Truppenabzug aus Afghanistan: Das kommende Zeitungssterben

Seit dem Afghanistankrieg gibt es in dem Land unzählige Medien. Doch mit dem Abzug der internationalen Truppen könnten auch sie wieder verschwinden.

So viel Auswahl gab's bei den Taliban nicht: afghanischer Kiosk. Bild: ap

Der Abzug der internationalen Truppen in Afghanistan könnte das Ende vieler unabhängiger Medien in dem Land bedeuten. Denn mit den Soldaten verschwinden sehr wahrscheinlich auch viele Hilfsgelder. „Nach 2014 wird die freie Presse es sehr schwer haben“, sagt Shah Hussain Murtazawi, stellvertretender Chefredakteur der größten Zeitung des Landes, Hashte Sob – englischer Titel: 8am. „Keine Zeitung hat es geschafft, ein eigenständiges Finanzierungsmodell zu entwickeln.“

Bis 2014 sollen die internationalen Truppen aus Afghanistan weitgehend abgezogen sein. Seit sie im Land sind, haben Milliarden an Hilfsgeldern viele neue Medien entstehen lassen. Gab es unter den Taliban einen Fernseh- und einen Radiosender sowie eine Zeitung, sind es mittlerweile mehr als 60 Fernsehsender, 150 Radiosender und unzählige Zeitungen. Die mag das Land nicht alle brauchen, aber ein Ende der finanziellen Hilfe würde aus Sicht von Chefredakteur Murtazawi vor allem jene treffen, die nicht von dubiosen Geldgebern oder Politikern abhängig sind.

Die meisten Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen decken etwa 5 Prozent ihrer Kosten über Werbeeinnahmen. Der Rest kommt aus direkten Zuschüssen oder aus gesponserten Aufklärungskampagnen internationaler Organisationen. Die afghanische Wirtschaft ist nicht in einem Maße gewachsen, dass Werbeeinnahmen eine unabhängige Presse tragen könnten. Und bei einem Verkaufspreis von ungefähr 20 US-Cent und monatlichen Gehältern von 500 Dollar für die 70 Redakteure hat selbst 8am eine beachtliche Finanzierungslücke.

„Wir hatten in der vorletzten Woche ein Treffen mit über 100 unabhängigen Medien, um über Strategien für die Zeit nach 2014 zu diskutieren“, sagt Murtazawi. „Unsere Optionen: das Verteilungsgebiet verkleinern, die Redaktion verkleinern, die Gehälter kürzen.“ Schon jetzt hat die Zeitung die Zustellung in den beiden Nordprovinzen Kundus und Badachschan eingestellt. Weitere sollen folgen.

Lieber zur Zeitung als zum Gericht

Für seine Berichterstattung hat 8am nationale und internationale Preise gewonnen. Murtazawi sagt: „Das Vertrauen in die freie Presse ist mittlerweile so groß, dass die Leute mit Beschwerden über Politiker eher zu uns kommen, statt vor Gericht zu ziehen.“ Immer wieder hat die Zeitung Korruptionsskandale veröffentlicht und die Regierung zum Handeln gezwungen.

In den Provinzen außerhalb der Hauptstadt Kabul sind die Menschen vor allem auf Radiosender angewiesen. Tagelange Stromausfälle und eine hohe Analphabetenrate machen batteriegetriebene Radios oftmals zur einzigen Informationsquelle. „Besonders lokale Medien sind davon bedroht, von Politikern und Warlords übernommen zu werden“, sagt Nadschibullah Amiri, Chefredakteur von Salam Watandar, dem größten Radiosender des Landes. „Diese wollen die Medien als Propagandawerkzeuge benutzen.“

2003 gegründet, hat Salam Watandar seinen Hauptsitz in Kabul. Hier produziert es stündliche Nachrichten, 15 Regionalkorrespondenten liefern Berichte und Analysen. All dies stellt Salam Watandar seinen 53 lokalen Partnerstationen zur Verfügung. Auf diese Weise erreicht das Programm 17 Millionen Afghanen.

„Unser Einfluss wird stetig sinken“

Zuletzt hat der Radiosender mit der Berichterstattung über Sahar Gul international für Aufsehen gesorgt. Die minderjährige Gul war für Monate von ihrem Mann gefoltert worden, weil sie sich der Zwangsprostitution widersetzte. Der Fall fand ein weltweites Medienecho. Angesichts des Drucks sahen sich die afghanische Politik und Justiz zum Handeln gezwungen. Doch trotz solcher Erfolge ist auch Salam Watandar auf internationale Hilfsgelder angewiesen.

Nur einige Fernsehsender finanzieren sich voll über Werbeeinnahmen. Doch sie befinden sich in den Händen reicher Geschäftsleute mit Verbindungen in die Regierung. Angesichts der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen keine gute Voraussetzung. „Unser Einfluss wird stetig sinken, andere werden von Politikern aufgekauft und missbraucht werden“, sagt Zeitungsmann Murtazawi. „Das wird die ethnischen Spaltungen im Land weiter vertiefen.“

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