Kugelblitz mit Geistesblitzen

8:0 – das ist ja wie bei der WM! Werder Bremen demütigt seine ukrainischen Gäste mit dem höchsten Sieg seiner UEFA-Cup-Geschichte. Goalgetter Ailton zeigt, was er sonst noch alles kann

Schaafs Kompliment: „Da fällt es schon schwer, etwas zu meckern zu finden“

Semion Altman machte ein Gesicht, als wüsste er, dass er morgen mit Beton an den Füßen auf dem Grund des Donez liegen würde. Und sein Bremer Trainerkollege Thomas Schaaf nahm ihn in den Arm und schaute ihm wortlos lang und ernst in die Augen – wie einem, der gerade einen nahen Angehörigen verloren hat. Dabei war Altmans Regisseur Dzahamarauli vor Anpfiff abgereist, weil sein Vater gestorben war. Vielleicht wäre sonst alles nicht so schlimm gekommen.

„So ein Ergebnis habe ich mir nicht mal in meinen Albträumen vorgestellt“, stammelte der aschfahle Trainer von Metalurg Donezk, nachdem er eine Weile nach Worten gerungen hatte. Immerhin hatte Altmans Mannschaft im Hinspiel gut mitgehalten (2:2). Davon war am Donnerstagabend im Weserstadion nichts mehr zu ahnen. Gnadenlos schoss Werder die Stahlkocher aus der Ukraine ab, die die Heimreise schließlich mit der zusätzlichen Last von acht Gegentoren im Gepäck antreten mussten. Hoffnungslos überfordert reagierten die Gäste auf Werders Angriffswellen, die ohne Hast wieder und wieder auf ihr Tor zurollten.

Das Einzige, was bei den Gästen funktionierte, war die Taktik der Fans: Ein Häuflein von vielleicht fünfzig Aufrechten nutzte jeden Moment der Stille im Weserstadion, um sich ein bisschen Hegemonie herbeizubrüllen. Mit ihren tragikomischen Tröten, mit denen man das Klagelied eines sterbendem Seeelefanten imitieren kann, deuteten sie aber schon mal an, dass es nichts zu jubeln geben würde.

Werders Abwehr war so gut organisiert, dass sich Mladen Krstajic und Frank Verlaat immer wieder ins Angriffsspiel einschalten konnten. Folgerichtig gaben sie den Startschuss zum lustigen Scheibenschießen: Ecke, Kopfballverlängerung Krstaijic, Verlaat mit dem Oberschenkel zum 1:0. Nach dieser hausbackenen Eröffnung der Hinterbänkler wurde vorn gezaubert – ein wenig mit vertauschten Rollen: Spielmacher Johan Micoud genügte ein durchschnittlicher Auftritt, dafür schoss er selbst zwei Traumtore. Torjäger Ailton ging dagegen leer aus, machte aber als Vorbereiter von drei Toren ein bärenstarkes Spiel.

Überhaupt, Ailton: Der Wirbelstürmer zeigte, wie furchterregend er ohne Abseitsregel wäre. Die Metallurgen versäumten, die Abseitsfalle aufzubauen, folglich konnte er auch nicht hineintappen. Und so schlug Werders „Kugelblitz“ ein ums anderer Mal im Strafraum der Ukrainer ein, um dort dann auch noch Geistesblitze zu produzieren. So viel Übersicht war nie beim als eigensinnig verschrienen Brasilianer. Zum Beispiel vor dem 4:0, als er seinem Gegenspieler im 20-Meter-Sprint fünf Meter abnahm, ihn dann an der Auslinie ausfummelte und schließlich punktgenau für Micouds Volleyhammer in den Winkel auflegte. Angesichts solcher Energieleistungen versteht man natürlich, warum Ailton sich mittags in der „Osteria“ den Bauch vollschlagen muss. Noch Tor-des-Monats-verdächtiger war das 2:0: ein blitzschneller Doppelpass zwischen Ailton und Krisztian Lisztes, Pass auf Micoud, der Torwart Yuriy Virt mit einem butterweichen Heber frustrierte – Weltklasse. Der zuletzt ausgepfiffene Jungstar Tim Borowski hatte gut aufgepasst, lupfte seinen zweiten Treffer später auch gefühlvoll über den Bedauernswerten – unter den wohlwollenden Augen von Rudi Nazionale, der sich daran erinnert gefühlt haben muss, wie die Seinen die Saudis verhauten.

So macht Werder Spaß – und Angst. Die Liga muss sich warm anziehen, Hansa Rostock könnte das schon am Sonntag (17.30, Weserstadion) zu spüren bekommen. Als es zehn Minuten nach der Pause 5:0 stand, hatte das auch Thomas Schaaf eingesehen und gab mit der Einwechslung von drei notorischen Bankdrückern das Signal zur Entspannung. Kraft sparen fürs Wochenende? Nöö, sagte sich die Werder-Mannschaft, stürmte bar jeden Gastgeber-Anstands bis zur letzten Minute weiter, in der sogar Dauerreservist Ivan Klasnic zum zweiten Mal einschießen durfte.

Selbst Tiefstapler Schaaf musste hinterher zugeben, dass nicht in erster Linie Donezk so schlecht war, sondern Werder so Weltklasse war. „Bei uns hat ein Rädchen in das andere gegriffen“, sagte Schaaf nüchtern, „da fällt es schon schwer, etwas zu meckern zu finden.“ Rädchen. Ach so. Im alten Industrierevier von Donezk nennt man so was „Dampfwalze“. Jan Kahlcke