Wenn der Gullydeckel piept

Webdesigner trafen sich mit ihren Entwürfen zum Browserday in Berlin, um herauszufinden, wie unsere digitale Zukunft aussehen wird. Sicher ist nur, dass wir nie mehr allein sein werden; das Netz ist überall und weiß immer, wohin wir gehen

von VERENA DAUERER

Was passiert, wenn Designstudenten zu Daniel Düsentriebs werden und Ideen zu unserer Zukunft aushecken? Vernetzt wird sie sein, mobil und daher navigationsbedürftig. Vielleicht wird das Leben nur noch zu bewältigen sein mit noch ein paar technischen Gadgets mehr. Solche Ideen liegen nahe nach einem langen Tag am Computer. Ausgereift sind sie meist nur in der Theorie. Einiges davon, sich vage zwischen lustigem Scherzartikel und cleverem Hi-Tech-Gear bewegend, war in der Berliner Volksbühne zu sehen. 31 Medienschaffende beiden Geschlechts präsentierten am Dienstag ihre Konzepte, verpackt in werbeträchtige Flashanimationen.

Zum fünften Mal fand der Browserday statt, diesmal überraschenderweise gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, die auch den Wettbwerb „Jugend forscht“ betreut. Die Idee zu diesem Festival entstand 1998 während des Kampfs zwischen Microsofts Internet Explorer und dem „Navigator“ von Netscape. Der Explorer hatte fast das Monopol beim Surfen inne, als Netscape seinen Source-Code freigab, um dann von AOL/Time Warner geschluckt zu werden. Neue, unabhängige Navigationstools sollten her und niederländische Designer glaubten, für dieses edle Ziel schon mal einen Preis ausloben zu können.

Design als Selbstzweck

Die Website www.browserday.org allerdings bringt jeden real existierenden Browser an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Gleich sechs jener nervtötenden Pop-up-Fenster hopsen über den Monitor, um schließlich ein Gesamtbild zu ergeben, dessen Nutzen nicht erkennbar ist. Weder Einzelheiten des Festivalprogramms noch etwa gar Websiten der Wettbewerbesteilnehmer sind aufrufbar. Verantwortlich dafür zeichnet der Mitveranstalter „NL.Design“, der mit plakativen Sprüchen gerne „ästhetische Startegien“ propagiert. Näheres darüber ist in seinem Printbuch „Catalogue of Strategies“ nachzulesen, das so bestürzend neue Slogans liefert wie „The Message informs the media“ und „We want bandwidth!“

Wozu? Jeder der 31 zum Wettbewerb Geladenen durfte drei Minuten lang sein in langer Arbeit ausgedachtes Projekt vorstellen, dann wurde unbarmherzig abgeklingelt. Zum Dank wechselte Moderator Willem Velthoven von der umgetauften Berliner „Universität der Künste“ (ehemals HdK) locker flapsig eines oder zwei Sätzchen mit den Studenten. Was sollten sie schon sagen? Einer antwortete auf die Frage, was er denn sonst so mache mit „I love pixels“.

Nicht nur für den Publikumspreis war eine elegante Präsentation mit entscheidend. Um „mobile Kommunikation“ sollte es gehen, doch einige stolperten schon über ihre eigenen Kommunikationsprobleme und nuschelten verlegen ihren vorbereiteten Text herunter. Hinterher wusste man nicht viel mehr, als dass auch diese Vision vage war.

Wer mit einer fertigen Animationsvorstellung ankam, hatte fast schon gewonnen. Schließlich ging es doch um Design, und so sahen einige Projekte denn auch aus: Es gab viel Bildchen um nichts. Das Visuelle schien so viel entscheidender zu sein als jede konkret umsetzbare Idee, dass Moderator Velthoven sich gelegentlich an „Microsoft-Commercials“ erinnert fühlte.

