„Wir waren nicht die ersten“

„Es ist nicht so, dass immer nur die eigenen Leute alles richtig gemacht haben.“

Interview HANNES KOCH
und PATRIK SCHWARZ

taz: Herr Schäuble, sind Sie der Globalisierungskritiker in Edmund Stoibers Kompetenzteam?

Wolfgang Schäuble: Ich bin nicht der Globalisierungskritiker der Union, aber ich setze mich dafür ein, dass wir Politik unter den Bedingungen der Globalisierung als eine weltweite Aufgabe ansehen, weil wir mit nationalen Alleingängen keine Chance haben. Ich meine das übrigens nicht nur ökologisch, sondern zum Beispiel auch sicherheitspolitisch.

Bisher hat sich Ihre Partei um die Globalisierungskritiker nicht groß geschert. Riskiert nicht die CDU, wie schon 1968 eine halbe Generation zu verlieren, weil sie eine kritische Bewegung links liegen lässt?

Na, also wenn Sie die neue Shell-Studie aufschlagen, sehen Sie, dass bei aller Skepsis der Jugendlichen gegenüber der Politik die CDU immer noch die höchste Zustimmung hat. Den dramatischsten Rückgang der Zustimmung haben die Grünen erlebt.

Wir sprechen nicht von der Mehrheit, sondern von den Vordenkern.

Aber dann schauen Sie doch mal, wer in den Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zuständig ist. Der Mann heißt Klaus Töpfer, und wenn ich mich nicht ganz irre, gehört er der Christlich Demokratischen Union Deutschlands an. Angela Merkel wiederum hat maßgeblich zum Zustandekommen des Kioto-Protokolls beigetragen.

Trotzdem war die rot-grüne Regierung auf vielen Gebieten Vorreiter …

… aber die rot-grüne Umweltpolitik bestand im Wesentlichen aus nationalen Alleingängen. So regiert Herr Schröder ja auch auf vielen anderen Gebieten. Damit erreichen Sie im Zweifel gar nichts. Wie will man denn die Amerikaner daran hindern, sich vom Kioto-Prozess abzukoppeln, wenn man als Bundesregierung ständig auf nationale Alleingänge setzt?

Mit Töpfer und Merkel kam die Union reichlich spät – immerhin 20 Jahre nach der Ökobewegung.

Daran ist etwas Wahres. Es ist ja nicht so, dass in der Politik immer nur die eigenen Leute alles richtig gemacht haben. In der Tat, es gehört zu den historischen Verdiensten der grünen Bewegung, dass sie die Wichtigkeit von Umwelt und Nachhaltigkeit früher und stärker begriffen hat als die etablierten politischen Kräfte. Wir waren nicht die Ersten, aber wir haben uns als lernfähig erwiesen.

Ein Mea culpa?

Nein, wir waren ja immer noch besser als die Politik im damals anderen Teil Deutschlands! Der real existierende Sozialismus hat der Ökologie viel mehr geschadet als die soziale Marktwirtschaft – daran sollte man gerade in der taz erinnern …

in der taz konnten Sie das schon zu DDR-Zeiten lesen. Aber zurück zur Lernfähigkeit der Union: In einer Studie der Adenauer-Stiftung zur Globalisierungskritik wird Attac in die linksextreme Ecke gerückt. Hindern Sie nicht Ihre alten Feindbilder an neuen Einsichten?

Ich kenne die Studie gar nicht im Einzelnen. Aber dass sich in Attac eine ganze Reihe linker Gedanken durchgesetzt hat, heißt ja nicht, dass nicht manches an kritischen Einwänden richtig ist. Eine große, moderne Volkspartei wie die CDU muss immer offen sein, mit allen Gruppen zu reden, kritische Einwände zu diskutieren, auch eigene Positionen zu überdenken, statt auf alles immer schon die Patentantwort zu haben. Das Scheuklappenprinzip ist für die Lernfähigkeit der Politik fatal.

Was kann die CDU von Attac lernen?

Man kann meistens bei solchen Bewegungen mehr von den Fragen lernen als von den Antworten. Das ist aber jetzt keine Kritik – wenn das Problembewusstsein zunimmt, ist das bereits ein Gewinn.

