Die Einsamkeit diesseits des Rheins

Couscous-Grooves aus Kassel: Houssaine Kili sucht den Berber-Blues, Hamid Baroudi gibt sich dem Businessclass-Funk hin. Zwei Spielarten des Maghreb-Pop made in Germany. Als die beiden Musiker vergangene Woche in Berlin ihre Konzerte gaben, war die Besucherresonanz jedoch recht ernüchternd

„Sidi“ ist Hamid Baroudis poppiger Gegenentwurf zu Kilis Berber-Blues

von BJÖRN DÖRING

Es war wohl eher dem Zufall geschuldet, dass sich die beiden bekanntesten Vertreter der maghrebinischen Pop-Enklave Kassel in der vergangenen Woche, im Abstand von nur wenigen Tagen, in Berlin präsentierten. Die Resonanz auf das gemischte Doppel war allerdings ernüchternd: kaum einhundert Zuschauer pro Show, die in einer Mischung aus Mitleid, Solidargefühl und trotzigem Spaß so dicht wie möglich an die Bühne rückten. Dort konnten sie bei beiden Konzerten jeweils einen Bandleader erleben, der sich der Situation zunächst mit Tapferkeit und später auch mit musikalischer Überzeugungskraft zu erwehren versuchte.

Da bleibt den Musikern nur der neidvolle Blick gen Frankreich und Belgien, wo ihre algerischen Kollegen wie Rachid Taha, Khaled oder Idir längst Stars sind, deren Geltung weit über die Grenzen einer ethnischen Community hinaus bis in den Mainstream reicht. Sie profitieren dabei zwar von ihrem Rückhalt unter den maghrebinischen Migranten, aber auch von der Brückenfunktion der französischen Sprache, die in den nachkolonialen Staaten Nordafrikas eine Verbindung zwischen der okzidentalen und der orientalischen, zwischen der europäischen und der arabischen Kultur schafft.

Die beiden in Kassel lebenden Musiker Kili und Baroudi haben es da schwerer, ist doch der Maghreb für die meisten Deutschen noch immer ein kulturelles Niemandsland. Daran haben auch die beiden Musiker nur wenig ändern können, seit sie 1984 nach Deutschland kamen, um mit der Worldbeat-Kapelle Die Dissidenten an einer weltoffenen Pop-Fusion jenseits angloamerikanischer Muster zu arbeiten – ein Ziel, das beide bis heute, auf sehr unterschiedlichen Wegen, verfolgen.

Auf seinem zweiten Soloalbum „Mountain To Mohammed“ beruft sich der Bassist, Sänger und Gembri-Basslauten-Spieler Houssaine Kili explizit auf ein Popverständnis, das sich vor allem in den 70er-Jahren entwickelt hat. Kernstück dieser Platte ist seine Coverversion des Schmachtfetzens „Cowgirl In The Sand“ von Neil Young, das Kili ähnlich süßlich interpretiert, wie sein französischer Kollege Khaled es unlängst mit John Lennons „Imagine“ tat.

Mit diesem Zitat spielt Kili explizit auf seine Vergangenheit an, auf eine Jugend in Marokko, wo der 1955 in Rabat geborene Musiker mit seiner Southern Band in den 70ern Popsongs von Young, Hendrix, Stevie Wonder oder James Brown coverte, und damit ein Stück Westen in den Maghreb holte. Zeitgleich besucht er das Konservatorium in Agadir und spielt mit Tam Tam die Musik der Berber, deren Kultur noch vor der arabischen im Maghreb ansässig war.

Derart ausgerüstet, verkraftete Kili auch die Begegnung mit jenen Hippies aus Deutschland, die per Bus durch Nordafrika fuhren und sich Embryo nannten. 1984 folgte er den Musikern des Embryo-Ablegers Die Dissidenten nach Deutschland, um vier Jahre und drei Alben lang an einer Fusion zwischen europäischem Rock und arabischen Roots zu arbeiten. Dann hörte man elf Jahre lang fast nichts von ihm. Erst mit seinem Solodebüt „Safran“ trat Houssaine Kili 1999 aus dem Schatten der Dissidenten, und fand in einer spirituell motivierten Musik eine neue, alte Heimat.

Die metallenen Karkabat-Kastagnetten der marokkanischen Gnawas samt der von ihnen heraufbeschworenen, zirkulierenden Trance-Rhythmen gehören ebenso zu den zentralen Elementen von „Mountain To Mohammed“ wie die schweren Trommeln der Berber-Musik. Die Suche nach Transzendenz anstelle von irdischen Gütern ist zentrales Thema des Albums – vielleicht auch begründet in der materiell kaum befriedigenden Situation eines marokkanischen Musikers in Deutschland, dessen Tournee- und Veröffentlichungsradius mangels Unterstützung durch einen Plattenkonzern beschränkt bleibt.

Ganz anders ist das beim smarten Weltenbürger Hamid Baroudi und dessen neuem Album „Sidi“. Auch Baroudi war von 1984 bis 1990 Mitglied der Dissidenten, hat danach aber den Absprung zu einer globalen Karriere geschafft. In Algerien ist er Popstar und einer der größten Förderer junger Talente, in England genießt er die Nestwärme eines Peter Gabriel, von dem er regelmäßig zum Womad-Festival oder in die heiligen Hallen des Realworld-Studios von Bath eingeladen wird. In Japan tüftelt Baroudi mit DJ Krush und Sakuma an Remixen und entwickelt darüber zumindest auf seinen Platten ein so modernes und elegantes Soundbild, dass er in Frankreich auch noch auf der Rai-Welle mitsurfen kann.

Baroudis Musik hat nichts von der bluesigen Schwere des Houssaine Kili, schon bei den maghrebinischen Elementen greift er lieber auf den populären Stilbastard der Chaabi-Musik zurück. Während Kili die langsame, epische und wenig tagesaktuelle Erzählform eines Schriftstellers wählt, bedient sich Hamid Baroudi einer schnelleren, journalistischeren Sprache. Dort wo Kili die Beschäftigung mit seiner Vergangenheit sucht, definiert sich Baroudi als politisch-gesellschaftlicher Korrespondent.

Mit „Sidi“ hat Hamid Baroudi den poppigen Gegenentwurf zu Kilis Berber-Blues aufgenommen und sich dem Mainstream-Pop auf Rufweite angenähert. Der Preis für diese Gefälligkeit ist so etwas wie die schlaffe Funknummer „Ca Bouge“, die zusammen mit dem arabesk-verkitschten Liebeslied „Helena“ deutlich unter das sonstige Niveau abrutscht, das „Sidi“ als Album vorgibt – ein Eingeständnis an den französischen Markt.

Dort werden solche poppigen Anleihen im Sound allerdings von einem sehr viel breiteren Publikum als Einladung angenommen, sich mit Spielarten des Pop zu beschäftigen, deren Wurzeln nicht in Liverpool, Hamburg oder Chicago, sondern in Agadir, Oran oder Marrakesch liegen, als das diesseits des Rheins der Fall ist.

Platten: Houssaine Kili: „Mountain To Mohammed“ (Tropical Music), Hamid Baroudi: „Sidi“ (Vielklang)