Dieses Buch ist eine Waffe

Genua war unser Münster: Das italienische Autorenkollektiv Luther Blissett zieht in dem historischen Roman „Q“ eine Linie von frühneuzeitlichen Häretikern zu postmodernen Globalisierungskritikern

von MARINA COLLACI

Wenige Tage vor Beginn des G-8-Gipfels in Genua im Juli 2001 erschien in der Mailinglist der Autorengruppe Wu Ming ein langer Brief: eine Einladung an die moltitudini, an die „Vielheiten“, bei den Gipfeldemos mitzutun, eine andere Welt zu imaginieren und die Kraft zum Ungehorsam aufzubringen. Unterzeichnet hatte den Aufruf Gert dal Pozzo. Er ist der Held oder genauer: der Antiheld des im Deutschland des 16. Jahrhunderts angesiedelten Romans „Q“, den die Gruppe Wu Ming unter dem Kollektivnamen Luther Blisset veröffentlicht hat.

Gert dal Pozza also sprach dank Internet von Du zu Du mit seinen Lesern. Sein Appell blieb nicht ohne Echo. Zur eigenen Überraschung zählten die in Genua zusammengeströmten „Vielheiten“ 300.000 Personen. Auf der Suche nach einer andren Welt hatten sie aber nicht nur den imaginären Gert an ihrer Seite, sondern bekanntlich auch das Schicksal, das den häretischen Revolutionär verfolgt und seine Bemühungen um die andere Welt immer wieder zum Scheitern bringt.

Gert ist ein aus den Reihen der Wiedertäufer stammender Abenteurer, der quer durch Europa zieht, geleitet von seinen Freiheitsidealen, der an den Bauernaufständen in Deutschland genauso mitwirkt wie an der Bewegung der Wiedertäufer in Münster, der dann in Holland der Gewalt abschwört, um stattdessen ins wirtschaftliche Geschehen einzugreifen – einer seiner Coups ist ein Großbetrug zum Schaden der Fuggers –, der schließlich zu den Hippiesekten ante litteram in Antwerpen stößt, um am Ende mit den jüdischen Kaufleuten von Venedig ins Geschäft zu kommen. Doch was immer Gert anfängt, Bewegung in die alte Weltordnung zu bringen – jeder seiner Versuche endet in einem Blutbad.

Ihm auf den Fersen ist nämlich Q, der perfide Spion in Diensten des Kardinals Gianpietro Carafa und hoch begabte Handlanger der Macht, der nicht nur die Repression organisiert, sondern sich auch, getarnt als leidenschaftlicher Revolutionär, in jede der häretischen Bewegungen einschleicht: um die gewalttätigsten Mitstreiter aufzustacheln, um die Revolte in den Fanatismus hinzutreiben, bis sie selbst ihre Freiheitsideale verrät, um so die Kriminalisierung der Aufständischen und schließlich ihre blutige Massakrierung durch den weltlichen Arm der Inquisition zu erleichtern. – Genua war unser Münster, kommentierte denn auch schon während der Tage der G-8-Polizeigewaltorgie so mancher der vielen italienischen „Q“-Leser, die bei den No-global-Protesten dabei waren und im Wirken wenigstens eines Teils des Black Block – jenes Teils, der wie von der Polizei ferngesteuert agierte – das Gespenst von Q wiederentdeckten.

In ebenso gewalttätiger wie poetischer Sprache geschrieben, schaffen es die „Q“-Schreiber, den Leser mitten in die protestantische Reform zu katapultieren, ihn in die Dispute von Carlostadio und Melanchthon zu verwickeln, ihn über 800 Seiten hinweg mit einer atemlosen spy novel zu unterhalten und zugleich – die Autoren aus Bologna sind Schüler Umberto Ecos – einen historischen Roman abzuliefern, der unschwer als Parabel auf heutige Zustände zu lesen ist.

Distanziert haben sich zwar die Autoren von den in der Leserschaft beliebten Analogien mit dem Schwarzen Block – das „Q“-Schreiberkollektiv ist in Italien in der Bewegung der „Tute bianche“ aktiv und hält nichts von der Dämonisierung der feindlichen Brüder. Kein Widerspruch jedoch kam gegen die Interpretationen, die hinter dem Roman-Luther die Wesenszüge zum Beispiel Massimo D’Alemas erblicken wollten, des Stars der aus der KPI hervorgegangenen Partei der Linksdemokraten. Kein Widerspruch auch gegen jene Interpretationen, die die Infiltration der fanatischsten und gewalttätigsten Revoluzzergruppen durch die Agenten des Papstes und der Fürsten als Parallele zur zweideutigen Geschichte der Roten Brigaden lesen.

Trotz all der Blutbäder, die Gert dal Pozzo erlebt, endet Q durchaus nicht pessimistisch. Hoffnung keimt wieder bei dem Revoluzzer, dank des Aufkommens des Buchdrucks. Trotz aller Repression können Ideen frei zirkulieren, Menschen aus allen Ecken Europas virtuell in Kontakt treten, kann subversives Gedankengut sich der Zugriffsmacht der Herrschenden entziehen: Bücher als Waffe, Schreiben als politische Aktion – nicht umsonst kann „Q“ komplett aus dem Internet runtergeladen werden. Deshalb auch treten die vier Autoren Roberto Bui, Giovanni Cattabriga, Luca di Meo e Federico Guglielmi – alle ein paar Jahre jenseits der dreißig – nicht unter eignem Namen auf, sondern nutzen multiple names.

Erst waren sie Luther Blissett, ein Name, der im Internet und anderswo von allen verwandt wurde, die darauf Lust hatten, der auch in den USA und Deutschland vielen „Kulturterroristen“ als Unterschrift diente. Heute dagegen firmieren die vier aus Bologna chinesisch als Wu Ming, was schlicht „namenlos“ bedeutet. Tot sei eben der Autor als Wesen von besonderer Sensibilität, „im Kontakt mit höheren Sphären des Seins, auch wenn er über absolut banales Zeug schreibt“. So attackieren die Wuming den Ich-Kult von Schriftstellern, die vor allem damit befasst sind, über ihr eignes Seelenleben Auskunft zu geben: „Das gesamte Werk von James Joyce wiegt nicht mal eine einzelne Bemerkung von Dashiell Hammett auf.“

Luther Blissett: „Q“. Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann. Piper, München 2002. 798 S., 22,90 €ĽAußerdem sind unter dem Titel „The Invisible College“ kunsttheoretische Texte von Luther Blisset erschienen (edition selene, Wien 2002, 100 S., 14,90 €)