Im Kompetenzteam ist niemand speziell für die Umweltpolitik zuständig, das Entwicklungshilferessort ist nicht besetzt, und anders als der Kanzler fliegt der Kandidat nicht nach Johannesburg. Nehmen Sie die Fragen vielleicht auf, lassen sich aber mit den Antworten so viel Zeit, dass der Wähler sie bis zum 22. September nicht mehr erfährt?

In Johannesburg ist die Anwesenheit der Staats- und Regierungschefs erwünscht, nicht die der Oppositionsführer. Das sollte man Edmund Stoiber nicht zum Vorwurf machen. Unser Kompetenzteam ist ja ausdrücklich kein Schattenkabinett. Schauen Sie nur, wenn es danach ginge, dann hätten wir nach der Wahl gar keinen Justizminister …

das ist ja ebenfalls kritisiert worden. Aber wie sollen wir Ihnen glauben, dass die Union es international ernst meint mit der Nachhaltigkeit, wenn sie die nationale Förderung von sauberen Energien wie Wind und Sonne drosseln will?

So sagen wir das ja nicht. Wir weisen nur darauf hin, dass alternative Energien nicht ausreichen, um den weltweit wachsenden Energiebedarf zu decken. Das ginge höchstens um den Preis, weiterhin auf eine einseitige Privilegierung der Industrienationen zu setzen. Dann können Sie aber nicht mal den zwei Ländern Indien und China in den nächsten zehn Jahren eine faire Entwicklungschance zubilligen. Mit globaler Gerechtigkeit hätte das dann wenig zu tun – und müsste deshalb auch von Attac kritisiert werden.

Wenn aber nicht mal eine High-Tech-Gesellschaft wie die deutsche erneuerbare Energien fördert und entwickelt, werden sie sich global nie durchsetzen.

Das ist ja richtig, aber nationale Alleingänge sind nur dann in Ordnung, wenn sie eine Vorreiterfunktion haben, die andere Staaten nachzieht. Das Gefährliche an der rot-grünen Ökosteuer zum Beispiel ist aber, dass durch den deutsche Alleingang der Druck auf unsere Partner in der EU verringert wurde, zu einer europaweit abgestimmten emissionsbezogenen Energiebesteuerung zu kommen.

Das Beispiel Windenergie beweist das Gegenteil: Dort übernehmen andere Staaten die deutschen Gesetze.

Dann wollen wir hoffen, dass es funktioniert.

Die Globalisierungskritik ist mindestens so sehr Ökonomie- wie Ökologiebewegung. Die Union dagegen überlässt die Weltwirtschaft ziemlich ungezügelt ihrem Lauf.

Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Der Grundgedanke, dass man die Übertreibungen der internationalen Finanzmärkte begrenzen muss, ist inzwischen praktisch unbestritten. Selbst die Weltbank sieht das so, wo übrigens mit Horst Köhler ebenfalls ein CDU-Mitglied an der Spitze steht. Die Lernfähigkeit unserer politischer Institutionen ist also gar nicht so gering einzuschätzen – was einen Rest an Hoffnung lässt.

Sie überraschen uns. Mit dem Abgang von Oskar Lafontaine ist schließlich auch die Forderung nach einem Umbau der Weltfinanzarchitektur von der politischen Bühne in Deutschland verschwunden. Und gerade die Union hat diese Idee stets als linken Utopismus verteufelt.

Herr Lafontaine ist nicht wegen Edmund Stoiber und der CDU/CSU aus dem aktiven politischen Leben ausgeschieden, sondern – wenn ich es richtig in Erinnerung habe – wegen Herrn Schröder. Irgendwo kann ich das sogar nachvollziehen.

Die Tobin-Steuer …

… ist nach Ansicht der allermeisten Experten schlicht nicht umzusetzen. Aber wenn das kein realisierbarer Ansatz ist, muss man eben andere Instrumente finden, sonst bleiben wir in theoretischen Debatten stecken. Die Welthandelsorganisation beispielsweise ist aus meiner Sicht eher ein richtiger Ansatz. Ich habe deshalb die Proteste der Globalisierungskritiker gegen die WTO auch immer für falsch gehalten. Ich finde, wir müssen diese internationalen Organisationen stärker nutzen, statt sie zu bekämpfen. Auch in Deutschland setzen CDU/CSU schließlich nicht auf die ungezügelten Marktkräfte, sondern auf die soziale Marktwirtschaft.

