tod durch muskelkater von HOLM FRIEBE
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Wir wissen noch viel zu wenig über Muskelkater. Während andere Aspekte des Alltags von der zeitgenössischen Literatur praktisch bis zum Gehtnichtmehr ausdeskribiert und endlos variiert werden, ist der Muskelkater als Sujet noch gänzlich unbearbeitetes Terrain. Selbst seitens der medizinischen Forscher kommt wenig. Mal ist es Milchsäureserum, das sich qua Überlastung in den Muskeln anreichert, mal sind es sehr feine Haarrisse der Muskelzellen, die als Auslöser gelten. Nichts genaues weiß man nicht.

Dabei stellt der Muskelkater eine der letzten echten Bedrohungen der heutige Zeit dar. Verglichen mit Tennisarm, Skidaumen und Sehnenscheidenentzündung durch SMS ist der Muskelkater so etwas wie der Quastenflosser unter den Menschheitsplagen: Immer schon da und noch unbesiegt. Nach exzessiven Bewegungen, die nur alle Jubeljahre vorkommen (Rennrodeln, Tanzen, Sex) erhebt der Muskelkater, wie ein geweckter Drachen, der lange Zeit schlief, sein dräuendes Haupt und tritt seine schaurige Regentschaft für mindestens drei Tage an.

Anfangs ist es noch gar nicht so schlimm. Die angenehme Erschöpfung setzt ein, gepaart mit der Befriedigung endlich etwas für den eigenen Körper „getan“ zu haben. Dass diese Tat ein Bärendienst war, merkt man spätestens am folgenden Morgen. Alles schmerzt und ist wie gelähmt. Auf einmal merkt man in jedem Moment, dass man einen eigenen Körper hat, dessen motorische Funktionen hauptsächlich von so genannten Muskeln wahrgenommen werden, die jetzt ihren Dienst quittieren. Beziehungsweise: Noch funktionieren sie, aber machen Dienst nach Vorschrift und lassen einen bei jeder Bewegung ihr schärfstes Missfallen deutlich spüren.

Am Morgen des zweiten Tages ist es noch schlimmer oder es geht gar nichts mehr: Man erwacht und konstatiert vollständige Bewegungsunfähigkeit. So, ahnt man, fühlt es sich nach einem verunglückten Kopfsprung in unbekanntes Gewässer an. Überrascht stellt man fest, dass es doch irgendwie geht, aber nur unter unvorstellbaren Schmerzen und Qualen. Hat man diesen Tag irgendwie überlebt (am besten regungslos vor dem Fernseher), hat man das Schlimmste hinter sich.

Die nächsten drei, vier Tage bilden gewissermassen die Endmoräne des Muskelkaters, die mählich im Flachland verebbt. Nicht, dass man sich schon wieder schmerzfrei und unlinkisch bewegen könnte, aber es ist ja immer schön, wenn der Schmerz nachlässt. Schon wird man wieder leichtsinnig und denkt, dass man ja eigentlich mal wieder Sport machen könnte . . .

P. S.: Gespräch mit einer Sportmedizinerin geführt. Die Ursachen des Muskelkaters sind sehr wohl erforscht. Es handele sich um „Mikrotraumata“ im Muskelgewebe, hervorgerufen dadurch, dass Muskelzellen zerstört werden. Geschieht das in großem Stil, werden möglicherweise derart viele Eiweißmoleküle ins Blut freigesetzt, dass dadurch eine Nierenverstopfung bis hin zum Nierenversagen eintreten kann. Mit anderen Worten: Es ist durchaus möglich, an Muskelkater zu sterben.