Kein Verfahren gegen Ariel Scharon in Belgien

Ein belgisches Gericht weist die Klage gegen Israels Premier wegen der Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila zurück

BRÜSSEL taz ■ Ariel Scharon kann in Belgien nicht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden. Nach monatelangen Verzögerungen entschied dies gestern die Kammer, die formal prüft, welches Gericht zuständig ist.

Auch im Fall von Völkermord behalte Artikel 12 der Strafprozessordnung seine Gültigkeit. Er besagt, dass bei einer im Ausland begangenen Straftat belgische Gerichte nur unter der Bedingung die Klage annehmen dürfen, dass sich der Beschuldigte in Belgien aufhält. Mit der gleichen Begründung wies die Kammer auch eine Klage gegen den Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, zurück.

Martien Schotsmans, die belgische Vertreterin der Internationalen Liga für Menschenrechte, bezeichnete die Entscheidung gestern als „Ohrfeige für die Opfer, die große Risiken auf sich nehmen, wenn sie in Belgien Klage erheben“. Der Organisation seien mehrere Fälle bekannt, wo KlägerInnen im Heimatland bedroht wurden.

Am 16. April hatte die gleiche Kammer die Klage gegen Yerodia Aboulaye Ndombasi verworfen, den ehemaligen Außenminister der Republik Kongo. Im Februar hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag Belgien angewiesen, einen internationalen Haftbefehl gegen Yerodia aufzuheben. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, er habe zum Zeitpunkt der möglichen Straftaten als Außenminister Immunität besessen.

Seither vermuten Menschenrechtsexperten, dass Politik und Justiz in Belgien das 1993 verabschiedete Gesetz aufweichen möchten, das Anklage und Strafverfolgung in Belgien auch bei Taten ermöglicht, die im Ausland begangen wurden. Voraussetzung ist nur, dass es sich um schwere Menschenrechtsverletzungen handelt.

In einer Stellungnahme erinnern Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Rechtsanwälte ohne Grenzen daran, dass das belgische Parlament 1993 einstimmig für das Gesetz gestimmt habe. Parlamentarier aller Fraktionen hätten damals betont, sein Zweck sei, auch Verbrecher anzuklagen, die sich nicht in Belgien aufhalten. Andernfalls mache auch die Entscheidung der belgischen Justizbehörden, von England die Auslieferung des chilenischen Exdiktators Pinochet zu verlangen, keinen Sinn.

Werde in Zukunft Artikel 12 der Strafprozessordnung auf das Gesetz angewandt, werde es völlig zahnlos. Dann sei es zum Beispiel den Angehörigen belgischer Blauhelmsoldaten, die in Ruanda massakriert wurden, oder den Familien belgischer Priester, die in Guatemala getötet wurden, nicht mehr möglich, in Belgien Anklage gegen die Mörder zu erheben.

Das umstrittene Gesetz hatte Belgien in der Vergangenheit mehrmals in eine diplomatische Zwickmühle gebracht. So weigerte sich der israelische Premier Scharon zum Beispiel, den belgischen Außenminister und letztes Jahr amtierenden EU-Präsidenten Louis Michel zu empfangen, solange ihm in Belgien eine Klage drohe.

DANIELA WEINGÄRTNER

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