Der Neonazi isst mit

Die dreiteilige Doku „Familienkrieg“ beobachtet den Versuch, bürgerliche Idylle herzustellen, obwohl der Sohn rechtsradikal ist. (Teil 1 um 21.40 Uhr, ARD, Teil 2 und 3 am Montag und Mittwoch)

von TIM SCHOMACKER

Eine Autofahrt. „Er ist damals in die rechte Szene gezogen worden“, erzählt Susanne, die am Steuer sitzt, „seitdem kann man unser Familienleben nicht mehr als Familienleben titeln – nur noch als Machtkampf.“ Sie ist Simons Mutter. Eine andere Autofahrt. „Jetzt kommt mein Lieblingslied!“ Diesmal spricht Simon. Wir sehen ihn am Steuer, das Radio lauter drehen, mit dem Kopf wippen, mitsingen. Ein Lied, in dem sich „Kameraden‘‘ auf „… die Mädels müssen warten“ reimt und der von „Bomben auf Israel“ fantasiert.

Diese Sequenzen tragen viel von dem in sich, worum es in der dreiteiligen Fersehdokumentation „Familienkrieg“ geht: die Familie und das Verhältnis der Geschlechter. Markiert werden vor allem jene Punkte, wo es nicht so einfach ist, zu sagen: „Nazis sind so“, oder „Linksliberale Frauen in den Vierzigern sind so.“ Reinhard Schneider hat die Dramaturgie des Dreiteilers eher um Brüche herumgebaut als um Gewissheiten oder Klischees.

So ist Simons Freundin Sandra Faschistin und drogenabhängig, was ihn gegenüber seinen Kameraden in argen Erklärungsnotstand bringt. „Weißt du eigentlich, wie weh mir das tut, wenn du das Zeug nimmst? Alles Scheiße!“, sagt er. Sie, leise: „Nicht alles Scheiße.“ – „Doch. Du kennst meine Einstellung …“ Gerade für die aussagekräftigen Szenen muss der Filmer viel Geduld aufbringen. So bleibt der Dreiteiler eng an den Familienmitgliedern und unterstreicht das „Ritualhafte“ ihrer Handlungen. Im Mittelpunkt steht die Hassliebe zwischen Mutter und Sohn.

Weil die Dreharbeiten über ein gutes Jahr verteilt sind, kann man beobachten, wie bestimmte Handlungen sich wiederholen. Ohne Veränderung laufen sie ins Leere. Dem Streit am Familientisch im ersten Teil entspricht die Diskussion um Simons Lehrstelle im zweiten oder sein Besuch bei Mutter und Bruder im abschließenden Teil. Der studierte Theaterwissenschaftler Schneider macht die vor der Kamera agierenden Menschen zu Figuren in einer Art Kammerspiel. Es ist als Dreiakter gebaut und handelt in erster Linie von der allseitigen Sprachlosigkeit in dieser Familienhölle. „Was ich nicht in Worte fassen kann, macht noch mehr Angst – mir jedenfalls“, sagt Susanne einmal. Die Sprachlosigkeit funktioniert als Schweigen wie als Geschrei. Den Menschen bleibt, scheint’s, kaum etwas übrig, als sich eines stereotypisierten sprachlichen, mimischen und gestischen Repertoires zu bedienen.

Die gut fünfzig Stunden Rohmaterial sind geschickt arrangiert. Die Autofahrt aus Teil eins wird zu Beginn des zweiten wiederholt. Zu den drei Sätzen, die Susanne sagt, kommen drei weitere hinzu. So gelangt „Familienkrieg“ zu unterschiedlichen Blickwinkeln, dreht sich zugleich spürbar immer mehr hinein in den zum Scheitern verurteilten Versuch, die Idee der bürgerlichen Kleinfamilie zu leben. Gerade weil Schneider den „Familienkrieg“ ohne formale Extravaganzen ins Bild setzt, entsteht der Eindruck von Komplexität dort, wo er hingehört: in der Geschichte – und nicht bei den Bildern, die er davon macht.

Die dokumentierte Ausweglosigkeit wird abgekoppelt vom „Wie konnte es dazu kommen?“. Die Figuren sind ambivalent; sie sind sozial gerahmt und entscheidungsfähig zugleich. Jeglichem Versuch, eine Zwangsläufigkeit zu unterstellen, erteilt die Langzeitbeobachtung eine Absage. Der „schlechte Umgang“ oder das Dasein als „Pseudopunk“, die Konkurrenz zum Bruder oder die Abwesenheit des Vaters – all diese Erklärungsversuche werden nicht von außen an die Familie herangetragen. Sie sind Bestandteil des „Familienkriegs“ selbst. Doch nichts davon reicht hin, jemanden zum bekennenden Anhänger der NSDAP und Rassisten zu machen.

Am Schluss ist Simon auf dem Weg zu Sandra, sie im Knast besuchen. Beide sind mittlerweile verheiratet. „Unser Familienleben, das wo wir halt planen, wird konservativ sein – schließlich sind wir Nazis …“ Er grinst. Eigentlich ist der „Familienkrieg“ eine Reality Soap. Nur rausgewählt wird hier niemand.