Frisch rasiert für die Bewährung

Im letzten Prozess nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen von 1992 werden drei Angeklagte wegen Mordversuchs und schwerer Brandstiftung für schuldig befunden. Doch ins Gefängnis müssen sie deshalb nicht

aus Schwerin HEIKE KLEFFNER

An der Schuld der drei Angeklagten ließ das Schweriner Landgericht keine Zweifel. Bei der Urteilsverkündung im letzten Prozess gegen Beteiligte an dem rassistischen Pogrom von Rostock-Lichtenhagen am 24. August 1992 erklärte es das Gericht gestern für erwiesen, dass der heute 27-jährige Ronny S., der heute 28-jährige Andre B. und der 29-jährige Enrico P. zunächst gemeinsam mit tausenden Beifall klatschenden Anwohnern „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ riefen und dann aus einer 200- bis 500-köpfigen Menge von Naziskins selbst Steine und Brandflaschen gegen das von Vietnamesen bewohnte „Sonnenblumenhaus“ warfen.

Die drei Skins, die zur Urteilsverkündung mit frisch rasierten Glatzen erschienen, hätten „gemeinsam mit anderen Bekannten und Unbekannten als Mittäter“ gehandelt, sagte der Vorsitzende Richter Horst Heydorn.

Trotzdem kamen die Angeklagten mit Bewährungsstrafen von einem und eineinhalb Jahren glimpflicher davon als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Die hatte in ihrem Plädoyer jeweils zwei achtzehnmonatige Bewährungsstrafen und eine achtzehnmonatige Haftstrafe ohne Bewährung beantragt.

Günstige Sozialprognosen und die lange Verfahrensdauer müssten zur Verhängung von Bewährungsstrafen führen, sagte Richter Heydorn zur Begründung. Die lange Verfahrensdauer, zu der er selbst durch die Verschleppung des Prozesses maßgeblich beigetragen hatte, kommentierte er mit den dürren Worten: „Ich bedauere das auch.“

Zwei der Angeklagten bleiben trotz der jetzt ausgesprochenen Bewährungsstrafen vorerst in Haft – wegen anderer Delikte. Deutlich wurde, dass Heydorn, der im September 1992 die Haftbefehle gegen die drei Angeklagten außer Vollzug gesetzt hatte, die Motive der Angeklagten noch immer verharmlost. Die hatten im Prozess zwar eingeräumt, in der Brandnacht vor dem Sonnenblumenhaus gewesen zu sein, „weil es gegen Ausländer ging“. Sie bestritten jedoch, Brandflaschen geworfen und gewusst zu haben, dass sich in dem Wohnblock neben der Zentralen Aufnahmestelle noch Menschen aufhielten. Richter Heydorn ging in seiner Urteilsbegründung davon aus, die Angeklagten seien aus „Neugier“ nach Lichtenhagen gefahren und hätten „Ausländer, die sie für Arbeitslosigkeit und soziale Probleme verantwortlich machten, nicht gemocht“. Entsprechende Medienberichte hätten die Angeklagten in dieser Haltung bestärkt.

Nebenkläger Nguyen Do Thinh und der Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter, die in jener Nacht gemeinsam mit über 100 vietnamesischen Vertragsarbeitern, deren deutschen Unterstützern und einem Kamerateam des ZDF nur knapp den Flammen entkamen, äußerten sich nach Prozessende zufrieden über die Verurteilung der Angeklagten. „Das Urteil ist ein deutliches Signal auch an die Mittäter“, so Wolfgang Richter. „Mehr haben wir nicht erwartet“, fügte Nguyen Do Thinh hinzu.

Der Leiter der deutsch-vietnamesischen Begegnungsstätte Dien Hong in Rostock kritisierte, dass „auch in diesem Prozess keine Anworten auf die noch immer ungeklärten Fragen nach der politischen Verantwortung“ für das Pogrom gefunden worden seien. Überrascht habe ihn auch die Bewährungsstrafe für Andre B., der sich noch im April dieses Jahres bei einer Schlägerei in einer Schweriner Diskothek mit seiner Beteiligung an dem Pogrom gebrüstet haben soll. Die Entscheidung, im Prozess als Nebenkläger aufzutreten, so Do Thinh, sei jedoch richtig gewesen. „Wir konnten damit das ursprünglich geplante schnelle Durchziehen des Prozesses verhindern und dafür sorgen, dass die Dimension der Ereignisse vor Gericht deutlich wurde.“ Er sei davon überzeugt, dass sich derartige tagelange Angriffe wie im August 1992 in Rostock nicht wiederholen könnten. Gleichzeitig warnt Do Thinh davor, die Signalwirkung des Urteils zu überschätzen: „Eine Stimmung gegen Ausländer wie 1992 kann sich immer wiederholen“, so Do Thinh und verwies auf die massive Ablehnung der Bevölkerung in einigen Orten Mecklenburg-Vorpommerns gegen die demnächst dort geplante Errichtung neuer Flüchtlingsheime. Ob mit dem Urteil der juristische Schlussstrich unter das Pogrom von Lichtenhagen gezogen ist, bleibt zunächst offen. Die Verteidiger der Angeklagten kündigten Revision gegen das Urteil an. Und Richter Heydorn wartet darauf, dass ein gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen „Strafvereitelung im Amt“ genauso im Sande verläuft wie jene gegen die Polizeiführer der Brandnacht von 1992.

kommentar SEITE 12