Blog über Piratenpartei: „Wir genießen still“

Die neuesten Absurditäten und Skandale der Piraten gibt es im Blog „Popcornpiraten“. Ein Gespräch über Querelen, Unterhaltungswert und das Polittheater.

„Politik ist letztlich oft auch ein Schauspiel. Und die Piraten bieten wirklich gutes Theater“, so der Macher der Blogs Caspar Clemens Mierau. Bild: dpa

taz: Herr Mierau, seit einem halben Jahr betreiben Sie das Weblog Popcornpiraten.de. Was motiviert Sie, so einen Aufwand um die Querelen in dieser Partei zu betreiben?

Caspar Clemens Mierau: Die Frage stelle ich mir manchmal auch.

Und, was ist Ihre Antwort?

Das Projekt ist im letzten Herbst einfach so aus einem Moment heraus geboren. Es war ein Sonntag im August und ich las mal wieder eine dieser skurrilen Nachrichten aus dem Piratenkosmos und hatte das Gefühl: So ein Blog, das wäre die passende Erzählform für diese Partei. Und dann hab ich einfach die Seite aufgesetzt und am nächsten Tag losgelegt.

Wissen Sie noch, worum es damals ging?

Der Auslöser war der Streit um die AG Nuklearia – das sind Piraten, die sich für Atomkraft einsetzen, obwohl die Partei eigentlich eine Anti-Atom-Linie vertritt. Eine Riesenbombe innerhalb der Piratenpartei. Es ging um Pro-Atom-Flyer mit dem Parteilogo drauf, es gab eine Abmahnung. Ich fand das total skurril. Aber lustig.

geboren 1978 in Ostberlin, ist studierter Medienkulturwissenschaftler. Er promoviert über Software-Entwicklungsgeschichte und berät nebenher Startups in technischen Fragen. Seit August betreibt er das Weblog Popcornpiraten.de. Nach seinen Angaben wurde die Seite seither etwa 250.000 Mal aufgerufen, das News-Feed hat 500 Abonnenten.

Kam das bei den Lesern Ihres Blogs auch so an?

Zumindest kam so viel Feedback, die Seite hatte auf Anhieb so viele Leser, dass ich motiviert war, weiterzumachen. Inzwischen bekomme ich an normalen Tagen so etwa fünf, an starken auch mal fünfzehn potenzielle Geschichten über ein anonymes Formular zugeschickt.

Von wem kommen die ganzen Hinweise? Auch von Piraten?

Ja, unter den Einsendern sind durchaus auch sehr gut informierte Parteimitglieder. Ihre Motive reichen von Sympathie mit meiner Erzählform über Nützlichkeitserwägungen bis hin zum bevorstehenden Parteiaustritt. Meistens bereite ich abends ein bis zwei Stunden lang die Storys vor und publiziere sie im Laufe des nächsten Tages.

Die Piraten müssen Ihnen ziemlich wichtig sein – sonst würden Sie ja kaum so viel Zeit für sie aufwenden. Tragen Sie eine heimliche Liebe zu dieser Partei mit sich herum?

Es ist weder Liebe noch Hass. Das wären zu starke Emotionen. Eher eine Freude am Skurrilen. Ich glaube, dass man Teile der Politik ruhig mal als Unterhaltung betrachten kann. Politik ist letztlich oft auch ein Schauspiel. Und die Piraten bieten wirklich gutes Theater …

Die Piratenpartei – konsequent reduziert auf absurdes Theater?

Ja, warum nicht. Ich genieße das und fühle mich selbst gut unterhalten von all diesen lustigen Nachrichten.

Steht dafür auch der Begriff „Popcorn“ im Namen Ihres Blogs?

In der Netzkultur bezeichnet der Begriff Popcorn eine bestimmte Art von Auseinandersetzung im Internet: Ein Streit verläuft so grotesk, dass man sich am liebsten wie im Kino dazusetzen und Popcorn essen würde. Deshalb habe ich mein Blog auch mit einem Foto von Kindern illustriert, die im Kino sitzen und Popcorn essen. Dieses Bild steht für die Grundhaltung: Wir gucken zu, amüsieren uns und genießen still.

Stimmt es, dass Sie selbst mal Mitglied in der Piratenpartei waren?

Das ist richtig. Allerdings nur sehr kurz. Ich bin Ende 2009 eingetreten und war drei Monate Mitglied. Nach meinem Eintritt habe ich mich auf den Mailinglisten der Partei eingetragen. Und gleich bei den ersten Mails wurde mir klar: Diese Leute kenne ich schon aus anderen Netzpolitik-Zusammenhängen, eigentlich will ich denen nicht schon wieder begegnen. Und so bin ich ganz schnell wieder ausgetreten.

Egal scheint Ihnen diese Partei aber trotzdem nicht zu sein.

