„Übertriebener Aktionismus“

Die gegenwärtigen Gesetze in der Bundesrepublik genügen, meint Hans Küng. Einen absoluten Schutz gegen Terroranschläge könne es nicht geben

Fundamentalistische Tendenzen sind in den Weltreligionen eben oft die lautstarken

Interview PHILIPP GESSLER

taz: Herr Küng, George W. Bush redet von einem „Kreuzzug“, viele Mullahs von einem „heiligen Krieg“: Wird es einen Religionskrieg geben?

Hans Küng: Von einem Religionskrieg wird man da überhaupt nicht reden dürfen. Das ist in erster Linie eine politische und keine religiöse Auseinandersetzung. Der US-Präsident ist offenkundig naiv: Wenn man die Muslime reizen will, dann mit dem Wort „Kreuzzug“. Und wenn Bush schon eine Allianz aller Nationen gegen den Terrorismus will, dann muss er in erster Linie die arabischen Nationen gewinnen wollen. Da sind solche Worte nicht die richtige Methode.

Wenn es also kein Religionskrieg ist und auch keiner sein soll – trifft dann eher die Aussage von Huntington über einen „clash of civilisations“?

Gerade das ist es nicht. Denn erstens sind keinerlei Angriffe auf christliche Symbolstätten erfolgt, sondern auf Symbolstätten des US-Imperiums: auf das wirtschaftliche und militärische Nervenzentrum der USA. Zweitens kann man nicht von einem generellen Zusammenprall zwischen dem Islam und dem Westen reden – nach dem, was Huntington an der Landkarte vorgestellt hat mit einem grünen Gürtel, der von Marokko bis nach Indonesien reicht. Es ist, positiv gesagt, vielmehr die mörderische Attacke einer extremistischen Gruppe von Muslimen, die vor allem politische Ziele verfolgt, aber stark religiös motiviert ist.

Gerade nach den Anschlägen hat man den Eindruck, dass Religion eher Krieg auf die Welt zu bringen scheint als Frieden.

Religion kann wie die Musik und wie das Recht gut und schlecht benutzt werden. Religion lässt sich wie Musik leicht instrumentalisieren. Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, etwa Südafrika. Dort ist es mit Hilfe gerade führender religiöser Persönlichkeiten gelungen, den von allen vorausgesagten blutigen Zusammenprall zwischen Schwarzen und Weißen zu vermeiden. Im Hinblick auf Afghanistan sollte man sich daher von diesem Beispiel inspirieren lassen, nicht einfach Terror mit Terror zu vergelten, sondern die Anliegen dieser Leute zu verstehen, allerdings die Verbrecher zu verfolgen und vor Gericht zu stellen.

Wie müsste jetzt eine Reaktion des Westens auf die Anschläge in den USA aussehen?

Eine angemessene Reaktion des Westens wäre zweifellos die Suche und die Bestrafung der Schuldigen. Die USA müssen sich dann aber auch konsequenterweise für die Einrichtung eines Weltstrafgerichtshofes einsetzen, den sie mit Israel als fast einzige westliche Nation sabotiert haben. Außerdem darf es keine blinden Racheaktionen geben. Man hat schon festgestellt, dass die Raketen, die auf den Sudan und schon früher auf Afghanistan abgefeuert wurden, zunächst einmal im Sudan falsche Ziele getroffen haben und in Afghanistan auch keine Lösung gebracht haben. Grundsätzlich notwendig wäre eine Neubesinnung in der Weltpolitik, gerade im Westen. Statt jetzt an der Spirale der Gewalt zu drehen, sollte man sich um Deeskalation bemühen.

Man hat aber den Eindruck, dass die Friedfertigen aller Religionen kaum Gehör finden.

Es ist immer so: Wenn so wie jetzt eine derart ungeheuerliche Explosion stattgefunden hat wie in New York und Washington, ist erst einmal der ganze Staub und alles das, was da aufgewühlt wird an Leidenschaften, das einzige, was die Menschen zu sehen vermögen. Aber ich bin fest überzeugt, dass man, wenn sich dieser Staub etwas gelegt hat, kühler überlegen wird. Es ist immerhin auffällig, dass die Regierenden in Washington die großen Töne ein klein wenig zurückgenommen haben. Man hatte ja erwartet, dass gleich drauf losgeschlagen würde. Man kann nur hoffen, dass diese Tendenzen die Oberhand gewinnen. Allein schon die Erfahrung der Sowjetunion in Afghanistan müssten einen Mann wie dem US-Außenminister Colin Powell, einem General, davon abhalten, sich auf wilde Abenteuer einzulassen.

