Ein Kutter, drei Tote und ein Drahtseil

Heute wird in Hamburg der Fall eines in der Ostsee gesunkenen Fischkutters neu verhandelt – es ertranken drei Seeleute. Zwei Mitarbeiter des NDR sehen einen möglichen Zusammenhang mit einem Marinemanöver

SASSNITZ taz ■ Wie sank die „Beluga“ wirklich? Dies fragen sich die Familien dreier ertrunkener Seeleute, die Genossenschaft der Seefischer in Sassnitz auf der Insel Rügen und viele Menschen an der Ostsee.

4.000 Bürger unterschrieben für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, seitdem der Fischkutter in der Nacht zum 18. März 1999 auf mysteriöse Weise unterging. Bei ruhiger See war das moderne, in Finnland gebaute Stahlschiff auf der Fahrt von Rügen zur dänischen Insel Bornholm so urplötzlich mit dem Heck voran gesunken, dass der Besatzung keine Chance blieb. Nur mit dem, was sie gerade auf dem Leibe trugen, und ohne Rettungsmittel wurden die Leichen der in der eiskalten Ostsee ertrunkenen drei Seeleute im Laufe des Sommers vor zwei Jahren an verschiedenen Stellen des Binnenmeeres gefunden.

Zwei TV-Journalisten am Landesfunkhaus des Norddeutschen Rundfunks in Schwerin, Michael Schmidt und Lutz Riemann, werfen jetzt in einem neuen Buch zahlreiche Fragen zum Unglück auf. So wollen die beiden Journalisten wissen, ob den Fischern ihre einzige Überlebenschance, ein schnelles Aufgefundenwerden, möglicherweise durch Fahrerflucht auf See genommen wurde.

In dem kürzlich in der Berliner Edition Ost erschienenen Report „Der Untergang der Beluga“ beschreiben die Autoren das Szenario so: Der Kutter sei wahrscheinlich bei einem spontanen Ausweichmanöver unter die Stahltrosse eines kreuzenden Schleppverbandes (Schlepper, die vollbeladene Schiffe ohne eigenen Antrieb ziehen) geraten. Dabei verfing sich das Stahlseil am Fischladekran auf dem Heck der „Beluga“ und spannte sich. Das soll den Kutter binnen 30 Sekunden vollständig unter Wasser gedrückt haben.

Die Autoren stützen sich auf ein Gutachten von Professor Hermann W. Kurth aus dem hessischen Bischoffen. Kurth gilt als Experte ersten Ranges unter Deutschlands methodischen Analysten. Gestützt wird dessen These wiederum von Dr. Klaus Ibendorf, der bei der Aufklärung des Mordes an der minderjährigen Ulrike aus dem brandenburgischen Eberswalde kürzliche eine bedeutende Rolle spielte, einem Sachverständigen für Werkstofftechnik: „Nur ein Drahtseil kommt als Verursacher der Einkerbungen am ,Beluga‘-Kran in Frage“, so dessen Expertise.

„Die Verantwortlichen sollen den Vorfall endlich richtigstellen“, forderte Lutz Riemann kürzlich bei der Präsentation des Buches in Sassnitz. Nach Meinung der beiden Reporter kommt ein ziviler Frachtverband, aber auch ein Schleppzug der Marine für den Untergang der „Beluga“ in Frage. Diese transportieren große Seeziele für Schießübungen an Ort und Stelle. Indizien für diese These sind durchaus vorhanden: So fand bis zum Vorabend des Unglücks in der Pommerschen Bucht das Bündnismanöver „Jaguar“ statt. Bislang weist das Verteidigungsministerium in Berlin jeglichen Zusammenhang mit dem Unfall zurück. Doch dem ersten Spruch des Seeamtes Rostock von 1999, der dem Kapitän der „Beluga“ Schlamperei und seinem Schiff technische Mängel vorwarf, schenken die beiden NDR-Mitarbeiter Schmidt und Riemann keinen Glauben. Auf Widerspruch eines Beamten der See-Berufsgenossenschaft, dem das erste Urteil fehlerhaftes Verhalten im Amt bescheinigte, wird der Fall „Beluga“ am heutigen Montag vor dem Bundesoberseeamt in Hamburg neu verhandelt. Vor wenigen Tagen nahm die Staatsanwaltschaft Stralsund bereits eingestellte Ermittlungen wieder auf.

Ein Fischer aus Sassnitz dankte den Autoren für ihre Recherche. Sie hätten den Opfern „ihre Ehre zurückgegeben“.

DIETER W. BAUER