Die neuralgische Zone

Reale Repressionen, unfreiwillige Komik: Warum sich die meisten Regisseure so schwer tun, beim Umgang mit der DDR den richtigen Ton zu treffen. Zum Start des Films „Drei Stern Rot“ von Olaf Kaiser: Anmerkungen zum Genre der DDR-Komödie

Satire gilt der Kritik mehr als die Komödie. Doch Pädagogik droht auch oft zu scheitern

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Manche vermissen die DDR wegen der Witze, die über sie gemacht wurden. Was haben wir gelacht – zum Beispiel über Honecker, der von Gott eine gute und eine schlechte Nachricht hörte; die gute zuerst: Der Sozialismus in der DDR wird bis ans Ende aller Tage fortexistieren; die schlechte: Das Ende ist morgen. Oder auch den von der medizinischen Wunderleistung, das Herz Europas in den Arsch der Welt verwandelt zu haben.

Anstatt brüllendes Gelächter lässt sich heute damit lediglich noch nostalgisches Lächeln hervorrufen. Damals besaßen solche Witze jedoch nicht nur tagespolitische Schärfe, sondern den Geruch von Aufmüpfigkeit und Risiko, der sogar bis in den Westen hinüberwehte, wo die Fraktion, die über so was nicht lachen wollte, weil sie es für antikommunistisch hielt, ja nie die kulturelle Hegemonie erlangte.

Heute dagegen haben sich die Vorzeichen verkehrt: war einst jeder Scherz fast als Widerstandsakt geadelt, neigt man nun zum Generalvorwurf der Verharmlosung oder gar Verhöhnung derer, die gelitten haben. So geschehen zum Beispiel 1999 mit Leander Haußmanns Film „Sonnenallee“, gegen dessen komödiantische Oberfläche einige Feuilletonisten die wahren Schrecken des Regimes in Erinnerung bringen zu müssen meinten. Doch auch mit der „ernsten“ Darstellung ist es so eine Sache: In Volker Schlöndorffs „Stille nach dem Schuss“ kurz darauf wirkte die „realistisch“ inszenierte DDR mit ihren hilfsbereiten Stasimännern ganz unfreiwillig komisch – ganz so, als ob zu viel Respekt vor der Geschmähten sich sofort von selbst ins Absurde wendet.

Als Staatsgebilde mit anmaßend starken Autoritäten, deren Legitimation aber längst unterhöhlt war und deshalb in leerer Formelhaftigkeit einfach starr weiter behauptet wurde, reizte die DDR natürlicherweise zum Humor heraus. Weil diese Konstruktion, so lächerlich und fiktiv sie in ihrer automatisierten Ritualen auch wirken mochte, bis zum Schluss aber ganz reale Repressionen ausübte, gibt es dieses ungeschriebene Gebot, dass über diese Vergangenheit nicht „einfach so“ frei herausgelacht werden darf, nein, das Lachen muss mindestens im Halse stecken bleiben oder einem besser ganz vergehen. Die Beschreibung dieses Effekts gilt allgemein als das höchste Kritikerlob, das einer Komödie zuteil werden kann.

In diesem Sinne wurde vor drei Jahren die Verfilmung von Thomas Brussigs „Helden wie wir“ gegen „Sonnenallee“ ausgespielt. Wo Haußmann albern über reale Grausamkeiten scherzte – Schüsse an der Grenze! –, inszenierte Regisseur Sebastian Peterson Brussigs Schelmenroman mit einer melancholischen Ernsthaftigkeit, die jede Komik gleich im Keim erstickte. „Helden wie wir“ ist wohl eine der traurigsten Komödien, die es gibt, und da das kein Witz, sondern das Stilprinzip des Films ist, konnte er trotz Kritikerlob nicht annähernd an den Publikumserfolg von „Sonnenallee“ anschließen. Um ja nicht in den Ruch der Harmlosigkeit oder gar des simplen Spaßes zu kommen, wird auch „Drei Stern Rot“ von Olaf Kaiser nun angekündigt als „satirische“ und „bittere Komödie“. Der Umschlag vom komischen ins tragische Genre ist hier im Plot vorgesehen als der von Schein zu Sein: am Anfang sehen wir einen Schauspieler ausrasten, der einen DDR-Grenzsoldaten spielen soll. Im Verlauf der daraufhin nötigen Therapiesitzung wird die eigentliche Obsession des ehemaligen Grenzsoldaten als „reale“ Seelenverwundung herausgearbeitet. Was zunächst also wie eine ironische Zuspitzung und absichtsvolle Übertreibung aussieht – verkörpert in der Allgegenwart eines „Nattenklinger“, der als Passepartout der schikanierenden Autorität auftritt –, soll sich zum betroffen machenden Abbild der wahren Absurdität des Grenzregimes steigern.   Für Komik bleibt bei so viel Entlarvungsverve allerdings kaum noch Raum. Den richtigen Modus zur Darstellung dieses seltsamen Gebildes „DDR“ zu finden scheint ungeheuer schwer, gerade weil es sich aus zwei so gegensätzlich besetzten Komplexen wie „Mauer“ und „realsozialistischer Alltag“ zusammensetzt: das eine die Inkarnation des Schreckens, das andere quasi eine Einladung zum „Camp“, weil ein einziges Scheitern von kulturellen Anstrengungen, ein beständiges „Lügen, das die Wahrheit erzählt“.

