Das Prinzip Mädchen

Kathleen Hanna war das perfekte Riot Grrrl der Neunzigerjahre: Strategisch cool und subjektiv, irgendwo zwischen Judith Butler und Punk. Heute übt sie sich mit der Band Le Tigre als Wonder Woman aus der Nachbarschaft, die die Produktionsmittel in Zeiten von Sampling zu beherrschen weiß

Hanna hat nicht nur mit Inzestopfern, sondern auch als Stripperin gearbeitet

von SUSANNE MESSMER

Als Nirvana 1991 mit ihrem größten Hit „Smells like Teen Spirit“ in die Charts einbrachen, da kursierte das Gerücht, dass ausgerechnet die berühmteste Zeile der Newcomer gar nicht auf dem Mist von Kurt Cobain gewachsen sei. Man erzählt sich, dass „Smells like Teen Spirit“ vielmehr von Kathleen Hanna stamme, die einmal, als er noch kein Rockstar war, zum Spaß an Kurt Cobains Hauswand gemalt habe: „Kurt Cobain smells like Teen Spirit“. Indem sie ihm unterschob, wie „Teen Spirit“ zu riechen, das bekannte Mädchendeo, könnte sie sich auch über das Rollenklischee lustig gemacht haben, das er erfüllte: Hatten wir ihn nicht schon lange abgehakt, den heterosexuellen Rocker? Womit haben wir einen solchen Rückfall verdient, fast zwanzig Jahre nach der Auflösung von Geschlechtsidentitäten im Punk und im Glamrock?

1991 arbeitete Hanna noch stärker hinter als auf der Bühne. Sie veranstaltete Konzerte und sah viele schlechte Jungsbands, aber auch gute, wie Nirvana, die sie mochte, mit denen sie befreundet war. Sie erlebte Nirvana, wie sie für Frauenprojekte Benefizpartys veranstalteten, und sie erlebte, wie sie am Ruhm kaputtgingen. Wenige Jahre später war Hanna als Sängerin und Texterin ihrer eigenen Band Bikini Kill selbst zur Gallionsfigur einer Bewegung aufgestiegen, zu einer der wichtigsten Figuren der Riot Grrrls – die Art aber, wie sie damit bis heute umgeht, unterscheidet sich diametral von der ihrer früheren Kumpels.

Auch wenn sie langsam wieder in Vergessenheit gerät, kann man doch behaupten, dass die Riot-Grrrl-Bewegung eine Zeit lang Berge versetzt hat. Seit Anfang der Neunziger schossen in den USA Bands von Frauen wie Pilze aus dem Boden, Fanzines, Websites wurden von Frauen gegründet, die andere Frauen dazu ermunterten, selbst aktiv zu werden. An immer mehr Orten, zuerst in Washington, dann auch in New York, Chicago, Philadelphia trafen sich Mädchen, organisierten Festivals und Podien. Das gemeinsame Ziel war es, den Feminismus wieder cool zu machen. Diese Bands spielten vor allem Punk, dessen Do-it-youself-Ästhetik die Türen auch für Frauen weit öffnete. Außer Madonna kamen fast alle Vorbilder der Riot Grrrls aus dem Dunstkreis um Punk, Debbie Harry von Blondie, Chrissie Hynde von den Pretenders, die Slits und die Raincoats. Bikini Kill, das war vielleicht die wichtigste Band, die lauteste und schnellste der Riot Grrrls, eine Band, die erst ein Fanzine gleichen Namens war und dann in ihren ruppigen Liedern die Mädchenrevolution ausrief: „When she walks, the revolution’s coming. In her hips, there’s revolution.“

