„Bush hat jetzt jede Menge Ärger“

Die Musical-Darsteller Ian, Aljoscha, Julia und Noredin verstehen die Erwachsenen nicht: Ein Vergeltungsschlag würde viele unschuldige Menschen töten

„Was soll George Dabbelju Bush dajetzt machen?“

Interview PETRA WELZEL

taz: Ian, du trägst ein Sweatshirt mit den Twin Towers des World Trade Centers in New York. Seit wann hast du das denn?

Ian: Das habe ich schon ein paar Jahre. Ich habe es mir mal aus New York mitgebracht. Jetzt ist mir wieder eingefallen, dass ich das in einer Schublade liegen hatte. Irgendwie ist mir das wichtig, mich an das World Trade Center zu erinnern. Ich kann mir noch gar nicht richtig vorstellen, dass die Türme nicht mehr stehen.

Was habt ihr denn gedacht, als ihr diese Bilder aus New York und Washington gesehen habt?

Noredin: Als die Leute davon geredet haben, habe ich mich gefragt, von was die reden. Dann habe ich eine Betreuerin von uns gefragt, worum es denn geht, und die hat es mir erklärt. Und dann habe ich gedacht, warum passiert das gerade in Amerika und nicht irgendwo anders. Und ich habe auch nicht gleich verstanden, warum die in die Flugzeuge mit Taschenmessern und Tapeziermessern hineingekommen sind.

Julia: Ich kam von den Proben. Meine Mutter machte die Tür auf und sagte ganz aufgeregt: „Julia, die Welt steht Kopf! Das World Trade Center gibt es nicht mehr.“ Ich dachte nur, ganz ruhig bleiben, und bin dann gleich vor den Fernseher gegangen. Und dann dachte ich nur noch, booh, Hammer. Ich habe dann meine beste Freundin angerufen, aber wir haben erst gar nicht realisiert, wie schlimm das ist. Man dachte ja eben, dass es ein Unfall ist. Und das Irre ist ja, dass das kein Angriff mit Waffen war. Die haben sich einfach Flugzeuge genommen und sind damit ins World Trade Center gestürzt. Dagegen kann man sich überhaupt nicht schützen. Das kann uns jederzeit auch passieren, ohne dass wir uns wehren können. Das ist total erschreckend. Und dann diese Entschuldigungen von wegen der Religion. Das sind keine Entschuldigungen.

Aljoscha: Das war erst wie ein Traum. Ich konnte überhaupt nicht begreifen, dass so etwas möglich ist, bei der Sicherheit an Flughäfen und so. Und ich fand es erschreckend, wie gut das alles organisiert war, wie viel Planung dahinter steckt und dass diese Selbstmordattentäter nicht einfach dumm waren. Die müssen richtig verzweifelt gewesen sein, um so eine Tat zu begehen. Ich finde es auch gar nicht gut, dass jetzt alle sagen, die haben das wegen der Religion getan. Wir haben mehrere Araber in unserer Klasse, und die haben gesagt, dass es gar nicht im Koran steht, dass man in den Himmel kommt, wenn man viele Menschen mit sich in den Tod reißt.

Ian: Ich bin Halb-Amerikaner, und für mich war das sehr schlimm. Glücklicherweise habe ich keine Familie in New York oder Washington, die sind alle in Kalifornien. Aber es ist ein Unrecht, und das muss bestraft werden.

In „Emil und die Detektive“ erklären sich Emils Kusine Pony Hütchen und eine Bande von Jungs solidarisch, um gegen den Fahrgast aus dem Zug, der Emil bestohlen hat, vorzugehen. Nun wurden letzte Woche diese Terroranschläge auf die USA verübt, und viele Länder haben sich mit Amerika solidarisch erklärt, um auf den bisher einzigen vermeintlichen Verantwortlichen, Ussama Bin Laden, Jagd zu machen. Ist das für euch eine vergleichbare Form von Solidarität, die da eingefordert wird?

Ian: Ich glaube, das ist sehr gut, dass sich daran so viele Länder beteiligen, dass so einer bestraft wird. Aber ich glaube, es ist nicht gut, dass jetzt alle Zeitungen sagen, dass das Ussama Bin Laden war. Vielleicht war er es ja auch nicht. Man kann das ja jetzt noch nicht genau wissen. Ich habe das auch im Fernsehen gesehen, dass die alle sagen, dass es Bin Laden war. Ich finde das sehr schlimm, so etwas einfach zu sagen.