Margarethe von Trotta versuchte vor Jahren einmal, die Geschichte der Mauer im dafür doch so angemessen scheinenden Genre des Melodrams zu erzählen, als Herz-Schmerz-Geschichte eines Sich-Verpassens und -Verfehlens, das auch die Wiedervereinigung nicht mehr gutmachen konnte – von der Kritik wurde sie dafür abgestraft.Heute wagen sich allenfalls Fernsehproduktionen mit ihrer von vornherein beschränkten Pathosfähigkeit an die „großen Gefühle“ der deutschen Teilungsgeschichten. Der normale „DDR-Alltag“ dient dagegen bestimmten subkulturellen Kreisen als Pointenreservoir. Was noch vor ein paar Jahren wahrscheinlich schien, nämlich dass die ganze DDR-Alltagskultur zum Kultobjekt verklärt wird, hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Wie so manches Mal war nämlich die Banalisierung durch den Kommerz schneller: Bevor man zu jenem Ernst finden konnte, den „camp“ von der bloß sarkastischen Freude am schlechten Geschmack unterscheidet, wurde das gerade noch kommensurable „Schräge“ bereits für diverse Produktwerbungen genutzt. Auch die zu einer bestimmten Zeit aufkommenden Ostalgie-Partys trugen durch ihren offiziösen und kommerziellen Charakter schnell dazu bei, jedem dafür Empfänglichen die Ostalgie vollkommen auszutreiben.

Dieser Umschlagprozess lässt sich auch an den beiden „Go, Trabi, go“-Filmen von 1991 und 1992 nachvollziehen. Im ersten wird unter der Regie von Peter Timm sorgfältig die Balance gewahrt: auf der einen Seite Familie Struutz und ihr kultiviertes Verhältnis zu Trabi „Schorsch“, mit dem sie sich in seiner Kleinheit, Gewandtheit und Unverwüstlichkeit identifizieren – „ein Auto ist auch nur ein Mensch“ –, und auf der anderen jene Barbaren, die sich in der „Trabi-Peepshow“ für Geld darüber lustig machen. Während die Struutzens also die liebevolle Ironie des „camp“ zu ihrem Trabi auszeichnet – „ein starkes Verbundenheitsgefühl mit einem Objekt unter Einbeziehung der komischen Wahrnehmung seiner Widersprüchlichkeit“ –, legen die anderen, die Westler, hier jene Art von gleichgültigem Sarkasmus an den Tag, der allenfalls für „cheese“ charakteristisch ist. Die Fortsetzung „Go Trabi go 2 – Das war der wilde Osten“ unter der Regie von Wolfgang Büld und Reinhard Kloss (die mit knapp 500.000 Zuschauern den Erfolg des Originals mit 1,6 Millionen nicht wiederholen konnte), ist denn auch vollständig von dem spezifischen Humor des „cheese“ durchdrungen: Es geht um eine Gartenzwerg-Fabrik. Passenderweise steht „Schorsch“ den größeren Teil des Films über in der Werkstatt, während die Helden der Geschichte dann in einer Art „Ami-Schlitten“, Slade hörend („Far far away“), durchs schöne Sachsen fahren.

