Gesteuerter Volkszorn

Was wussten die Sicherheitsbehörden über die Rolle organisierter Neonazis bei dem Pogrom in Rostock? Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau könnte im Schweriner Prozess zur Klärung beitragen

Führungskader waren bereits am ersten Tag des Pogroms in Rostock

von HEIKE KLEFFNER

Welche Rolle haben neonazistische Führungskader im August 1992 bei dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gespielt? Bislang gehört diese Frage zu den vielen nicht aufgearbeiteten Kapiteln der mehrtägigen Angriffe auf die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber und das Wohnheim von 150 ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitern.

Mit etwas Glück könnte dies mit fast zehnjähriger Verspätung Thema in dem seit drei Monaten andauernden Prozess um die rassistischen Brandnächte von Rostock-Lichtenhagen vor dem Landgericht Schwerin werden. Denn heute soll der Vorsitzende Richter Horst Heydorn über neue Beweisanträge der Nebenkläger Nguyen Do Thinh und Wolfgang Richter sowie der Staatsanwaltschaft entscheiden. Die Vertreter der Nebenkläger haben beantragt, den Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, als Zeugen zu hören.

Ernst Uhrlau war im August 1992, als das so genannte „Sonnenblumenhaus“ von militanten Neonaziskinheads und rechten Jugendlichen in Brand gesteckt wurde, Vizechef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz. Nicht nur Rechtsanwalt Martin Poell aus Berlin interessiert unter anderen, „ob und inwieweit die Sicherheitsbehörden im Vorfeld und während der mehrtägigen Angriffe Kenntnis davon hatten, dass organisierte Neonazis nach Rostock-Lichtenhagen mobilisierten.“

Die Nebenkläger sind davon überzeugt, dass den Sicherheitsbehörden die Anreise zahlreicher polizeibekannter Rechtsextremisten nach Rostock nicht verborgen geblieben sein konnte. Gegenüber der taz bestätigt Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach nun, dass in Kreisen militanter Rechtsextremisten damals dazu aufgerufen wurde, nach Rostock zu reisen. „Es gab im Vorfeld der Krawalle in der Zeitung Aufbruch, dem Sprachrohr der Nationalistischen Front, eine Seite unter dem Motto ‚Come together in Rostock‘“, erinnert sich Hasselbach. Damit sei für die angemeldete Kundgebung am ersten Tag der Ausschreitungen geworben worden.

Ob es darüber hinaus konkrete Absprachen gegeben habe, kann der heute 34-Jährige nicht sagen. Allerdings seien mehrere Führungskader der seit 1995 verbotenen FAP, darunter Lars Burmeister aus Berlin und Norbert Weidner aus Bonn sowie der Bielefelder Aktivist der Nationalistischen Front, Thomas Heinke, schon am ersten Tag der Angriffe in Rostock gewesen, so Hasselbach.

Auch einige aus der Gruppe Schweriner Naziskins, zu der die drei nunmehr beim Landgericht wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung Angeklagten damals gehörten, hatten Kontakt zur organisierten rechten Szene. So zum Beispiel der damals 21-jährige Frank S., der sich einen Monat vor den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen an einem versuchten Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Bahlen bei Boizenburg beteiligte. Dieser Anschlag, für den Frank S. bereits im Frühjahr 1993 zu Jugendhaft verurteilt wurde, ist von dem damaligen NPD-Kreisvorsitzenden Rüdiger Klasen aus Hagenow angeleitet worden. Seit Prozessbeginn beim Schweriner Landgericht gilt der Zeuge Frank S. jedoch als verschollen.

Welche Rolle organisierte Neonazis bei dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen spielten, mit dieser wichtigen Frage hat sich der 1993 eingesetzte Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags beispielsweise nicht befasst. „Die CDU/FDP-Mehrheit verhinderte, dass diese und andere offene Fragen zur Sprache kamen“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Manfred Rissmann, der für die damalige Opposition im Ausschuss saß.

Ingo Hasselbach erinnert sich, dass „Rostock innerhalb von zwei Tagen zum Fanal“ in der Szene wurde. „Wir waren selbst überrascht, dass es funktionierte.“