Klar, ich bin selbst Teil der Netzszene, aus der die Piratenpartei kommt und in der sie sich besonders positioniert. 2011 habe ich die Piraten hier in Berlin selbst gewählt. Da interessiert mich natürlich, was so aus deren Versprechen wird. Ab einem gewissen Punkt hat sich da bei mir eine gewisse Entgeisterung eingestellt.

Ihr Blog lebt vom Unterhaltungswert, den die Dauerquerelen in der Partei bergen. Viele Piraten aber sind verzweifelt, dass quasi nur noch solches Popcorn – wie Sie es nennen – nach außen dringt. Verstehen Sie das?

Absolut. Ich glaube aber, dass mein Blog verschiedene Zwecke erfüllt.

Und zwar?

Es gibt Leser, die solche Meldungen auf unpolitische Art einfach lustig finden. Es gibt auch Piraten, die das amüsiert. Und dann gibt’s Leute wie den Piraten-Bundesvorstand Klaus Peukert, der mal in einem Tweet schrieb: Die Popcornpiraten hauen jeden Tag auf uns drauf, aber das ist wichtig. Die Partei braucht so ein Korrektiv.

Schaden oder nützen Ihre Popcorn-News der Partei?

Beides. Einige Leute haben mir gesagt: Wegen deiner Seite bin ich ausgetreten. Aber so ein Projekt kann auch eine positive Rückkoppelung auslösen. Letztlich ist meine Seite ein permanenter Appell: Macht was mit eurer Öffentlichkeitsarbeit!

Glauben Sie, das Theater lässt sich durch bessere Öffentlichkeitsarbeit kontrollieren?

Mir kommt die Öffentlichkeitsarbeit in der Partei jedenfalls sehr halbherzig vor. Viele Piraten sind der Ansicht: Es kommt bei uns nur auf die Inhalte an. Dahinter steckt ein klassischer Netzgedanke: Was zählt, ist allein die logische Argumentation. Dabei vergessen viele Piraten, dass die Wähler Menschen mit Emotionen sind, für die auch die Form entscheidet.

Viele Skurrilitäten dringen nach draußen, weil die Piraten transparenter kommunizieren als andere Parteien. Machen sich die Piraten mit ihrer Offenheit selbst ihr eigenes Projekt kaputt?

Es stimmt, dass man in anderen Parteien schwieriger an solches Popcorn herankommt. Aber wenn die Piraten für Transparenz stehen wollen, dann müssen sie souverän damit umgehen – also öffentlich zu Fehlern stehen, frühzeitig einräumen, dass jemand Mist gebaut hat. Stattdessen fallen sie häufig in die klassischen Abstreitmuster herein. Ich glaube, der Kommunikationsstil ist für die Piraten ein Riesenthema.

Wenn man Ihr Blog als Spiegel des Parteilebens sieht, dann produzieren Sie ein absolutes Zerrbild.

Klar, aber es ist auch nicht mein Anliegen als Blogger, die gesamte Parteiarbeit abzubilden.

Uns Journalisten wird gerne vorgeworfen, wir reduzierten die Partei zu viel auf ihre Querelen und sollten doch mal mehr über die progressiven Inhalte berichten. Finden Sie die Kritik gerechtfertigt?

Ehrlich gesagt nicht. Entweder, eine Partei schafft es, ihre Themen zu transportieren – oder sie macht irgendwas falsch. Wenn ich meine Inhalte nicht überzeugend genug verpacke, dann schreiben die Journalisten halt über andere Storys.

Machen Sie sich mit Ihren permanenten Negativ-Meldungen auch Feinde in der Partei?

Kurz nach dem Start gab es häufig technische Probleme mit der Seite. Mein Eindruck war, da versucht jemand, den Server zu attackieren. Außerdem bekam ich Post von einem Anwalt, der verlangte, ich solle eine der Meldungen löschen. Damals stand die Geburt meines Sohnes kurz bevor, anderes schien mir wichtiger. Und so bin ich der Löschaufforderung nachgekommen. Denn letztlich ist das Blog ja auch nur ein Freizeitprojekt. Ich kriege aber übrigens auch sehr erfreuliche Rückmeldungen.

Zum Beispiel?

Fast täglich kommen kleine Spenden über das Bezahlsystem Flattr. Es handelt sich zwar nur um Cent-Beträge, aber das Geld reicht, um die laufenden Kosten zu decken, und freut mich jedes Mal aufs Neue. Und dann kam eines Tages ein großes Paket an, da stand als Adressat Popcornpiraten drauf. Ich war erst mal ziemlich skeptisch, ob ich das aufmachen soll.

Und, was war drin?

Ein Geschenk von einem begeisterten Leser. Eine Popcorn-Maschine.

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