Und noch immer denkt Kathleen Hanna nicht daran zu verschwinden, nur weil Riot Grrrl nicht die siegreiche Revolution wurde und von den Medien auf trotzige Trinchen mit Schmollmund reduziert wurde. Trotzdem und gerade deshalb macht Kathleen Hanna noch immer Musik, auch nachdem sich Bikini Kill 1998 aufgelöst haben: mit der Fanzinemacherin und Kunstabsolventin Johanna Fateman und der Filmemacherin J. D. Samson hat sie vor zwei Jahren Le Tigre gegründet und jetzt ihr zweites Album „Feminist Sweepstakes“ herausgebracht. Le Tigre ist eine Band, die wie eine Art Geisterbeschwörung funktioniert, bei der Punk nur noch als Zitat vorkommt. Ihr neues Zaubermittel heißt Elektronik, demokratischer sogar als Punk, „eine Menge der ästhetischen Veränderungen kann auf unsere zunehmende Kontrolle über den Sampling- und Programmierpart unserer Musikproduktion zurückgeführt werden“, meint Johanna Fateman. Und wie bei jeder guten Geisterbeschwörung werden die Ziele von Riot Grrrl aus der Sicht von heute präsenter und schlagender als sie je waren: „Sorry dude can’t hear ya with my head in the toilet“, singt Kathleen Hanna, und man kann sicher sein: Sie meint es ernst.

Auf dem neuen Album von Le Tigre geht es im Marschrhythmus los: Ein protziges Gitarrensample stärkt den Takt wie bei Punk, aber dann gibt es auch ein paar progressive Loops mit dem puscheligen Chic von Easy Listening wie aus alten Vorabendkrimis. Plötzlich ein Gitarrensolo, ZZ Top denkt man kurz, das kann nicht wahr sein – nein, ist es auch nicht, nur ein Sampling, schallendes Gelächter bricht los. Eine entschlossene Frauenstimme fordert zum Aufbruch, „raise your voice, raise your head“, verzerrt wie durchs Megafon, hey, ruft sie euphorisch, es gibt uns noch.

Le Tigre heften das Beste zusammen, was Feminismus und Gender Studies an Einsichten hervorgebracht haben: Einerseits besetzen sie nach wie vor den Punk, den sie zitieren, männlich konnotierte Rebellion, eine Jugendkultur, oder besser: Jungenkultur at it’s best, die sich besonders auf der Straße abspielt. In ihrer Bühnenshow knüpfen Le Tigre an die Tradition der Riot Grrrls an, die sich aufführten wie die schlimmsten Rüpel, das ganze Repertoire. Wenn sich auch Kathleen Hanna noch nie, wie einmal ein Mitglied von L7 bei einem Konzert in Boston, die Hose runtergezogen, den Tampon rausgerissen und nach einem Mann geworfen hat: einem unverschämten Typ im Publikum das Mikro über den Kopf gezogen hat Hanna mindestens einmal. Heute kommen Le Tigre live mit einer Wucht beim Publikum an, die allen vor den Kopf schlägt, aber gleichzeitig tanzen macht. Damit fahren sie eine Strategie der Rückeroberung – Gitarre spielen, fluchen und schreien passt nun mal nicht zu süßen Mädchen. Gleichzeitig zeigen Le Tigre aber auch, dass die Macht, mit der dies geschieht, nicht dieselbe sein muss, wie die, mit der ihnen diese Identität zugeschrieben wurde. Riot Grrrls führten sich nicht nur auf wie blöde Kerls, sie trugen auch zerrissene Spitzenwäsche und Schulmädchenuniformen, um den lüsternen Blick zu provozieren. Le Tigre tanzen auf der Bühne wie Cheerleader. Der Aneignungsakt kann die Macht verändern, also schreibt er sie gleichzeitig weiter und widersteht ihr – eine Strategie, die Judith Butler in ihrem neuen Buch zur Entstehung von Subjektivität Komplizenschaft genannt hat. Aber das ist noch lange nicht alles.

