„Suchen Sie vielleicht Frauenkleider?“

Die Berge waren dem Manne, die Frauen waren zur Ehe bestimmt. Die Leistungen der ersten bergsteigenden Frauen wurden kritisch beäugt, ihre Eroberungen als Damenwände verniedlicht. Erstes weibliches Mitglied in einem britischen Alpenverein war die Hündin Miss Tschingel

Die Krinoline kurzerhand hinter einer Felsnase verstecktDie Besteigung brachte ihr den Namen „Braut des Montblanc“ ein

von ANKE RIETDORF
und MAGDA WYSTUB

Die Engländerin Lucy Walker stand 1871 als erste Frau auf dem Gipfel des Matterhorns. Bereits vier Jahre zuvor hatte sich eine Frau an diesem Berg versucht. Behindert durch die herrschende Konvention, die ihr das Tragen einer zum Bergsteigen äußerst unhandlichen und zudem gefährlichen Krinoline vorschrieb, musste Félicité Carrel ihre Tour vorzeitig abbrechen. Walker schien da praktischer veranlagt: Sie deponierte das sperrige Kleidungsstück kurzerhand hinter einem Felszacken und kletterte im Unterrock auf den Gipfel.

Die Anfänge des Frauenbergsteigens liegen noch weiter zurück, sie sind aber kaum dokumentiert. Bergsteigerin der ersten Stunde war die Französin Henriette d’Angeville, die 1838 im Alter von 44 Jahren als erste Frau den höchsten Berg Europas, den Montblanc, bestieg. Eine beachtliche Leistung für eine Frau, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit die Wissenschaften die Bestimmung der Frau in ihren Fortpflanzungsorganen entdeckte und die juristische Vormundschaft noch vom Vater auf den Ehemann überging. Auch der allseits bekannte Alexander von Humboldt verbreitete entzückende geistige Erkenntnisse. Frauen wie d’Angeville müssen einige seiner Worte recht ernst genommen haben: „Um Leben und Dasein zu geben, muss es [das weibliche Geschlecht] der Natur und der Wirklichkeit treu bleiben, und sich streng an sie binden.“ Natur? – da war doch was … ach ja, die Berge! Da aber trotz allem die Berge dem Manne und Frauen zur Ehe bestimmt waren, brachte Henriette ihre erfolgreiche Gipfelbesteigung den Namen „Die Braut des Montblanc“ ein.

Das nun folgende Jahrhundert bot mit der zunehmenden Erschließung der Bergwelt, einer Liberalisierung der Lebensverhältnisse und vor allem dem legitimierten Tragen von Hosen mehr Frauen die Möglichkeit, Bergtouren zu unternehmen. Der Engländerin Gertrude Bell beispielsweise gelangen zahlreiche Erstbegehungen in den Alpen, die Französin Alexandra David-Néel wanderte als Bettlerin verkleidet durch den Himalaya und erreichte als erste europäische Frau 1924 die verbotene Stadt Lhasa. Auch an der Erschließung der Dolomiten waren zahlreiche Damen beteiligt, so die ungarischen Baronessen Ilona und Rolanda Eötvös, um deren Ruhm es jedoch nicht so gut bestellt ist. Obwohl es um die Jahrhundertwende üblich war, von einheimischen Bergführern auf die gewünschten Gipfel geleitet zu werden, um sich anschließend als Erstbegeher feiern zu lassen, finden wir bei der Beschreibung der Leistungen dieser beiden Damen des öfteren die Betonung, sie seien auf die entsprechenden Gipfel geführt worden.

Während sich die bergsteigenden Herren haufenweise mit ihren Namen am Berg verewigten, muss man schon aktiv suchen, um Dokumente bergsteigerischer Leistungen von Frauen ausfindig zu machen.

Eine der wenigen ist Emma della Giacomo, nach der noch heute ein Gipfel im Südtiroler Gebiet Rosengarten benannt ist. Die übrigen weiblichen Gipfelnamen wie „Giuglia di Brenta“, „Punta Gretl“ oder „Cima Wilma“ weisen nicht etwa auf Erfolge von Bergsteigerinnen hin, sondern manifestieren vielmehr die Projektion der Geschlechterverhältnisse am Berg: Denn Gipfel, so sie noch unbestiegen sind, gelten als „jungfräulich“ und werden im alpinistischen Sprachusus seit eh und je „erobert“, „besiegt“ oder „bezwungen“.

Die bergsteigerische Aktivität der abenteuerlustigen Damen bedeutete jedoch nicht, dass ihnen auch die Mitgliedschaft in alpinen Vereinen zugestanden hätte. Mit einer Ausnahme wohlbemerkt, der Hündin der erfolgreichen Bergsteigerin Margaret Claudia Brevoort „Miss Tschingel“, die bei zahlreichen Besteigungen im 19. Jahrhundert dabei gewesen ist, weshalb sie die Ehrenmitgliedschaft im British Alpine Club erhielt. Der Ausschluss von Frauen aus alpinen Vereinen, der sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinzog, hatte zur Folge, dass diese sich in eigenen Vereinigungen zusammenschlossen. So existieren heute noch der 1907 gegründete Ladies Alpine Club, der Scottish Alpine Club oder der Pinnacle Club.