Von „Go, Trabi, go“ bis „Sonnenallee“: Mitten im Spaß herrscht ein ernstes Gefühl

Die Ernsthaftigkeit des Gefühls mitten im Spaß zeichnet auch Haußmanns „Sonnenallee“ aus. Schon der Eröffnungssatz „Ich lebe in der DDR, ansonsten habe ich keine Probleme“ offenbart in der Gleichzeitigkeit von Unter- und Übertreibung eine spannungsgeladene Doppelbödigkeit. Stilbesessen und konsequent über den Details die „Generallinie“ vergessend, ist „Sonnenallee“ von einer Intensität geprägt, die keine Angst hat, komisch zu sein. So wird selbst das Schreckensthema Grenze hier mit fast liebevoll zu nennender Ironie behandelt, etwa wenn Onkel Heinz mit großem Aufwand ganz legale Dinge „schmuggelt“ und mit den Grenzern abstruse Gespräche über den Sitz von Gebissen und Asbest führt. Statt zu entlarven, steigert Haußmann die Harmlosigkeit ins Groteske, was im Ergebnis nicht weniger unheimlich wirkt. Doch natürlich hört der „camp“ an der Mauer, der deutsch-deutschen Grenze, auf. Weil sie sozusagen das eigentliche Wahrzeichen der DDR war, gilt hier ganz besonders das Humorparadox: Wer zu leicht lacht, droht den Schrecken zu vergessen. Aber macht nicht der Schrecken gerade die Schärfe des Humors aus? Es ist eine Frage der Mischung; zu viel „Entmischung“ nämlich verträgt sich mit Komik schlecht. Dem Lachen eine vorgegebene pädagogische Richtung geben zu wollen ist zum Scheitern verurteilt. So wird zwar das Genre „Satire“ hochkulturell mehr geschätzt als die einfache Komödie, Letztere wird dafür mehr geliebt.

Ein Standardsatz sowjetischer Humoristen, die sich nicht gern Satiriker nennen ließen, weil „Satire“, einmal durch den Zensurprozess durch, legal war: Ein Status, den der einfache Humor in seiner unzensierbaren Quecksilbrigkeit nie erlangen konnte, lautet denn auch: „Satire ist’s, wenn es lustig, aber zugleich schrecklich zugeht. Humor dagegen ist schrecklich lustig.“

„Schrecklich lustig“ ist vielleicht auch die einzig richtige Beschreibung für einen Film wie die Zucker-Abraham-Zucker-Komödie „Top Secret“ aus dem Jahr 1983, bei der man sich nicht ganz sicher sein kann, ob noch das Feindbild oder schon der Kalte Krieg als solcher persifliert wird. „East Germany“ ist hier in der Rolle als „Reich des Bösen“ zu sehen, was an sich schon ein Scherz ist. Zu Beginn wird die Mauer gezeigt, damit wir wissen, wo wir sind, und sogleich auch durchbrochen. Ähnlich respektlos verfährt der Film mit weiteren Stereotypen, die rund um die „DDR“ einst assoziiert wurden. Ungerührt wird darüber hinaus die Kontinuitätsthese bebildert, indem die Uniformen in diesem nach Weltherrschaft trachtenden „East Germany“ ganz den bekannten Film-Naziuniformen nachempfunden sind. Vielleicht gilt für „Top Secret“ das Gleiche wie für die eingangs erwähnten Witze, nämlich dass es sich seltsamerweise nicht leichter lacht, jetzt, nachdem der Schrecken vorbei ist, sondern mühsamer. Dafür fallen andere Dinge umso schärfer ins Auge, zum Beispiel der Briefkopf eines Dokuments, auf dem unter dem Emblem „East Germany“ als Logo zu lesen ist: „Better government through intimidation/Besser Regieren durch Einschüchtern.“ Wie doch in einer kleinen Formulierung alles drin sein kann: Der Utopieanspruch bei gleichzeitiger Regulierungswut, dieser kleinliche Fleiß des Bessermachenwollens, der so harmlos beginnt und so grauslich endet. Im Übrigen ein Witz, bei dem den einen das Lachen im Halse stecken bleibt. Während andere sich vor Erleichterung darüber, dass das vorbei ist, kaum halten können.