Werden wir konkret. Der Tschad wird von Globalisierungskritikern gerne als Beispiel angeführt für einen Staat, der zu arm ist, die Lebensmittel für die eigene Bevölkerung zu importieren. Gebietet da nicht der Gedanke der sozialen Marktwirtschaft, die freie Preisbildung auf den internationalen Warenbörsen zu beschränken?

Das Problem bei den Nahrungsmitteln ist doch ein anderes: Sie sind meist nicht zu teuer, sondern zu billig für die Entwicklungsländer. Durch die massiven Subventionen in den Industrieländern entsteht ein unfairer Wettbewerb: Die Dritte Welt wird von Billigimporten aus der Ersten Welt so überflutet, dass dort oft jeder Ansatz scheitert, eine eigene, auch ökologisch nachhaltigere Nahrungsmittelproduktion aufzubauen. Wir brauchen also verbesserte Voraussetzungen für eine angemessene Teilhabe dieser Staaten am Weltmarkt. Konkret heißt das, im Rahmen der WTO staatliche Subventionen in der Agrarpolitik zurückzunehmen.

„Die CDU muss immer offen sein, die eigenen Positionen zu überdenken.“

George Bush denkt da nicht im Traum dran …

… aber nach dem 11. September hat er eine drastische Erhöhung der Entwicklungshilfe der Vereinigten Staaten angekündigt …

und eine ebensolche Erhöhung der Agrarsubventionen.

Leider auch. Aber ich halte es lieber mit einem Goethe-Zitat, das mal an den Müllfahrzeugen meiner Geburtsstadt Freiburg hing: Ein jeder kehr vor seiner Tür, und sauber ist das Stadtquartier. Wir sind in Europa immer unheimlich gut darin, die Amerikaner zu kritisieren. Unsere Fähigkeiten zur Selbstkritik sind nicht ganz so gut ausgebildet. Das gilt gerade auch für unser System der EU-weiten Agrarsubventionen.

Wie hält es denn, um bei Goethe zu bleiben, der Entwicklungspolitiker Wolfgang Schäuble mit der Gretchenfrage der Entwicklungspolitik: der Erhöhung des Budgets?

Unsere Anstrengungen in der Entwicklungspolitik sind mir immer zu wenig gewesen. Meine Frau ist Vorsitzende einer relativ großen Nichtregierungsorganisation …

der Welthungerhilfe …

… deshalb ist mir die Problematik stets bewusst. Für mich ist klar, wir werden unseren Entwicklungshilfeetat erhöhen müssen. Wir versprechen aber vorsichtshalber nicht, dass wir dabei nächstes Jahr schon 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.

Das ist aber genau die Höhe, die Entwicklungshilfeorganisationen für das unerlässliche Minimum halten. Derzeit liegt der deutsche Anteil bei 0,27 Prozent. Die Grünen versprechen für die nächste Wahlperiode immerhin einen konkreten Zeitplan, wie sie das Ziel von 0,7 Prozent erreichen wollen.

Das ist fast wie Hartz! So wie Rot-Grün vier Jahre nichts gegen die Arbeitslosigkeit getan hat und jetzt mit großen Plänen für die nächsten vier Jahre aufwartet, so soll’s wohl auch in der Entwicklungspolitik gehen. Die Grünen müssen sich daran messen lassen, dass in ihrer Regierungszeit der Anteil der Entwicklungshilfe am Etat nicht mal konstant blieb, sondern gesunken ist!

Und Ihr Zeitplan?

Es wäre unseriös, wenn ich Ihnen jetzt eine Jahreszahl nenne. Aber ich hoffe, dass sich die politische Stimmung dafür verbessert. Nehmen Sie Johannesburg oder sogar die Flutkatastrophe – beides könnte die Kräfte ermutigen, die mehr Tempo in der Entwicklungszusammenarbeit wollen.