„Wir zwingen den Raum!“

Deutsche und russische Verschwörungen: Zwei Romane zum Attentat auf den Generalkommissar von Weißruthenien, Wilhelm Kube, zeigen den Überlebenskampf aller Beteiligten im Zweiten Weltkrieg

Der Roman ist ein einziger Schmarren, voll unerträglicher Landsererotik

von WLADIMIR KAMINER
und HELMUT HÖGE

Der Marineoffizier Anatoli Asolski gehört zu den Sowjetschriftstellern, die in ihren Romanen über den Zweiten Weltkrieg nicht die quasioffiziellen Kriegsmythen bedienten – und deswegen erst jetzt nach und nach veröffentlicht werden. Hierzulande wurde er vor allem durch seinen Roman „Die Zelle“ bekannt, in dem es um die Verwandlung von weißrussischen Partisanen in kriminelle Banden nach dem Zweiten Weltkrieg geht. Sein neuer Roman, „Das Blut“, beginnt mit der ins Wanken geratenen deutschen Ostfront.

Zugleich fängt der Widerstand im Hinterland an, sich zu regen. Der Chef der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppenführer Reinhard Tristan Heydrich, fiel bereits als Statthalter des Reiches in Prag einem Attentat zum Opfer. Der deutsche Abwehroffizier russischer Abstammung, Major Skaruta, der in Weißrussland ein Agentennetz betreut, bekommt von seinen Leuten mehrere Hinweise, dass weitere Attentate auf nationalsozialistische Führer geplant sind, auf den Generalkommissar Weißrutheniens, Wilhelm Kube, sowie auf den Führerbeauftragten Friedrich Wisleny, der sich zur Stärkung des Kampfgeistes gerade auf einer Propagandamission durch Weißrussland befindet. Der Abwehrmann Skaruta versucht herauszubekommen, wer hinter diesen Plänen steht. Zu seinem Erstaunen führt die Spur nach Berlin.

Die Situation in Weißrussland wird derweil immer undurchsichtiger: Es gibt inzwischen Partisanen, die sich von der Moskauer Führung abgekoppelt haben, sowjetische Untergrundgruppen, die enge Verbindungen zu deutschen Dienststellen aufgebaut haben, und gleich mehrere deutsche Geheimdienste, die gegeneinander intrigieren, um ihre Machtposition zu sichern. Auch an der Front wird die Lage – für die Heeresgruppe Mitte – immer schwieriger: Fast täglich kommt es zu Auseinandersetzungen mit den ortsansässigen Polizeikräften einerseits und den weißrussischen Partisanen andererseits. Alle sind auf die knapp werdenden lokalen Ressourcen angewiesen. Der Krieg verwandelt sich auf dem weißrussischen Territorium in einen Überlebenskampf – von vorwiegend bewaffneten Männern, die sich gegenseitig umbringen. Es fehlt an heldenhaften Schlachten, zumindest an durchschlagenden Ereignissen. Die Ermordung der beiden Reichsstatthalter Wisleny und Kube käme insofern vielen gelegen.

Am 22. September 1943 stirbt Wilhelm Kube durch eine Mine, die ihm seine weißrussische Putzfrau und Geliebte Jelena Masanik unters Bett gelegt hat. Dem Abwehroffizier Skaruta gelingt es, gleich mehrere Täter festzunehmen bzw. zu liquidieren. Am Ende findet er sich jedoch selbst mit einer Bombe in der Aktentasche im Hotel Bristol bei Minsk wieder, wahrscheinlich, um Wisleny umzubringen, eventuell aber auch, um seinen eigenen Mördern zuvorzukommen, die seine Vorgesetzten sind.

Den zweiten Roman über das Attentat auf Kube hat der deutsche Journalist Paul Kohl veröffentlicht. Zuvor waren von ihm bereits im SFB Interviews – mit der Kube-Witwe und mit der Kube-Attentäterin – ausgestrahlt worden. Sein Roman „Schöne Grüße aus Minsk“ basiert daneben noch auf der wahren Geschichte des deutschen Hauptmanns Willi Schulz, der im Frühjahr 1943 in Minsk zusammen mit 25 jüdischen Gefangenen zu den Partisanen der Brigade „Ivanor“ überlief. Bei Paul Kohl ist es jetzt ein junger Kölner Journalist, der zur Minsker Zeitung abkommandiert wird und gleich bei der Ankunft von der Kube-Attentäterin eingespannt wird, zweitens von der Chefsekretärin der Zeitung, die ebenfalls alles weiß. Zudem versucht er seine nach Minsk ins jüdische Ghetto deportierte Jugendliebe zu befreien. Am Ende ist er heillos in verschiedene Verschwörungen verstrickt, wobei er auch noch einen Wehrmachtssoldaten ermordet, um an dessen Uniform ranzukommen, und dafür von Kube persönlich gefoltert wird.

Nach dem Attentat gelingt es der Chefsekretärin Siebeck, den Journalisten in einem Güterzug zu verstecken, mit dem er sicher wieder heim ins Reich zu seinen Eltern gelangt, die sogleich der Meinung sind, er habe sich irgendwie verändert. Der ganze Roman ist ein einziger Schmarren, zudem auch noch mit unerträglicher Landsererotik durchsetzt. Diese war für den Leser bereits in Paul Kohls 1986 erschienener Friedensreportage „Fulda Gap – über die Militarisierung in Deutschland“ befremdlich. Dass er noch immer darauf beharrt, ist umso ärgerlicher, als er es inzwischen mit mehreren Büchern zu einem Spezialisten für den weißrussischen Widerstand und die deutsche Besatzungsmacht dort gebracht hat. Den Roman, der all das noch einmal zusammenrührt, hätte er sich besser verkneifen sollen.

In der Zwischenzeit fand in Berlin und Minsk eine Ausstellung über die deutsche Besetzung Weißrusslands statt; eine Mitarbeiterin des Projekts, Katharina Patapeika, entdeckte dabei im Archiv weitere Details zum Kube-Attentat: Nachdem Stalin und einige Partisanenführer die Ermordung des Generalkommissars beschlossen hatten, wurden die Kinder von Jelena Masanik entführt, um sie zu zwingen, das Attentat auf Kube auszuführen. Was sie dann auch tat. „Wir zwingen den Raum!“, so hatte demgegenüber Kubes Optimismusformel gelautet.

Anatoli Asolski: „Das Blut“. Verlag Grant, Moskau 2001, 496 Seiten, 55 RubelPaul Kohl: „Schöne Grüße aus Minsk“. Verlag Droemer Knaur, München 2001, 508 Seiten, 22,90 €