Die Mehrheit mog net anders

Michael Stiller ist die bayerische Einmann-Opposition. In seinem neuen Buch verrät er, warum CSU-Chef Stoiber bisher nicht zu stoppen war. Den „Manager der Bayern AG“ entzaubert er so nicht

von LUKAS WALLRAFF

Die Opposition in Bayern besteht aus einem Mann. Das zu sagen, ist natürlich etwas übertrieben. Es gibt ja noch die SPD, die Grünen, Gerhard Polt und Ottfried Fischer. Aber die werden von der CSU nicht ernst genommen. Die Kabarettisten sind längst Teil der bayerischen Folklore. Und die anderen Parteien? Chancenlos und sehr verzweifelt. Vielleicht die Journalisten? Jo mei, schön ist es nicht, wenn die Leitartikler oder Feuilletonisten mal wieder was zu mosern haben, aber wer liest das schon. Ein paar Intellektuelle und die sowieso rot-grünen Münchner. Die CSU und ihre Stammwählerschaft auf dem flachen Land tangiert das wenig. Und so regieren die Schwarzen weiter gemütlich vor sich hin.

Nur ein Name macht sie nervös: Michael Stiller. Seit über dreißig Jahren piesackt der CSU-Spezialist der Süddeutschen Zeitung die allmächtige Partei. Erst als Landtagskorrespondent, heute als leitender Redakteur. Ob Amigo-Affären oder die verschlampten Millionen der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft LWS: Stiller ließ nicht locker. Wenn Skandale aufgedeckt wurden, die bundesweit für Aufsehen sorgten und die CSU in Erklärungsnöte brachten, war Stiller stets beteiligt.

Meist waren die Sozialdemokraten zu faul und die Grünen zu schwach, um ernsthaft Kapital daraus zu schlagen und an der Macht der CSU zu rütteln. Stiller recherchierte trotzdem weiter – und half mit, den einen oder anderen Minister aus dem Amt zu treiben. Natürlich war er nicht der Einzige, der den unzähligen Untersuchungsausschüssen des bayerischen Landtags Material gegen CSU-Politiker geliefert hat, aber er hielt am längsten durch. Das hat ihm viel Respekt verschafft – gerade auch in der bayerischen Staatskanzlei.

Entsprechend laut müssen dort die Alarmglocken geklingelt haben, als Stiller jetzt mitten im Bundestagswahlkampf ein Buch ankündigte mit dem Titel: „Edmund Stoiber. Der Kandidat“. Vielleicht hat er sich ja einen bisher unbekannten Skandal aufgehoben, mit dem er den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten auf seinem Weg ins Kanzleramt gefährden könnte?

Über intime Kenntnisse der bayerischen Spezl-Wirtschaft verfügt Stiller wie kaum ein anderer Kritiker der CSU – und in seinem Buch hat er sie ausführlich dokumentiert. Herausgekommen ist aber kein Stolperstein für Stoiber, sondern eine Chronik des Scheiterns seiner Gegner. Stiller inklusive. Ein Aufklärungsbuch, das vor allem eines nachvollziehen lässt: Warum die CSU und warum Stoiber bisher nicht zu stoppen waren.

Wenn es darauf ankommt, halten sich auch die ausgemusterten Opfer der rücksichtslosen Machtpolitik Stoibers an das, was Stiller die bayerische „Omertà“ nennt. Waigel? Sauter? Stamm? Sie schweigen. Dazu kommt eine launig vorgetragene Erkenntnis: „Die Mehrheit der Bayern ‚mog net‘ anders, sie mag die CSU einfach nicht abwählen“, schreibt Stiller. Keine Frage, er hat in seiner Karriere als Wühler eigentlich genügend Argumente zusammengetragen. Aber: „Vielleicht wollen es die Bayern gar nicht so genau wissen, was in ihrem Namen und mit ihrem Steuergeld alles so geschieht.“ Manchmal klingt da auch ein bisschen Frust durch – und Ärger über die lasche Opposition im Parlament. So sei die CSU kurz nach dem Amtsantritt Stoibers als Ministerpräsident per Gerichtsbeschluss gezwungen worden, einen weiteren Untersuchungsausschuss zur Amigo-Affäre zuzulassen. „Doch die SPD machte von der Möglichkeit, die Verantwortung Stoibers genauer zu klären, keinen Gebrauch mehr. Ihr Aufklärungseifer war schon nach einem katastrophalen Ergebnis bei der Europawahl 1994 erlahmt.“

Stiller ist Aufklärer geblieben. Und wenn schon die Bayern „net anders mögen“, würde er jetzt wenigstens einen Kanzler Stoiber gern verhindern helfen, daraus macht er keinen Hehl. Vor Zuständen wie in Bayern will er die Deutschen bewahren. Deshalb hat er sein Buch geschrieben: „Wer heute Bayern als Musterland und Stoiber als Saubermann sieht, muss auch einen Blick in diese finsteren Winkel des Freistaats werfen.“

Keine Frage, um Stoiber zu verhindern, ist es sicher sinnvoll, den Sumpf zu beschreiben, aus dem er kommt. Leider ist es Stiller aber nicht gelungen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Alles zählt er noch mal auf, handfeste Skandale wie die Steuerbefreiungen für Freunde der CSU wie den Bäder-Unternehmer Eduard Zwick ebenso wie unappetitliche Gerüchte über „eines der älteren, besonders katholischen Kabinettsmitglieder, das als Tatscher und Grabscher schon etlichen Frauen den geselligen Abend verdorben hat“.

Den Titel seines Buches verliert Stiller dabei mehr als einmal aus dem Blick, eigentlich müsste es heißen: „Der bayerische Amigo-Sumpf seit 1957 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Stoibers“. Bei der historischen Aufarbeitung geht die Porträtierung des Kandidaten unter. Nur am Rande erwähnt Stiller die „Summe der Fehleinschätzungen, denen Stoiber auf wirtschaftlichem Gebiet unterlegen ist oder für die er zumindest politische Mitverantwortung trägt“.

Aber statt den selbst ernannten „Manager der Bayern AG“ zu entzaubern, hält sich Stiller viel zu lange mit der Frühgeschichte der CSU auf. Fast die Hälfte des Buchs ist der Zeit von Franz Josef Strauß gewidmet – obwohl Stiller selbst schreibt: „Stoiber reicht an Strauß freilich nicht heran, weder im Guten noch im Schlechten.“ Seitenweise beschreibt er trotzdem Ereignisse aus den 60er- und 70er-Jahren, an denen Stoiber noch gar nicht oder nur ganz am Rand beteiligt war. Vieles davon ist zwar auch nach vielen Jahren noch erschreckend – etwa die ungenierte Kumpanei mit der Diktatur in Chile und den Rassisten in Südafrika. Auch über die Verlogenheit der Strauß’schen CSU, die lauter als alle anderen gegen den Kommunismus schimpfte und gleichzeitig die DDR mit Milliardenkrediten versorgte, liest man immer wieder gern. Aber neu ist das nicht – und was von einem Kanzler Stoiber zu erwarten wäre, lässt sich daraus wohl kaum ableiten.

Michael Stiller: „Edmund Stoiber. Der Kandidat“, 288 Seiten, Econ-Verlag, München 2002, 22 €