Über Morgenländer, Knochen und Eichhörnchen

Es gibt zwar keinen typischen Berliner Namen, aber einen starken slawischen Einfluss an der Spree, sagt Namensforscher Jürgen Udolph. „Die -anskis und -owskis haben wir hier sehr viel.“ Und darüber hinaus Hauptstadtpolitiker mit äußerst bezeichnenden Familiennamen

taz: Welcher Weg führt zum Ursprung des Familiennamens?

Jürgen Udolph: Als Erstes prüfen wir die Häufigkeit. Das geht perfekt mit Hilfe einer Telefon-CD-ROM. Ein Insidertipp: Die neuesten sind Schrott. Die exportieren aus Datenschutzgründen nur 75 Namen. Ich empfehle Modelle von vor 1999, die haben 999 Namen. Nach der Häufigkeit untersuchen wir die regionale Streuung.

Dann weiß ich, wo und wie oft es den Namen gibt, aber noch nicht, was er bedeutet.

Dafür gibt es die Standardnachschlagewerke der Familiennamen. Bahlows Namenlexikon oder Brechenmachers Etymologisches Wörterbuch zum Beispiel. Dann verzweigt sich die Suche. Ist der Name nun slawischen, hochdeutschen, ostpreußischen oder tschechischen Ursprungs? Wissen um die europäische Sprachgeschichte und um Dialekte ist total wichtig.

Gibt es ihn, den typischen Berliner Namen?

Typisch ist ein großer slawischer Einfluss. Viel kommt aus Schlesien und Pommern, im 19. Jahrhundert gab es eine starke tschechische Zuwanderung. Da haben wir zum Beispiel: Stemplinsky, Krewis, Karlkowsky, Jannowitz, Mikola, Sawade, Ribeke. Die -anskis und -owskis haben wir hier sehr viel.

Und was ist mit den -kes wie Marotzke, Konopke, Juhnke?

Konopke ist ein interessantes Ding, da könnte das slawische Konop drin stecken, das heißt Hanf. Oder das sorbische Konopka: Hänfling. Das ist ein Vogel, der Hanfsamen frisst. Die Frage, wie nun Menschen zu diesem Namen kommen, ist wieder eine ganz andere und auch noch nicht ausreichend erforscht. Ich vermute, das läuft wie bei Spitznamen. Meiner war übrigens immer Mäuschen, weil ich so klein und unscheinbar war. Marotzke ist auch slawisch, kommt von Martin oder Marek. Juhnke kommt von Juni und das heißt im Slawischen jung.

Was haben wir, rein onomastisch gesehen, von Menschen wie Wowereit, Strieder, Knake-Werner und Steffel zu erwarten?

Hochinteressant ist Wowereit. Da erkennt ein Namenforscher ziemlich schnell, das muss baltisch sein, also ostpreußisch, die Endung -eit sagt uns das. Wowereit passt ganz gut zu einem Bürgermeister im Sparzwang, das heißt nämlich „junges kleines Eichhörnchen“. Fragt sich wieder: Wie kommt der zu diesem Namen? Steffel ist einfach, das kommt von Stefan. Knake ist ein wunderschönes Ding, das ist niederdeutsch für Knochen. Körperliche Eigenschaften sind ein beliebtes Element für Familiennamen. Das geht bis zum Penis, da ist alles dabei. Strieder, da steht im Namenbuch: siehe Streit. Auch niederdeutsch, weil dort aus -ei ein -ie wird.

Sarrazin klingt nicht gerade niederdeutsch.

Ein faszinierender Name. Der Sarazene ist der Morgenländer, ein Araber oder so. Das ist nicht wörtlich zu nehmen. Oft bezieht sich das auf Reisen, die einer gemacht hat. Wahrscheinlich war ein Vorfahr mal im Orient und wurde nach der Rückkehr „der aus dem Morgenland“ geheißen.

Seit knapp vier Jahren sind Sie mit „Numen, Nomen, Namen“ auf Sendung. Was waren onomastische Sternstunden?

Ein Name von den Hugenotten ist mir gut im Gedächtnis, die spielen in Berlin eine große Rolle. Piffrement hieß der Mann und er glaubte fest an französische Vorfahren. Hugenotten sind aber nur von verschiedenen Ländern aufgenommen worden, von Hessen-Kassel und Brandenburg. Die Streuung seines Namens passte da nicht rein. Nachforschungen ergaben schließlich eine Pfefferminzmischung. Niederdeutsch heißt es Peppermint, hochdeutsch Pfefferminz.

Wer hat Sie auf die Idee gebracht, Ihr Leben in den Dienst der Onomastik zu stellen?

Das verdanke ich meinem Professor, Wolfgang P. Schmid. Ich war Student der Slawistik und Finno-Ugristik, und zwar ein ziemlich mittelmäßiger. Sprachwissenschaft interessierte mich; in welcher Form, war mir nicht so recht klar. Bis es dann zu einem Gespräch mit Schmid kam, ich werde das nie vergessen, es war der 20. Januar 1970. Ich bin in Schmids Sprechstunde und habe ihn gefragt, ob ich irgendwas bei ihm machen kann. Er sagte: „Was wollen Sie denn machen?“ Ich sagte: „Weiß auch nicht, irgendwas mit Material.“ Er schlug mir eine Untersuchung slawischer Flussnamen vor. Und ich muss sagen, von einem Tag auf den nächsten hat sich mein Leben geändert.

Slawische Flussnamen waren Ihr Erweckungserlebnis?

Mir ging auf, wie viel man mit Gewässernamen über Herkunft und Wanderung von Völkern erforschen kann. Flussnamen sind die ältesten Namen, die wir kennen. Das macht sie für die Wissenschaft so wichtig. Die Frage „Warum heißt der/die/das so?“ hat mich nie losgelassen.

Warum heißen Ihre Kinder, wie sie heißen?

Bei den Kindern gab es eine klare Abmachung, Jungs bestimmt die Mutter, Mädchen der Vater, allerdings mit Vetorecht des anderen. Ich lag zwar mit drei Mädchen im Vorteil, aber die Monika, die ich gern wollte, hat mir meine Frau vermasselt. Jetzt haben wir bewusst stinknormale Namen – Susanne, Martin, Katja und Anja, damit unsere Kinder keine Probleme haben.

Haben Sie einen persönlichen Lieblingsnamen?

Ich muss gestehen: Nein. Aber ein Namentyp gefällt mir besonders gut: der Satzname. Ein Name, ein Satz. So was wie Vergissmeinnicht. Störtebeker heißt ja bekanntlich „Stürz den Becher“. Shakespeare war einer, der den Speer schütteln sollte. Hochinteressant ist auch Krudup. Krud ist Kraut oder würzen. Krudup ist also nichts anderes als die Aufforderung: „Würz nach!“

INTERVIEW: ANETT KELLER