Nur ein ganz normaler Totschlag

Zwei Naziskins töteten Mitte Mai einen Behinderten in Neubrandenburg. Die Staatsanwaltschaft sieht kein rechtes Motiv, nur einen Streit unter jungen Männern. Weil es in Mecklenburg-Vorpommern offiziell keine rechtsextremen Gewalttaten gibt

aus NeubrandenburgHEIKE KLEFFNER

Klaus Dieter L. war „anders“. Manche hielten den 19-Jährigen mit den unkontrollierten Bewegungen für „einen kleinen Trottel“. Für seine Freunde und die Sozialarbeiterinnen in der betreuten Wohngemeinschaft in der 70.000-Einwohner-Stadt Neubrandenburg war der schmale junge Mann mit dem rötlichen Wuschelkopf einfach einer, „der das Leben liebte“.

„Akzentuierte Persönlichkeitsstörungen“ lautete die Diagnose für Klaus Dieter L.’s Behinderung. „Er hatte andere Fähigkeiten“, sagt Silva R., die ihn ein halbes Jahr betreute. „Er hat immerzu neue Leute kennen gelernt und konnte nicht aufhören zu reden.“ Sein Lieblingsthema: Die Phantasiewelten und -identitäten, in die sich Klaus Dieter L. seit frühester Kindheit flüchtete.

Silva R. glaubt, dass es dieses „permanente Geschichtenerzählen und die wehrlose Offenheit“ waren, die Klaus Dieter L. am 15. Mai dieses Jahres zum Verhängnis wurden. Denn die neuen Bekannten, die der Jugendliche an jenem Abend in sein Zimmer mitnahm, hatten kein Verständnis für sein Anderssein. Erst rissen sie die Poster der afroamerikanischen HipHop-Stars von den Wänden, deren Musik der 19-Jährige „über alles liebte“. Der Grund: HipHop sei „Negermusik“. Dass Klaus Dieter L. sich nicht wehrte, als die zwei rechten Skinheads immer drohender auftraten, wundert Silva R. nicht. „Er war leicht einzuschüchtern.“

Eine Stunde nachdem er gemeinsam mit den 17- und 20-Jährigen die Wohngemeinschaft verließ, starb Klaus Dieter L. hinter einer Baracke an den Folgen gezielter Stiefeltritte in sein Gesicht. „Es sah so aus, als wäre mit dem Kopf Fußball gespielt worden“, sagt Oberstaatsanwalt Rainer Moser aus Neubrandenburg. Moser meint, der Anlass für die tödlichen Tritte sei ein Streit gewesen. Die Täter hätten sich durch „hässliche Formulierungen“ des Behinderten „provoziert gefühlt“. Bei ihrer Festnahme hätten sie erklärt, Klaus Dieter L. „sollte Prügel bekommen, weil er ‚fick deine Mutter‘ gesagt habe“. Ein rechtsextremes Motiv gebe es jedoch für die Tat nicht. Auch wenn Moser einräumt, dass die beiden Lehrlinge „Rechtssein toll fanden und die berühmten kurzen Haare und Stiefel trugen“. Silva R. sagt, dass im Viertel erzählt wird, die Täter hätten ausgesagt, „Behinderte und Neger“ seien „nicht lebenswert“. Staatsanwalt Moser spricht dagegen von „überschießender Gewaltanwendung“.

Die bekamen vor Klaus Dieter L. auch andere, die nicht ins rechte Weltbild passen, zu spüren. Der Skater Peter N. (Name geändert) beispielsweise. Seit einem zufälligen Zusammentreffen mit dem 20-jährigen Skin, der jetzt wegen gemeinschaftlichen Totschlags an Klaus Dieter L. in Untersuchungshaft sitzt, hat der Schüler eine braune Narbe im Brustbereich. Ein Schuss aus der Schreckschusspistole des Naziskins brannte sich durch Peter N.’s Kleidung und verbrannte seine Haut.

Für Kay Bolick, der als Mitarbeiter von Lobbi e.V. Peter N. und andere Opfer rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern betreut, wirft die offizielle Entpolitisierung des Falles von Klaus Dieter L. Fragen auf. Bolick verweist auf das reformierte polizeiliche Definitionssystem „politisch motivierte Kriminalität“. Danach gelten seit Anfang 2001 Straftaten als politisch motiviert, „wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person auf Grund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes beziehungsweise ihres gesellschaftlichen Status richtet“. Eine Definition, die in Mecklenburg-Vorpommern offenbar nicht angewandt wird. Zwar registrierte das Landeskriminalamt für das Jahr 2001 vierzig rechte Gewaltdelikte, doch das Schweriner Innenministerium gab keine einzige ans Bundesinnenministerium weiter. Die Begründung: Die Taten seien nicht extremistisch motiviert gewesen. Damit glänzt Mecklenburg-Vorpommern als einziges Bundesland im aktuellen Bundesverfassungsschutzbericht durch null rechte Gewalt.