Dein Freund und Roboter

Aber schließlich war der Browserday auch ein Wettbewerb, bei dem zu Anschauungszwecken rumpelnde Roboterwägelchen vor Iglus rollten oder auf der Bühne eine Tür herumstand. Nun heißt „to browse“ zwar „blättern“, die Projekte jedoch entwarfen fast ausschließlich Programme, die entweder Leute verbinden oder zur besseren urbanen Mobilität Informationen ausstreuen. Einen aufregenden neuen Webbrowser, der funktioniert, hat niemand entwickelt. Die technische Fantasie reichte bloß für einige Suchmaschinen mit einer noch tiefer verschachtelten Oberfläche wie etwa „Cryptaesthesia in Network Systems“ von Martin Grothmaak und Jürgen Späth.

Im Trend liegt außerdem die drahtlose Verbindung von Geräten an jeder Ecke und unter jedem Gully. Sie sollen die Umwelt „personalisien“. Türen mit aufgesetzten Flatscreens werden per SMS zum schwarzen Brett oder Zettelkästen wie beim Projekt „Con Door“ von Judith Bömer, Armbanduhren mit eingebauten MP3-Playern suchen sich die passende Musik von vorbeilaufenden Uhrenträgern wie die „C-Watch“ von Anne Katrin Konertz und Camilla Hager.

Wichtig fürs Wohlbefinden wird ein freundlicher „personal profiler“ für die Organisation und Navigation im Alltag und, noch wichtiger, für die zwischenmenschliche Kommunikation. Die soll entstehen, wenn man mit dem virtuellen Hund Gassi geht, der sich dann mit einem anderen Virtuellen über die gemeinsamen Hobbys der Hundehalter austauscht. So stellt sich Dennis Paul bei seinem Projekt „ME2“ die Partnersuche an der Straßenecke der Zukunft vor.

Ordnung in dieses schwierige Leben bringt dann vielleicht ein kleines, auf die persönlichen Gewohnheiten eingestelltes Tamagotchi, der „Friend“ des Niederländers Dirk van Oosterbosch. Der quäkt einen an, wenn man zu viel Kaffee getrunken hat. Oder ein Universalkeyboard in Handform für unterwegs, das die Befehle an die jeweiligen Geräte wie Handy oder Organizer weitergibt: „Fastmobilecomputing“ von Oliver Thuns und Matthias Schnell.

Das Zusammenkommen von Gleichgesinnten mittels diverser „Tools“ war das am häufigsten variierte Thema, und oft musste dafür die klassische Boy-meets-Girl-Story zur Präsentation herhalten. „The future of information is custom-made“, so simpel wie vollmundig sprach Tara Karpinski bei ihrer Vorstellung eines die Werbung retuschierenden „Information Filter Chip“ aus, was als These für die ganze Veranstaltung gelten kann. Nur geht es auch einfacher: Den Preis des Publikums gewann „SP-OL“ von der „Merz-Akademie“ Stuttgart mit „Imon Frame“. Das Werk besteht darin, ein Browserfenster auszudrucken, auszuschneiden und als mobilen, aber leider analogen Navigator mit sich zu führen.

Nachbars Website

Die Jury, zusammengesetzt aus Hochschulprofessoren, Medienschaffenden und -künstlern wie Olia Lialina prämierte dann doch lieber die Kommunikationsmaschine „www.datenamort.de“ von Aram Bartholl, Student an der Berliner Universität der Künste. Hausnachbarn könnten damit untereinander chatten, während den Passanten auf der Straße die jeweilige Website des Bewohners im Vorbeigehen aufs Palm- oder Handydisplay ploppt.

Spärlich besucht war die Party am Abend. In den Rängen des Theatersaals konnte man andächtig den Electronicacts lauschen, während die Visuals der Software „Nato“ von der hippen Agentur „Fork Unstable Media“ auf die Leinwand projiziert wurden. Mit dem VJ-Programm, das schon auf der ars electronica und dem Sonar-Festival in Barcelona vorgeführt wurde, kann man sich über Variablen seinen eigenen Mixer oder Sequenzer zusammenbasteln.

vdauerer@t-online.de