der IFFHS-Veranstaltung "World Football Gala" beobachtet hatten, entschieden sie sich, die Pöge-Listen nicht mehr über den Nachrichtenticker laufen zu lassen. Sie wissen schon, warum.

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