Schill erneut auf der Anklagebank

■ Prozess wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung ist mehr Show als Suche nach der Wahrheit

Die Inszenierung verspricht eine große Show. Mit dem Prozess wird der frischrenovierte und stuckverzierte Plenarsaal des Landgerichtes eingeweiht, die Hauptperson Ronald Schill kommt zwei Minuten zu spät und seine Bodyguards mustern gewichtig die ZuschauerInnen, die schon längst aufwendige Kontrollen über sich haben ergehen lassen. Nur das Publikum für den Auftritt fehlt. Auf den Zuschauerbänken bleiben etliche Plätze frei.

Diesmal sitzt nicht mehr ein wahlkämpfender Amtsrichter, sondern ein gewählter Politiker auf der Anklagebank. In der ersten Instanz voriges Jahr hatte Schill in jeder Pause von sich aus Fernsehteams und FotografInnen aufgesucht, um vor deren Kameras über den „Kollaps der Hamburger Justiz“ und Ähnliches zu dozieren. Nun, wo er als Regierungsmitglied selbst deren Zustände verantwortet, hält er sich bescheiden zurück: „Ich gebe keinen Kommentar zu dem Verfahren ab.“

Nach dem ersten Prozesstag scheint es, als hätte Schill auch keinen Anlass zu Schimpftiraden über die Justiz. Die hat vom Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig einen klaren Auftrag bekommen: Schill, stellte der BGH fest, habe im Mai 1999 nicht korrekt gehandelt, als er als Amtsrichter die Beschwerde zweier Prozesszuschauer gegen von ihm verhängte Ordnungshaft erst fast drei Tage später ans zuständige Oberlandesgericht weiterleitete. Noch nicht hinreichend geklärt sei, ob er das bewusst in der Absicht tat, die beiden im Gefängnis „schmoren“ zu lassen. Das soll das Landgericht nun herausfinden.

Das würde erfordern, die ZeugInnen, mit denen Schill in jenen drei Tagen im Mai 1999 Kontakt hatte, eingehend zu befragen. Doch recherchiert wird in diesem Prozess nicht. Der Vorsitzende Richter beschränkt sich darauf, den ZeugInnen ihre frühere Ausage vorzuhalten und diese abnicken zu lassen. Die damals Betroffenen, deren AnwältInnen etliche Fragen gehabt hätten, wurden als Prozessbeteiligte nicht zugelassen, und der Staatsanwalt, der die Anklage vertritt, hat resigniert: Bei vier ZeugInnen am ersten Verhandlungstag ringt er sich eine einzige Frage ab.

Nur zehn Minuten sitzt deshalb der Hauptbelastungszeuge im Saal: Ein Journalist, der damals für die Mopo arbeitete und von Schill am Tag vor jenem Prozess angerufen worden war. Am nächsten Morgen, hatte der Richter ihm mitgeteilt, würde er einen interessanten Prozess führen, auf den er den Reporter hinweisen wollte. Da stünde ein Aktivist der Roten Flora als Angeklagter vor ihm. Dass er den Journalisten extra dorthinbestellt hatte, bat Schill , sollte der aber bitte für sich behalten.

Zwei Tage später dann bat Schill den Reporter ein weiteres Mal um Diskretion. Da saßen die beiden Zuschauer bereits seit einem Tag in Haft, und diesmal war es der Journalist, der sich bei dem Richter telefonisch meldete. Er fragte ihn, warum die Haftbeschwerde der beiden noch nicht bearbeitet sei. Und Schill antwortete, dass er „doch nicht gleich springen werde, wenn ein Anwalt einen Antrag stellt“. Mit diesen Worten zitieren sollte die Mopo ihn aber bitte nicht.

Gestern hat Schill in seiner schriftlichen Prozesserklärung bestätigt, dass diese Worte gefallen seien. Eine Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung will er dennoch nicht begangen haben. Durch eine Verkettung mehrerer Umstände sei ihm eine frühere Bearbeitung der Beschwerde nicht möglich gewesen, und im Übrigen habe er den Fall noch „sorgfältig prüfen wollen“ und dafür Zeit gebraucht.

Denn Schill hatte es unterlassen, gleich bei der Festnahme der beiden Zuschauer die Haftgründe ins Protokoll zu schreiben – was nach Ansicht einiger JuristInnen schon die Rechtsbeugung begründet, da Schill die beiden trotz des Formfehlers ins Gefängnis stecken ließ. Die Schriftführerin, mit der er das Protokoll dann später vervollständigte, führte aus, dass dieses schon am Tag nach der Festnahme fertig gewesen sei. Erst 24 Stunden später brachte Schill die Akte zum Oberlandesgericht. Der Prozess wird Montag fortgesetzt. Elke Spanner