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: Miles and more: Warum es nicht nur um Cem Özdemir geht

„Ich kann keinen überzeugenden Wahlkampf mehr für meine Partei führen“, sagte Cem Özdemir gestern bei seinem Rücktritt. Das ist richtig. Doch einen überzeugenden Wahlkampf zu führen, das wird für die Grünen auch ohne Özdemir sehr schwer.

 Nicht nur der zweifelhafte Umgang des Schwaben mit Privilegien ist das Problem – ebenso fragwürdig ist das Krisenmanagement der Parteispitze. Vom Fraktionschef Rezzo Schlauch war recht schnell zu hören, die Affäre sei beendet, Parteichef Kuhn verniedlichte den Fehltritt des innenpolitischen Sprechers zu einer „Eselei“. Und nach dem Rücktritt lobte Kuhn Özdemirs Geradlinigkeit.

 Erst abwiegeln, dann schönreden und immer nur zugeben, was nicht mehr zu leugnen ist – wir kennen diese Rhetorik. Wenn es um Unregelmäßigkeiten von Abgeordneten und Funktionären geht, sind die Wähler diese immer gleichen Vokabeln gewohnt. Von der Union unter Kohl und Koch, von der SPD in Köln und Wuppertal – aber eben nicht von den Grünen.

 Die Ex-Alternativen genossen einen Vertrauensvorschuss – bis gestern. Seitdem wissen wir, dass sich die Grünen im Ernstfall auch nicht anders verhalten. Das Image von der Antikorruptionspartei verblasst. Nicht einmal Christian Ströbele, stets zur Stelle, um Fehler seiner Kollegen von Union und SPD zu geißeln, hat seine Partei zu einem korrekten Umgang mit dem Fall bewegt.

 Dieser Fall lässt tief blicken: Er offenbart die Schattenseite des Erfolgs von Fischer & Co. Die grüne Partei ist nach dem langen Marsch durch die Institutionen nicht nur im Zentrum der Macht, sondern auch in den Hinterzimmern der PR-Agenturen und Lobbyisten angekommen. Für die Grünen wird das üble Folgen haben. Seit sie mitregieren, haben sie erst ihren Nimbus als Friedenspartei verloren – jetzt kommt ihnen auch noch der Ruf abhanden, unkorrumpierbar zu sein. Die Grünen sehen sich als Partei, die an der Macht ist und trotzdem noch anders als die anderen. Genau dieses Image hat seit gestern Kratzer bekommen – und mehr.

 Denn es wird ihnen nicht gelingen, die Affäre Cem Özdemir als bedauerlichen Einzelfall darzustellen. Es ist einfach zu nahe liegend, Özdemirs Aufstieg und Fall als Metapher für den Weg der Ökopartei zu deuten. Özdemir, der von weit unten kam, hat auf seinem Weg nach oben offenbar irgendwann zu glauben begonnen, dass ihm die kleinen Annehmlichkeiten der Macht zustehen. Diese Affäre zeigt nicht nur menschliches Versagen, sie ist ein Zeichen: Die Grünen sind eine ganz normale Partei geworden.

HEIKE HOLDINGHAUSEN, STEFAN REINECKE