Die SPD wirft Ballast ab

Die Ära Riester ist endgültig vorbei: Die Prestigeprojekte aus dem ersten rot-grünen Regierungsjahr wurden abgeschafft oder aufgeweicht

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Angeblich ist eine schwarz-grüne Regierung ja eine Spinnerei. Fast jeder hält eine solche Koalition für undenkbar – dabei existiert sie schon. Jedenfalls beim Thema Arbeitsmarkt. Gestern tagte der Vermittlungsausschuss, um sich über die Hartz-Reformen zu einigen. Am Ende gab es einen Verlierer: die SPD. Und noch etwas genauer: ihr Arbeitnehmerflügel.

Die Ära Riester ist endgültig vorbei. Drei große Prestigeprojekte aus dem ersten rot-grünen Regierungsjahr wurden wieder abgeschafft oder stark aufgeweicht. Das „Dienstmädchenprivileg“, eine Erfindung des späten Kohl, kehrt zurück. Die Novelle zum Scheinselbstständigengesetz wird korrigiert – und es ist auch wieder erlaubt, einen Billigjob als Nebenverdienst anzunehmen (siehe unten).

Vor allem aber hat Deutschland nun einen neuen Niedriglohnsektor, der sich etwas doppeldeutig „Gleitzone“ nennt. Wer 401 bis 800 Euro verdient, muss künftig nicht mehr die vollen Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Genau dies hatte die Union vor der Wahl gefordert, damals nannte sie es „Drei-Säulen-Modell“. Und so findet Sozialexperte Karl-Josef Laumann denn auch: „Unser Wahlprogramm wird eins zu eins umgesetzt.“

Aber auch für die Grünen ist die Idee nicht neu, sie hieß nur anders. Schon vor fast einem Jahr, auf ihrer Klausurtagung in Wörlitz, wollten sie die „Teilzeitmauer“ einreißen. Der damalige Parteichef Fritz Kuhn zeigte sich sogar noch großzügiger als die Union: Bis zu 920 Euro sollten nur eingeschränkte Sozialbeiträge fällig werden. Nur die SPD konterte bissig: Nicht drin. Höchstens zur „Entbürokratisierung“ der Billigjobs war man damals bereit.

Nun also hat dieses Wort „Entbürokratisierung“ eine ganz neue Bedeutung erhalten – über die Wirkungen wird jedoch gestritten. Während Laumann auf „rund 500.000“ neue Arbeitsplätze hofft, rechnet Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) mit „mindestens 320.000“. Die grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert wollte gestern „keine Prognose“ wagen und „erst einmal abwarten, was passiert“. Wenn etwas passiert, dann bestimmt in der „Gleitzone“. Denn künftig wird ein 405-Euro-Job für die Arbeitgeber billiger sein als ein traditioneller Minijob, der von 325 auf 400 Euro hochgestuft wird. Schließlich fallen in der Gleitzone ja nur die normalen 21 Prozent Sozialversicherungsbeiträge an – während beim Minijob künftig eine Pauschalabgabe von 25 Prozent zu entrichten ist. Dückert nennt diese Operation „eine Speckschwarte auslegen“. Ganz bewusst will man die Arbeitgeber animieren, vom Minijob in die Gleitzone zu wechseln.

Aber wie sollen dann noch zusätzliche Arbeitsplätze entstehen? Schließlich ist folgendes Szenario nicht abwegig: Viele, viele Hausfrauen, die bisher nur 325 Euro verdienen, verlängern künftig ihre Arbeitszeit, um ihren Lohn auf 402 oder auch 500 Euro aufzustocken. „Das soll man den Leuten doch gönnen“, findet Laumann. Und auch Dückert sieht diese individuelle Arbeitszeitverlängerung durchaus positiv: „Dadurch vermeiden wir die Stückelung von Jobs.“

Spätestens hier zeigt sich, was für ein Rattenschwanz Arbeitsmarktpolitik sein kann: Denn ehemalige Vollzeitjobs können künftig in mehrere Minijobs zerfallen, weil wieder erlaubt sein soll, einen Minijob als Nebenerwerb anzunehmen. Dadurch steigt die Zahl der potenziellen Minijobber schlagartig um mindestens 20 Millionen. Warum dieses Risiko? „Wir wollen die Schwarzarbeit begrenzen“, antwortet Rot-Grün unisono und erwartet „neue Dynamik auf dem Arbeitsmarkt“.

Da lacht die Sprecherin der Gewerkschaft „Nahrung – Genuss – Gaststätten“ nur bitter. „Bewegung“ erwartet sie auch, „aber keine Arbeitsplätze“. Beispiel McDonald’s, in Sachsen-Anhalt: Die Ungelernten, Tarifgruppe I, erhalten dort schon jetzt nur 799 Euro monatlich, für die sie bisher volle Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Künftig wird es etwas weniger sein. Das kann man „mehr netto“ für die Angestellten nennen, wie es die Regierung tut. Die Gewerkschaft ist da härter: „Man bezuschusst die Arbeitgeber.“ Für nichts, denn den Job gebe es ja schon.