Amnestie für die zweite Generation

Innensenator Kuno Böse (CDU) wagt sich an die unangenehmste Hinterlassenschaft seines Vorgängers Bernt Schulte: Erwachsene Kinder der so genannten „falschen Libanesen“ sollen in Bremen bleiben dürfen

Innensenator Kuno Böse (CDU) hat die Praxis seiner Behörde gegenüber staatenlosen Kurden aus dem Libanon teilweise revidiert. Nach einem gestern ergangenen Erlass sollen nur noch die Eltern, die Ende der achtziger Jahre mit einem türkischen Pass nach Deutschland eingereist sind, mit ihren minderjährigen Kindern in die Türkei abgeschoben werden. Ihre erwachsenen Kinder dagegen sollen unter bestimmten Bedingungen eine Aufenthaltsbefugnis erhalten.

Böse hatte bisher immer „bedauernd“ darauf verwiesen, dass das Ausländerrecht ihm keinerlei Spielraum lasse – selbst im Falle von gut integrierten jungen Menschen, die ihre gesamte Jugend in Bremen verbracht haben. Diese Position war durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts gedeckt. Das hatte bislang argumentiert, die Kinder müssten sich das Vergehen ihrer Eltern „zurechnen“ lassen, die verschwiegen hatten, dass sie mit einem türkischen Pass eingereist waren. Die Kehrtwendung leitete vor drei Wochen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) ein, die der Rechtsanwalt Karim Popal erstritten hatte. Sein Mandant, der Tankstellenverwalter Abdallah El-Bedewi, war vor seinem Haus festgenommen und in Abschiebehaft genommen worden, obwohl noch Rechtsmittel gegen seine Abschiebung anhängig waren. Das OVG entschied, El-Bedewi müsse aus der Abschiebehaft entlassen werden, weil es für die Erteilung eines Aufenthaltstitels durchaus rechtlichen Spielraum gebe. „Allein die Täuschung seiner Eltern, bei deren Einreise der Antragsteller sieben Jahre alt war, begründet nach dem Wortlaut der Altfallregelung nicht zwingend den Ausschluss des Antragsstellers“, so das OVG.

Dem ist Böse mit seinem Erlass gefolgt: Die erwachsenen Kinder der staatenlosen Kurden können nun damit rechnen, eine Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung von 1999 zu erhalten, wenn sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien selbst bestreiten, ausreichenden Wohnraum nachweisen können und nicht wegen schwerer Straftaten verurteilt sind.

Für El-Bedewi kein Problem: Sein Chef hatte immer wieder beteuert, er werde seinen Arbeitsplatz freihalten. Schwieriger ist das für andere Betroffene, die ihre Arbeit wegen drohender Abschiebung verloren hatten. Sie sollen zwei Monate Zeit bekommen, sich erneut Arbeit zu suchen. „Ich hoffe, die Innenbehörde hat sich mit dem Arbeitsamt abgestimmt“, kommentiert Danja Schönhofer von der Flüchtlingsinitiative, seit zwei Jahren für die kurdischen Libanesen im Einsatz.

Bei Jobverlusten werde „die Zeit oft knapp“, meint Schönhofer. „Die Erteilung einer Arbeitserlaubnis kann leicht sechs Wochen dauern. Man muss aufpassen, dass der Erlass nicht zur Mogelpackung wird.“ Insgesamt verbuchen die Unterstützer-Innen die Richtlinie als Teilerfolg: „Wir sagen seit zwei Jahren, dass es rechtlichen Spielraum gibt,“ betont Schönhofer. „Aber wir wollten mehr: Was unterscheidet zum Beispiel 16- und 18-Jährige?“ Wer minderjährig ist, muss nach wie vor mit den Eltern ausreisen. Das gebiete die „Einheit der Familie“, so das OVG. Allerdings sei nicht ausgeschlossen, „dass im Einzelfall in der Person des minderjährigen Kindes eigenständige Aufenthaltsgründe gegeben sein können.“

Aufatmen hieß es gestern in der Immanuel-Gemeinde: Nach vier Wochen Kirchenasyl teilte Innen-Staatsrat Thomas vom Bruch mit, wegen des neuen Erlasses stehe Schokli Al-Zain nicht mehr auf der Fahndungsliste der Polizei. Nach draußen traute sich der 20-Jährige trotzdem noch nicht. Der Grund: In der Ausländerbehörde gab man sich unwissend und wollte zunächst „in Ruhe prüfen“. Jan Kahlcke