Es gab eine Zeit, in der Pop von Frauen hauptsächlich über die Strategie der Komplizenschaft funktionierte – vor allem Popstars wie Madonna gaben mal die Göre, mal den Vamp, bis sich die Frage nach dem Dahinter einfach nicht mehr stellte. Analog der Dekonstruktion des Subjekts in der Postmoderne ging es ihnen um das Spiel mit schillernden Oberflächen, Kritik stellte sich nur noch über das her, was diese Oberflächen spiegelte: den männlichen Blick. Was allerdings bei diesem Ansatz auf der Strecke blieb, war eine wie auch immer geartete Möglichkeit der Veränderung. Die Frage nach der Handlungsfähigkeit, die Le Tigre mit diesem Konzept stellen, ähnelt dem Bemühen um einen Subjektbegriff der Theorie nach der Verabschiedung vom klassischen, humanistischen Entwurf, der mit der Ideologie einer Freiheit verknüpft war, die es eigentlich nie gab. Oder, mit Judith Butler: Es muss wieder um einen Rest von Subjektivität gehen, der der Macht entgeht. Oder, noch einfacher gesagt, anders als Popstars wie Madonna geht es Hanna, Fateman und Samson mit Le Tigre auch darum, eine Verbindung zu dem herzustellen, was wirklich passiert. Um politisches Engagement. Dazu gehört auch, dass Le Tigre seit dem 11. September gegen antiarabische, rassistische Gewalttaten auf die Straße gegangen sind, Johanna Fateman sagt in aktuellen Interviews: „Ich war bei Teach-ins an Universitäten und Versammlungen, um öffentlichen Widerstand gegen die Militäraktionen gegen Afghanistan zu organisieren.“

So ist das protzige Getue, die Machogeste bei Le Tigre immer auch kontrastiert mit Mädchenkultur, die sich zu Hause abspielt, wo man sich schminkt und stundenlang telefoniert, Poster sammelt und Fan ist. Bei Konzerten als Statement gegen Magersucht Schokolade an die Frauen verteilen, solcher Aktionismus gehörte für Frauen wie Kathleen Hanna immer dazu. Bei Mädchenkultur geht es um das Prinzip „Mädchen“, nach dem alles ausgeplaudert wird, was sonst Geheimnis wäre: Bikini Kill behandelten in ihren Texten Coming-out, Essstörungen, Missbrauch und Vergewaltigung, Le Tigre kritisieren die Schließung von Stripclubs in New York durch Giuliani und singen über den Sexismus von Konzertveranstaltern – Themen, die Hanna schon mit Bikini Kill aufs Tapet gebracht hat. Immer wieder nutzt sie Interviews als Plattform: „Wir fordern legale, sichere und bezahlbare Abtreibung, Zugang für alle zur Gesundheitsfürsorge.“ Sie hat nicht nur mit Inzestopfern, sondern auch als Stripperin im Sexgewerbe gearbeitet, genauso wie zwei weitere Ikonen der Riot Grrrls: Courtney Love von Hole und Bjelland von Babes In Toyland.

Freundinnen muss man sein, Solidarität fördern und manisch Musik, Kunst und Theorie produzieren, die Wonder Woman sein aus der Nachbarschaft, damit Mädchen ein greifbares Vorbild finden – nicht so entrückt und unwahrscheinlich weit weg wie Kurt Cobain: Das war es also immer, was Kathleen Hanna nicht für den Starrummel opfern wollte. „Ich kann nur sagen, dass wir eine Menge Briefe von Frauen bekommen, die uns sagen, dass wir sie dazu inspiriert haben, Musikerinnen zu werden, nachdem sie uns haben spielen sehen“, sagt Kathleen Hanna. Darum ist das neue Album von Le Tigre auch improvisierter als das erste, sodass man sich irgendwie einhaken kann. Trotz aller „top-fourty-electonic-production“ und der tollen Tanzbarkeit, die Le Tigre aus der Nische Independent herauskatapultiert. Auf der Rückseite der CD sind ein Mischpult und eine Videokamera abgebildet: die Aneignung der Produktionsmittel. Dazu passt auch, dass die Platten von Le Tigre jetzt über das kleine Label der Chicks On Speed, einer Frauenkonzeptband aus München, vertrieben werden. Man muss nicht früh sterben, um gut zu sein, man muss den Ruhm wollen, aber nicht um jeden Preis. Kathleen Hanna singt: „I think you know that I’ve got it. I’m gonna give it to you.“ Dazu scheppert es gewaltig. Es federt aber auch elegant, so gut gelaunt, dass es ansteckt.