Charme mit Minimalerotik

In der DDR hatte „Das Magazin“ einst 600.000 Leser, ein Zehntel davon ist noch übrig. Dabei genießt Deutschlands älteste Publikumszeitschrift vor allem in Literaturkreisen einen guten Ruf – allerdings nicht wegen der „erotischen“ Fotostrecke

von MARKUS MÜNCH

Der Zeitungsverkäufer im U-Bahnhof Berlin-Alexanderplatz hält Ordnung in seinem Kiosk und sortiert Zeitschriften nach Größe. Die aktuellen Handtaschenausgaben von Vogue, Glamour und Allegra hat er in kleine Plastikkästchen gestellt, die eigentlich für Bastei-Romanheftchen gedacht waren. Und weil das Format so gut passt, steht direkt daneben auch Das Magazin – die einzige dieser Zeitschriften, von der es keine Ausgabe im gängigen DIN-A4-Format gibt.

„Bis vor zwei Jahren hieß es noch, das kleine Format sei anachronistisch. Jetzt sind wir plötzlich Avantgarde“, sagt die Chefredakteurin des Magazins, Manuela Thieme. Während die jüngeren Zeitschriften mit der Miniausgabe eine „mobile“ Zielgruppe ansprechen wollen, hat das handliche Format beim Magazin Tradition, und die reicht weit über die Zeit als DDR-Kultzeitschrift hinaus.

Bereits 1924 wurde das Blatt in Berlin gegründet – so steht es auch auf jeder Ausgabe und signalisiert damit: Nein, wir sind nicht nur ein übrig gebliebenes DDR-Blatt! Und das Leitmotiv steht als Claim gleich darüber: „Die Lust zu Lesen“.

Seit dem letzten Wechsel der Chefredaktion versucht sich das Magazin mit einer deutlichen Konzentration auf junge Autoren – sei es als Thema oder indem Geschichten oder Romanauszüge direkt abgedruckt werden. Das Ziel ist klar: Zumindest der Kultstatus aus alten DDR-Tagen soll wieder her, auch wenn es mit der damaligen Auflage von 600.000 Exemplaren sicherlich ein für alle Mal vorbei ist. Dafür haben nach der Wende die neuen Besitzer gesorgt – wegen eines Missverständnisses, mit dem das Magazin auch heute noch zu kämpfen hat: dass es eine Art DDR-Playboy gewesen sei. Denn schließlich gab und gibt es in jeder Ausgabe eine Fotostrecke mit Aktaufnahmen.

Als 1991 der Berliner Verlag, zu dem auch das Magazin gehörte, an Gruner + Jahr ging, war für den Westkonzern klar: „Sex sells!“ Das Heft wurde „durcherotisiert“, um auch in den alten Bundesländern dem Playboy Paroli bieten zu können. Doch statt neuer Käufer kam 1993 der Insolvenzverwalter. Zumindest stand jetzt fest, dass es nicht die nackte Haut war, die in der DDR ein Abonnement des Magazins zu einem begehrten Erbstück gemacht hatte.

Nach mehreren Besitzerwechseln und einer weiteren Pleite landete das Magazin schließlich bei Manuela Thieme. Zunächst war sie Chefredakteurin, seit Anfang September gibt sie das Heft nun auch im eigenen „Seitenstraßen Verlag“ heraus. Von der ehemaligen Rekordauflage sind mit 60.000 Exemplaren gerade noch zehn Prozent übrig geblieben, und Werbekunden haben dem Magazin noch nie viel Geld eingebracht. Abos und Kioskverkauf sind die Hauptfinanzierungsquellen und entscheiden monatlich über den Fortbestand.

Auf der Suche nach neuen Lesern soll aber nicht alles Gewohnte über Bord gehen, schließlich sitzen in Ostdeutschland über Jahre hinweg treue Stammleser. Für die gibt es zum Beispiel weiterhin die Aktstrecke – „ein Erbstück, das wir pflegen“, sagt Thieme. Bleibt den jungen Westlesern, von denen das Magazin gerne mehr hätte, nur ein sanftes Lächeln über den minimalerotischen Charme ebendieses Erbsstücks.

Entschlossener arbeitet das Monatsheft an seinem Image als Literaturmagazin – für und über junge Schriftsteller und am liebsten als Gegenpol zur „Generation Golf“. Denn die Schriftsteller, für die sich das Magazin interessiert, brauchen ein gewisses Profil, einen interessanten Punkt in der Biografie. So wie im aktuellen Heft Andreas Scholz, der sich in seinem Roman „Rosenfest“ mit der RAF-Historie befasst hat. Oder Jana Hensel, deren Roman „Zonenkinder“ im August Pate für die Titelstory stand. In der schwierigen Situation von Hensels Charakteren (20- bis 30-Jährigen mit einer Ostbiografie, die ihren Weg suchen) wähnt sich auch das Magazin selbst – Thieme nennt das allerdings optimistischer „Wendestarter“.

Das behutsame An-die-Hand-Nehmen der Ostleser hat dem Magazin schon den höhnischen Spitznamen „Zentralorgan für ostdeutsches Lebensgefühl“ (Kress Report) eingebracht, gleichzeitig entdeckte die FAZ in ihm den „NewYorker des Ostens“. Als Unikum sieht sich das Magazin auf jeden Fall, in einer Nische mit eng verbundenen Lesern, die in jeder Ausgabe zwei Seiten Liebsbezeugungen kundtun. „Liebes Magazin! Wir kennen Dich seit 1973, da waren wir in der ersten Klasse.“ Auch Kritik gibt es in den Leserbriefen, und die wird sehr ernst genommen: Leser-Blatt-Bindung ist äußerst wichtig. Und kommt mal ein Brief aus Westdeutschland, wird der gleich ganz groß gedruckt – schließlich liegt das kleinformatige Heft dort meist sehr verloren am Bahnhofskiosk.