Taliban-Experte über Islamisten in Mali: „Schlimmer als in Afghanistan“

Der Pakistaner Ahmed Rashid über die Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft und was es bedeutet, dass al-Qaida-nahe Islamisten sich in Mali etablieren.

Ein französischer Soldat mit Einheimischen in der zurückeroberten nordmalischen Stadt Diabaly. Bild: reuters

taz: Herr Rashid, in Mali kämpfen französische Truppen gegen bewaffnete Islamisten. Könnte Mali das neue Afghanistan werden?

Ahmed Rashid: Die Lage in Mali ist schlimmer als in Afghanistan, denn die al-Qaida-nahen Dschihadisten haben Nordmali unter ihrer Kontrolle. Das ist in Afghanistan nie der Fall gewesen. Al-Qaida hat dort immer die Taliban gebraucht.

Hat der Westen die Dramatik der Entwicklungen in Mali unterschätzt?

Die internationale Gemeinschaft hat Monat um Monat nur geredet. Ich glaube nicht, dass die Welt realisiert hat, wie dringlich die Probleme sind. Es geht bei Mali ebenso wie bei Afghanistan um transnationalen Terrorismus und einen Konflikt, der mindestens vier Länder umfasst: Mali, Libyen, Algerien und Niger.

Sie nennen Malis Extremisten „afrikanische Taliban“. Wo sehen Sie Ähnlichkeiten?

Durch ausländische Dschihadisten hat es eine rapide ideologische Radikalisierung gegeben. Hände abzuhacken und dergleichen ist eine extreme Praxis, wie sie auch al-Qaida und die Taliban in Afghanistan angewandt haben. Und in beiden Fällen hat die Radikalisierung in einem moderat religiösen Sufi-Umfeld stattgefunden.

Der 1948 geborene Pakistani, Autor des Bestsellers „Taliban“, ist einer der renommiertesten Terrorismusforscher. Sein neues Afghanistan-Buch: „Am Abgrund“.

Wie konnte eine relativ kleine Gruppe ihre Macht auf einem so großen Gebiet etablieren?

Der Staat ist im Norden zusammengebrochen, die Armee geflohen. Dieses Vakuum wird leicht mit extremistischem Islam ausgefüllt. Es gibt scheinbar nichts, was die malische Armee dazu motiviert, diesen Extremisten entgegenzutreten.

War die französische Intervention die einzige Möglichkeit, den Vormarsch der Islamisten zu stoppen?

Wenn die Franzosen rechtzeitig eine Gruppe vertrauenswürdiger islamischer Vermittler zusammengestellt hätten, wären Verhandlungen mit lokalen Gruppen, vor allem den Tuareg, möglich gewesen. Aber es gab kein diplomatisches Bemühen. Von Anfang war auch im UN-Sicherheitsrat nur von militärischen Optionen die Rede. Jetzt ist es zu spät.

Wie wichtig ist es für Dschihadisten, ein Territorium unter ihre Kontrolle zu bringen?

Sehr wichtig. Die dschihadistische Bewegung braucht ein Gebiet für die Sicherheit ihrer Leute, sie brauchen es für Trainingslager, sie brauchen eine Operationsbasis. All das geht nur, wenn man auch ein Gebiet kontrolliert. Und die Bewegung will auch eine Regierung aufbauen, um zu zeigen, dass sie es kann.

Ist Mali das wichtigste Schlachtfeld für den globalen Dschihad geworden?

Besonders wenn ein Sieg in Aussicht steht, zieht das viele an. Die Ereignisse in Mali sind ein Riesenthema unter den Dschihadisten. Mali wird als neue Basis für al-Qaida gesehen.

Wie gefährlich ist das für Europa?

Sehr gefährlich. Schon jetzt kommen viele Menschen durch die Sahara über Spanien nach Europa. Auch Dschihadisten können diesen Weg nehmen.

Was raten Sie Europa?

Es sollte eine gemeinsame europäische Reaktion zur Unterstützung der Franzosen geben. Man sollte auch versuchen, lokale Gruppen wie die Tuareg einzubeziehen und von den Al-Qaida-Gruppen zu trennen.

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