Noch mal zurück zur Religion: In allen Buchreligionen (im Christentum, Judentum und im Islam) scheint derzeit der Fundamentalismus zu wachsen. Was kann man dagegen tun?

Es gibt in allen Religionen widerstreitende Tendenzen. Die fundamentalistischen sind eben sehr oft die lautstarken. Aufgrund der religiösen Motivation lassen sich sehr viele Leute mobilisieren. Wir müssen gleichzeitig aber sehen, dass sich beispielsweise die UNO mit dem Projekt „Weltethos“ beschäftigen wird – nicht zuletzt durch die Anstrengungen religiöser Führer. Es war der iranische Staatspräsident Chatami, der das Jahr des Dialogs der Zivilisationen angekündigt hatte. Das hat bisher wenig Beachtung gefunden. Zwei Tage wird die UNO Anfang Dezember darüber diskutieren und eine Resolution verabschieden. Ich bin sicher, dass die gegenwärtige Terrorwelle eine Reflexion auf die friedenstiftende Funktion der Religion nach sich ziehen wird.

Es gibt Tendenzen, den Islam zu verteufeln. Glauben Sie, dass diese Stimmen die Oberhand gewinnen werden?

Genügend Menschen merken doch, dass wir in dieser Gefahr sind. Ich finde auch, dass der heftige Aktionismus in der Bundesrepublik, angesteckt von Washington, weit überzogen ist. Aber es ist auch ein Zeichen, dass Präsident Bush in ein islamisches Zentrum gegangen ist, um seinen Landsleuten deutlich zu machen, dass es nicht gegen die Muslime an sich geht. Ich hoffe, dass auch in Deutschland die Tendenzen siegen werden, die zeigen, dass 99 Prozent aller Muslime ganz und gar friedliche Menschen sind.

Es gibt keinen Zusammenprall zwischen dem Islam und dem Westen

Die Kirchen scheinen derzeit von der Krise zu profitieren: Sie sind voll. Was sollte ihre Botschaft sein?

Sie müssten all das sagen, was ich gesagt habe (lacht). Eine Friedensbotschaft! Man kann verstehen, dass diese Bilder, die einem bei jeder Wiederholung immer wieder einen unglaublichen Schrecken einjagen, eher die Menschen zur Besinnung gebracht haben als die relativ unbedeutenden Kämpfe fern der Medien im Kosovo, wo Panzer in Hügel reingeschossen haben.

Sie haben von der Hektik der Politik in Deutschland gesprochen. Sehen Sie die Gefahr, dass man auch in der Innenpolitik von einer Politik der Toleranz abkommen könnte?

Wenn wieder etwas Besinnung eingekehrt ist, wird man viel von dem, wovon man derzeit redet, ein wenig mit Zurückhaltung betrachten. Es ist jedenfalls aufschlussreich, dass sogar der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei sagt, im Grunde sei bezüglich der mutmaßlichen Terroristen in Deutschland gar nichts versäumt worden. Die konnte man überhaupt nicht entdecken, weil sie sich nichts zuschulden kommen ließen und ganz unauffällig waren. Man kann mit den gegenwärtigen Gesetzen durchkommen und muss unter Umständen nur beim Datenschutz der Polizei Möglichkeiten geben, gewissen Spuren nachzugehen. Aber jetzt so zu tun, als müsste man völlig neue Methoden einführen in den Flughäfen oder gar in den Flugzeugen selber . . . Ich kann das alles nur als übertriebenen Aktionismus bezeichnen. Einen absoluten Schutz gibt es nicht.

Herr Küng, glauben Sie, dass Beten für den Frieden hilft?

Ich glaube, dass Beten immer dann hilft, wenn auch die Menschen das Ihre dazu tun. Es heißt ja: „Es geschehe dein Wille wie im Himmel so auf Erden.“ Beten kann nicht das ersetzen, was die Menschen selber tun müssen.