Frau Merkel und Frau Christiansen

Bei seiner Polittalk-Premiere warf Edmund Stoiber mit Prozentzahlen um sich wie Zirkusclowns mit Torten. Das war zwar nur halb so lustig, verriet aber viel über den Kanzlerkandidaten und dessen Liebe zu „periphär liegenden Tochtergesellschaften“

von PATRIK SCHWARZ

Als Edmund Stoiber erregter wurde, nannte er die Moderatorin „Sehr geehrte Frau Christiansen“. Als er sehr erregt war, sagte er zu Sabine Christiansen „Frau Merkel“.

Dem Kandidaten hätten mehr solcher Versprecher gut getan. Zum einen hätte er dann ein weiteres Mal über sich selbst lachen können, was ihn ganz sympathisch machte. Zum anderen hätte er vielleicht seiner Starre entfliehen können, die so ganz anders ist als die des Rudolf Scharping, aber nicht minder quälend: Wohl redet er, doch hört man nichts. Dabei ließ der Mann es an Lautstärke nicht fehlen, nur an Sinn. Edmund Stoiber zuzuhören heißt, mit Prozentzahlen beworfen zu werden wie Zirkusclowns mit Torten. Leider ist es nur halb so lustig.

Sabine Christiansen hat dem Kandidaten den Gefallen getan, fast die gesamte Sendung seinem vorgeblichen Lieblingsthema, der Wirtschaftspolitik, zu widmen. Doch das ging für Stoiber nach hinten los: Wer so über sein Lieblingsthema spricht, dem möchte man bei anderen Fragen gar nicht erst zuhören müssen. Noch das drittklassigste Business-Magazin im Regionalfernsehen beansprucht für sich, „Wirtschaft lebendig darzustellen“. Im Ersten mühte sich derweil der Kanzlerkandidat zur Hauptsendezeit den Nachweis zu führen, dass Wirtschaftspolitik so unverständlich ist wie ihr Ruf.

Leere Gesichter

Seine eine Chance hat Stoiber bisher nicht genutzt: dazuzulernen. Der Moderatorin Christine Kolmar sind letzte Woche fast die Augen zugefallen beim großen n-tv-Interview in der bayerischen Staatskanzlei. Der Mann hat die Wirkung eines weißen DIN A4-Blatts – und die Leere spiegelt sich in den Gesichtern seiner Interviewer.

So bleibt Edmund Stoiber nur eine andere Chance: Die Menschen im Land wollen das so, die Menschen im Land halten Prozentestakkatos für Kompetenz. – Ganz ausgeschlossen ist das nicht. Dafür müssten die Wähler allerdings Wesen sein, bei denen einige menschliche Grundfunktionen ausgesetzt sind: die Fähigkeit zur Langeweile zum Beispiel. Man müsste eine widernatürliche Liebe zu Ausdrücken entwickeln wie „periphär liegende Tochtergesellschaften“. Und aufhorchen, wenn der Kandidat nach einer längeren Einlassung die Stimme hebt und sagt: „Dann kommt der fünfte und sechste Punkt.“ Keine seiner Seiten, die Stoiber bei Christiansen zeigte, war neu – aber so deutlich bekam ein bundesweites Publikum sie noch nie zu sehen. Da präsentierte sich ein Kandidat als Anwalt der Bürger gegen die Regierung – und schenkte den Wählern im Studio keinen Blick und keine Geste.

Unerklärlich bleibt, warum Stoiber sich derart um ein TV-Duell mit dem Kanzler bemüht. Denn selbst auf den Schlagabtausch mit dem Wirtschaftsweisen Bert Rürup hätte der Kandidat sich besser nicht eingelassen. Der Experte schöpfte aus seinem Wissen eine Ruhe und Autorität, die einem künftigen Kanzler gut zu Gesicht gestanden hätte. Weil Rürup überdies Professor ist, schrumpfte Stoiber gar – zum Examenskandidaten. „Das stimmt nicht“, sagte der Prüfer zum Beispiel ganz einfach und bestimmt zu Stoibers Zahlen. Und weil man als Professor so streng auch wieder nicht sein will, mischte sich etwas Milde à la „Feuerzangenbowle“ in seine Stimme: „So, wenn wir jetzt mal die Situation von der Körperschaftssteuer nehmen …“

Doppeltes Frauenbild

Dass der Mann aus dem Süden zu allem Fleischlichen ein schwieriges Verhältnis hat, war nicht wirklich neu. Dass diese Schwierigkeiten bis in die Feinheiten des Asylrechts reichen, war trotzdem beeindruckend zu verfolgen. Auf der Suche nach dem Ausdruck „geschlechtsspezifische Verfolgung“ war der Zuwanderungspolitiker Stoiber erst nach einem Hürdenlauf erfolgreich, der ihn von der „gleichgeschlechtlichen“ Verfolgung über den Versuch „aus dem Geschlecht“ schließlich zur Formulierung führte „wegen ihres Frauseins“.

Über die Rolle der Frau im 21. Jahrhundert hat Edmund Stoiber überhaupt viel Positives zu sagen. Moderatorin: „Was für ein Frauenbild haben Sie – ein traditionelles?“ Der Kandidat: „Sowohl als auch.“