Von „Controlldirnen“ bis zum Sex-Ghetto

■ Helenenstraße historisch: Die Geschichte der Hurengasse spiegelt die Doppelmoral des Bremer Bürgertums wider. Heute diskutieren in der Schauburg Experten und Beteiligte über die Zukunft des klitzekleinen Kiezes im Viertel

Wenn Architekten, Eigentümer und Interessierte heute in der Schauburg über das neue Konzept für die Helenenstraße diskutieren, wird der Bruch mit einer 125 Jahre alten Bremer Tradition verhandelt. Die für Kinder und Frauen gesperrte Puffstraße mitten im Steintor soll zur Fußgängerzone für alle und zum Impulsgeber für das brachliegende Viertel werden.

Der Entwurf des Architekten Sven Lux sieht dafür einen Abriss des Garagenhofes vor, der die Helene zur Sackgasse macht. Ziel des Konzeptes: Erstmals soll ein Durchgang zwischen Ziegenmarkt und Mecklenburger Platz geschaffen werden. Am so entstandenen „Helenenplatz“ sollen eine „Bordell GmbH“ mit 30 Separées, ein Backpacker-Hotel, Cafés und Kneipen, vielleicht sogar ein Museum entstehen, das die Geschichte der Rotlichtgasse beleuchtet.

Das Museum hätte jede Menge zu erzählen. Die Geschichte der Helene ist nämlich die der Doppelmoral des Bremer Bürgertums. Schon als ein Senats-Ukas 1878 die „controllierte und reglementierte Prostitution“ in der Helene einführte, ging ein Aufschrei durch die Stadt. Ein Jahr später richteten die Bewohner des ehrenwerten Steintorviertels eine Petition mit 2.200 Unterschriften an den Senat. Zweck: „Fortschaffung der Controlldirnen“.

Die zuständigen Staatsräte und Senatoren waren hingegen mächtig stolz auf ihre Idee und tourten mit einem Holzmodell der Helene über Gesundheitsmessen in Paris, New York und Moskau. Immerhin wollten sie ein bislang im Deutschen Reich einzigartiges Projekt schaffen: Abgeschieden, aber endlich kontrolliert sollte das horizontale Gewerbe an der Weser vonstatten gehen.Deshalb stand am Eingang der Straße früher auch eine Polizeiwache, Zuhälter waren verboten – und bis heute haben sie im „sozialen“ Bremer Puffkiez keine Chance.

Die Hurenhäuser, schicke Gründerzeitvillen, hatten zudem fortschrittlicherweise Toiletten, es gab sogar eine Badestube. Vor allem sollte das Bremer Sex-Ghetto nämlich verhindern, dass sich Geschlechtskrankheiten in der Stadt ausbreiteten. Die Behörden achteten penibel auf Kondomgebrauch. Schließlich wurde befürchtet, dass die Seeleute, die sich an Bremer Damen laben wollten, schlimme Erreger aus dem Rest der Welt einschleppten.Davor stand jedoch noch die widerspenstige Witwe Helene Engelken: Da sie sich weigerte, ihr Grundstück zu verkaufen, wurde aus der geplanten Stichstraße zwischen dem Steintor und Auf den Kuhlen eine Sackgasse. Als ewige „Rache“ an Frau Engelken benannte der Bauunternehmer Carl Philip Weiland dafür die zukünftige Puffmeile nach ihrem Vornamen – „Helenenstraße“.

Dunnemals schafften rund 100 Frauen in der Helene an – gut doppelt so viel wie heute. Während die Huren des 21. Jahrhunderts aber außerhalb ihres Lebens in der Horizontale meist ein streng bürgerliches Leben führen, waren die Helene-Dirnen früher registriert – das heißt gebrandmarkt: Sie durften per Polizeiverordnung außerhalb ihres Kiezes „Männer nicht durch Worte, Winke, Zeichen oder andere Kundgebungen anlocken“, weder Theater noch Museen besuchen, außerdem keine „Hunde und Katzen“ halten. Den „unter Kontrolle gestellten Frauenzimmern“ war es sogar verboten, „den Bürgerpark oder die Wallanlagen zu betreten.“

Nicht die Konservativen, sondern die nach dem 1. Weltkrieg erstarkte Frauenbewegung versetzte der Helene den ersten Todesstoß. Kommunistische und sozialdemokratische Bürgerschaftlerinnen drückten 1926 das Verbot der Prostitution in der Straße durch das Parlament. Die Helenen- wurde in Frankenstraße umbenannt. Dennoch ging es weiter mit der käuflichen Liebe, heimlich – inzwischen waren viele Dirnen nämlich Eigentümerinnen der Häuser geworden.

Ausgerechnet die Nazis wichen der normativen Kraft des Faktischen: Sie erlaubten die Hurerei im Kiez 1934 wieder, 1936 benannten sie die Franken- wieder in Helenenstraße um.

Im Krieg wurde alles schwer zerstört – die Helene ist bis heute eine der wenigen Straßen der Stadt, in der die Schäden noch zu sehen sind, die britische Bomber hinterließen. Auf der linken Seite stehen nur noch die Reste der Wintergärten, die nach dem Krieg vermauert wurden. In den schrebergartenähnlichen Häuschen mit kleinem Zimmer, Küche und Bad – den so genannten „Butzen“ – arbeiten heute die Bremer Huren.

Auf der rechten Seite der Helene wurde nach dem Krieg wieder gebaut. Doch viele Häuser stehen leer, die rund 20 Eigentümer klagen über drastischen Wertverlust.„Tote Hose in der Helene“, „Rotlicht aus“, das sind die Schlagzeilen, die den Huren derzeit die meisten Sorgen machen. Angeblich verirren sich nämlich kaum noch Freier in die „Butzen“, das attraktive Sahnegrundstück mitten im Viertel droht zu vereinsamen. Konkurrenz machen den Huren die so genannten Modellwohnungen in Walle oder Gröpelingen, wo Huren aus Osteuropa und Asien Freier mit Schmuddelsex und Stöhn-Anzeigen abziehen.

„Wenn da nichts mehr los wäre, würden die Huren nicht seit Jahren in der Helene arbeiten“, entgegnet Monika Heitmann von „Nitribitt“. Die Beratungsstelle hat den Prostituierten die Planungen in den letzten Wochen gezeigt – und ist auf Skepsis gestoßen. „Einige waren dafür, viele dagegen“, sagt Heitmann. Sie befürchten, dass sich die Eigentümer einigen und die langjährigen Mieter auf die Straße setzen. „Nitribitt“ könnte sich dagegen in der Helene eine völlig neue Art der Prostitution in Bremen vorstellen: „Den ersten von Frauen selbstverwalteten Puff in Deutschland“, erklärt die Nitribitt-Frau. Allerdings ist in Frankfurt bereits ein genossenschaftlich organisiertes Eros-Center gescheitert.

Noch ist jedoch nichts entschieden, es gibt nur das Architekturmodell, keine Investoren, kein Baurecht. Deshalb will Ortsamtsleiter Robert Bücking heute wieder die Werbetrommel für seine Vision vom neuen Helenenplatz rühren: „Das Modell von Sven Lux ist eine sehr kluge Vision.“

Kai Schöneberg

Am Samstag ab 11 Uhr diskutieren „Nitribitt“-Frauen, der Architekt Sven Lux, Gastronomen und Fachleute aus dem Gewerbe das Helenenprojekt in der Schauburg, Vor dem Steintor 114.