Vom Unsinn eines Kampfbegriffs

Antiamerikanismus? Diesen mehr als dreißig Jahre alten Vorwurf kann man gelassen an sich abprallen lassen. Weder semantisch noch politisch ergibt er einen Sinn. Vor allem die 68er haben die Amerikanisierung der deutschen Kultur vorangetrieben. Eine Polemik

von UTE SCHEUB

Wir sind die, vor denen Wolfgang Schäuble und Joschka Fischer uns schon lange warnen. Wir benehmen uns „antiamerikanisch“. Was das heißt? Ist doch klar: Wir finden Feuerland unmöglich kalt und die Vulkane Mittelamerikas degoutant – wie die schon riechen! Wir halten den Grand Canyon für Angeberei und fanden schon immer, dass Michael Jackson nicht singt, sondern jault.

Im Grunde ist es canyontief traurig, dass man gut dreißig Jahre nach Erfindung des Begriffs „Antiamerikanismus“ durch militante rechte Kreise noch klarstellen muss, dass es sich um einen Kampfbegriff der dümmsten Art handelt. Antiamerikanismus heißt wörtlich: feindlich gegen Amerika eingestellt. Also schon rein semantisch ein Schwachsinn, denn Amerika reicht nun mal von Alaska bis fast zur Antarktis.

Nun soll es tatsächlich Leute geben, nicht wenige davon Angehörige der angeblich so sprachmächtigen Kaste der Journalisten, deren Horizont so beschränkt ist, dass sie glauben, Amerika und die USA seien ein und dasselbe. Aber deren Hirnverdunkelungen muss man ja nicht auch noch nachmachen. Manche dieser Geografiestundenschwänzer haben es ziemlich weit gebracht, bis ganz oben in die US-Regierung, und sie haben dort nicht wenige Militärputsche und Bürgerkriege angezettelt, um die USA und Amerika deckungsgleich zu machen.

Und damit sind wir beim politischen Schwachsinn. Helmut Kohl hat weiland mit der Neuen Wache in Berlin ein Denkmal für Opfer und Täter des Nationalsozialismus herrichten lassen. Der Begriff des Antiamerikanismus macht dasselbe, er ist eine sprachliche Neue Wache, er repräsentiert eine absolut unzulässige Vermischung von Volk und Regierung. Was kann das US-amerikanische Volk für seinen furchtbaren Präsidenten? Wie bitte? Stimmt nicht, es hat ihn nicht mehrheitlich gewählt, die Wahlen sind auch nicht gerade sauber abgelaufen, und Bush repräsentiert gerade mal ein Viertel aller Wahlberechtigten. Hunderttausende von US-AmerikanerInnen, die ihm ihre Stimme verweigerten, schämen sich für diese Regierung. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als internationale Unterstützung für ihre Oppositionsbewegungen. Sind die etwa auch antiamerikanisch? Müssen sie sich vors Weiße Haus stellen und mit Peitschen auf sich selbst einschlagen, bis sie blutig zusammenbrechen?

Natürlich gibt es allerlei Sorten Mensch auf der Welt, die den Unterschied von Regierung und Regierten leugnen und in diesem Sinne antiamerikanisch eingestellt sind. Rechtsradikale wettern gegen die „Dekadenz“ von „Negermusik“ und „Rassenvermischung“, Islamisten und Taliban halten die USA für den Wohnsitz des Teufels. Wer das mit dem Protest gegen die Politik der US-Regierung gleichsetzt, wie ihn linke GlobalisierungskritikerInnen betreiben, ist entweder dumm, bösartig oder beides.

Besonders niveaulos wird es, wenn auf den „ewigen Antiamerikanismus der 68er“ eingeschlagen wird. Niemand hat mehr für die Amerikanisierung der deutschen Kultur getan als die Generation von 1968, die diesen Job mit deutscher Gründlichkeit erledigt hat. Sie hat sich für Flower-Power begeistert, für Woodstock, die Black Panthers, für Jeans, Teach-ins und Go-ins, den zivilen Ungehorsam eines Martin Luther King, den Hedonismus der Hippies, für Women’s Lib, für Country und Blues und Rock und Pop. Dieser rebellische, freie, tolerante, wilde Teil der US-Gesellschaft war für die 68er und ihre Nachfolger ein Vorbild.

Dankbarer Dackelblick

Aber was soll’s, es ist eh alles in den Wind gesprochen. Seit jenen Zeiten, als Außenminister Joschka Fischer all seine Frauenprobleme mit einem Schlag löste, indem er sich öffentlich an Mutter Madeleine Albright anzulehnen getraute, seit die frühere US-Außeministerin ihn einen „Freund“ nannte und er sie mit dankbarem Dackelblick anhimmeln durfte, seitdem ist alles anders. Seitdem gilt die Fischer-Doktrin: Laute Kritik an der US-Politik ist Antiamerikanismus. Ist APO. Vergangenheit. Kinderkram. Ist Äh-bäh. Wer Einfluss nehmen will, muss mitmachen, wer mitmachen will, darf nicht oder nur noch ganz leise kritisieren.

Wer im Machtzentrum der grünen Partei, das sich ziemlich genau unterhalb des gestrafften Doppelkinns des Außenministers befindet, noch was werden will, tut gut daran, sich zur Fischer-Doktrin zu bekennen. „Wir haben die USA nicht zu kritisieren“, stellte der Außenminister kurz vor Beginn des Afghanistankriegs fest. Einige in die Jahre gekommene Medienhengste und ehemals linke Grüne fanden dieses demonstrative „Ich-brech-mit-meiner-linken-Vergangenheit“ so schick, dass sie sich beeilten, es Fischer nachzutun.

Dass Fischer nun doch raunend, die Stimme um ein paar Tausendstel Dezibel lauter erhoben, vor einem Krieg gegen den Irak warnt, ist Wahlkampfzeiten geschuldet und wird mit Sicherheit nicht von langer Dauer sein. Außerdem gibt es einen, der diesen Job derzeit wesentlich besser erledigt: Gerhard Schröder. Mühelos, mit erstaunlichem Wendevermögen, hat der Kanzler in Sachen Kritik an der US-Regierung seinen Vize weit links überholt.

Und das, nachdem sich die Grünen so abgequält hatten. Boykott des Klima-Protokolls, Obstruktion des Internationalen Gerichtshofs, Aufkündigung des ABM-Vertrags, Genetisierung der Landwirtschaft – wie soll man all diese kriminellen Machenschaften der US-Regierung kritisieren, ohne sie zu kritisieren? Ralf Fücks, Vorständler der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, machte uns die dazu nötigen Verrenkungen neulich in der Stiftungszeitung vor. Auch er gab zu, die Aktivitäten der Regierung Bush seien „keine Petitessen“. Um dann einige Absätze weiter heftig zu geißeln, ein Teil der 68er-Linken sei „wieder in ihrer Vergangenheit angekommen, bei den USA als Hauptfeind, der weltweit isoliert und bekämpft werden muss.“

Nein, weder die USA noch Amerika waren jemals unser Hauptfeind. Und wir wollen die USA auch nicht isolieren, das erledigt der weite Ozean ringsum viel besser als wir, wir wollen sie auch nicht bekämpfen, wir sind nicht präriefeindlich. Und überhaupt – am liebsten würden wir die US-Regierung mitwählen. Wer meint, dass sich die ganze Welt nach seinen Maßstäben richten soll, der muss die nächste US-Wahl bitte weltweit abhalten. Aber diesmal ohne Stimmzettel-Schmu.

taz-Gründerin Ute Scheub ist freie Journalistin in Berlin.