Die Bastion des männlich dominierten Bergsteigens wurde also im 20. Jahrhundert unaufhaltsam erstürmt oder sagen wir, eher allmählich untergraben. Nicht nur im heimatlichen Lebensalltag drängten Frauen in begehrte berufliche Positionen, emanzipierten sich von Kindern, Küche und Kirche – nein, jetzt wollten sie auch noch in diesen sagenumwobenen Raum tollkühner Taten eindringen.

Eine letzte Strategie der Herren, ihr Vorrecht am Berg zu verteidigen, war das Abwerten der von Frauen begangenen Routen. Noch in den 80er-Jahren wurden heiß umkämpfte Wände als nicht lohnend eingestuft, sobald sie von Frauen erstbestiegen wurden. Daher rührt auch der schöne Name „Damenwand“, zur Bezeichnung der mit Abstand am leichtesten begehbaren Route. Zu bewundern selbst an einem künstlichen Kletterturm der deutschen Hauptstadt.

Dergleichen kollegiale Erfahrungen mit ihren Bergkameraden konnte auch die polnische Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz machen, die unter anderem acht der vierzehn Achttausender bestieg, bevor sie das Schicksal zahlreicher BergsteigerInnen ereilte und sie 1992 bei einem Besteigungsversuch des Kangchendzönga verschollen blieb. Ihre Erstbegehungen in der Tatra wurden konsequent ignoriert, und es war ein plötzlich schwindendes Interesse seitens der männlichen Kollegen für diese bislang so viel diskutierten Wände zu beobachten.

Die Zeiten haben sich geändert. Feminismus ist kein Thema mehr. Oder doch? Muss sich etwa die neue Generation der knallharten Jungs heiß umkämpfte Wände mit dem schwachen Geschlecht oder gar mit männerhassenden Emanzen teilen? Aber nein, kein Grund zur Sorge: Seit dem 1987 erschienenen Ratgeber eines renommierten Berg- und Expeditionsmediziners können wir im Kapitel „Seniorenbergsteigen, chronisch Kranke und Frauen“ nachlesen, dass die Frau am Berg „keine maskuline Amazone, sondern alles in allem eine meist charmante, alpinistisch durchaus gleichberechtigte Partnerin“ ist.

Wie beruhigend, denn wer hat schon Lust, in der gefahrvollen Bergwelt über die soziale Konstruktion von Geschlecht zu debattieren! Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehen Männer und Frauen gemeinsam ihrer Abenteuerlust nach. Damit aber am Berg dennoch keine definitorischen Unklarheiten aufkommen, hilft die moderne Outdoor-Industrie der modisch bewussten Bergsteigerin, auch im Gebirge ihre angeborene Feminität zum Ausdruck zu bringen: Mit figurbetontem Funktionsshirt, tailliertem Fleecepulli und tadellos sitzender Kletterhose zieht sie garantiert den einen oder anderen Blick auf sich, was sicherlich das Bergerlebnis für alle Beteiligten steigert! In dieser Saison ganz neu im Katalog eines süddeutschen Sporthauses: der Kletterrock „für den Cappuccino danach“.

Neben den historischen Vorreiterinnen hat die Kletterinnenszene auch ihre zeitgenössischen Stars. Die „meist charmante, gleichberechtigte“ Bergkameradin, die US-amerikanische Extremkletterin Lynn Hill, schaffte 1994 die Erstbegehung des in der Kletterszene umschwärmten „El Capitan“ im Yosemite-Nationalpark als Erste in „freier“ Kletterei. Zahlreiche AnwärterInnen waren zuvor an diversen Routen dieser Wand gescheitert und gezwungen, diese „technisch“ zu erklettern, also auf künstliche Hilsmittel wie Haken als Tritte oder Schlingen als Griffe, zurückzugreifen. Wenig später setzte Lynn noch einen drauf und steigerte ihre Leistung, indem sie diese zirka 1.000 Meter lange „Big Wall“, die durchweg Kletterei im obersten Schwierigkeitsbereich verlangt, in einer Art Klettermarathonlauf in 23 Stunden schaffte. Zwei Leistungen, die bislang von niemandem wiederholt werden konnten.

Kletterrock hin oder her: Kletterinnen wie Lynn Hill oder die Französin Catherine Destivelle, die 1992 im winterlichen Alleingang die Eigernordwand erstieg, machen deutlich, dass sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede am Berg nur noch mit größter Mühe aufrechterhalten lassen. Dass beim 1. Internationalen Eisklettercup im Januar 2002 im österreichischen Pitztal das Preisgeld der Damen um 400 Euro geringer ausfiel als das der Herren, war sicher irgendwie ein Zufall und muss nun wirklich nicht so breit getreten werden.

Es soll ja auch vorkommen, dass sich bergbegeisterte Frauen für bergbezogene Berufe interessieren. Und tatsächlich, auch dieses Tabu ist gebrochen: 1992 musste ein juristisches Verfahren nachhelfen, um endgültig zu klären, dass auch Madeln in der Bergwacht aktiv sein dürfen. Auch professionelle Bergführerinnen gibt es seit einigen Jahren in Deutschland – ganze zwei unter mehr als 500 männlichen Kollegen!

Ein Hinweis für alle, die statt Klettern lieber Surfen: Gibt man den Begriff „Frauenklettern“ in eine der deutschen Suchmaschinen ein, fragt der Computer höflich, ob man vielleicht auf der Suche nach „frauenkleidern“ ist. Na dann: „Berg Heil!“