Aljoscha: Dass so viele Länder Amerika unterstützen, finde ich sehr gut. Denn wenn alle in so einer Situation zusammenhalten, in Ruhe überlegen und Beweise sammeln, bis es wirklich hundertprozentig feststeht und der Schuldige gefunden ist, sollte man jetzt nicht unüberlegt angreifen und dabei vielleicht sehr viele unschuldige Menschen töten.

Julia: So, wie ich das bisher mitbekommen habe, steht das ja so gut wie fest, dass dieser Ussama Bin Laden dahinter steckt. Dass die den jetzt jagen wollen, ist völlig in Ordnung. Die können ja nicht sagen, da war nichts. Aber das Problem dabei ist, dass nicht Bin Laden als Erster darunter leiden wird, wenn die ihre Vergeltungsschläge ausüben, sondern die Kinder des Landes, die ganzen Menschen, die keine Schuld tragen. Und das ist das Schlimme. Man weiß jetzt gar nicht, was man tun soll. Ich bin dagegen, dass Afghanistan von den USA bekriegt wird, weil eben nur die Menschen leiden werden. Bin Laden ist doch so gut geschützt, den werden sie noch lange jagen.

Noredin: Es ist zwar gut, dass sich die Länder gegenseitig helfen, aber ich finde es nicht gut, dass die jetzt zurückangreifen wollen, weil dann viele sterben werden. Und dann wird auch der Bin Laden seine Truppen aufstellen, und es werden noch mehr sterben. Krieg ist nicht schön.

Habt ihr euch in den vergangenen Tagen selbst schon mal Gedanken darüber gemacht, wie man die Verantwortlichen dieser Attentate eigentlich zur Verantwortung ziehen kann, ohne militärisch zurückzuschlagen?

Ian: Ich habe schon oft darüber nachgedacht und kann nur hoffen, Bush behält einen kühlen Kopf. Man kann ja mit diesen Leuten nicht reden. Man sieht ja, die würden lieber sterben, als mit den Amerikanern zu reden. Ich denke, man kann da jetzt auf jeden Fall nicht allein handeln.

Aljoscha: Ich glaube, jeder denkt über eine Lösung nach. Aber gegen solche Angriffe kann man erst mal nichts tun, außer die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen zu verstärken. Außerdem unterstützt ja dieser Ussama Bin Laden Afghanistan mit Geld und Essen, weil die da alle Hunger leiden, und deshalb stehen auch so viele Menschen hinter ihm.

Ich denke, Amerika könnte dem Volk jetzt Essenspakete bringen und sagen: Wir unterstützen euch, aber jetzt lasst euch nicht mehr von Ussama Bin Laden helfen. Und Ussama Bin Laden, wenn er der Schuldige ist, müsste man kriegen und zur Rechenschaft ziehen.

Noredin: Ich wünsche mir auch, dass der Bush jetzt nicht mit allen seinen Waffen kämpft. Das macht nur noch alles schlimmer. Und dann sterben noch viel mehr Kinder.

Julia: Wenn sie nur die Drahtzieher ausfindig machen und zur Strecke bringen, dann sind zum Beispiel die Kinder in Palästina die Nächsten, die einen Anschlag verüben. Denen wird von klein auf erzählt, Amerika ist schuld, dass wir arm sind. Oder Israel ist schuld. Die haben das dann so drin im Kopf, dass die alles für Allah oder ihren Führer tun würden. Und was soll George Dabbelju Bush da jetzt machen? Er ist ja noch ziemlich neu im Amt und muss jetzt zeigen, was er drauf hat. Er muss seinem Volk gerecht werden. Soweit ich weiß, sind die meisten Amerikaner dafür, dass er zurückschlägt. Wenn er das macht, dann gibt es Krieg. Tut er es nicht, dann ist er raus aus seinem Amt. Das ist wirklich kompliziert, der hat jetzt eine Menge Ärger am Hals.

„Die Attentäter müssen verzweifelt gewesen sein“

Ganz abgesehen davon, ist Amerika nicht ganz unschuldig daran, dass sich in bestimmten Ländern so viele gegen die Amerikaner richten. Was haben die schon an Toten auf dem Gewissen in der Welt. In Vietnam zum Beispiel. Oder im Irak. Da regt sich hier keiner drüber auf. Die Unterschiede in der Welt werden immer größer, die zwischen Arm und Reich. Das ist doch voll krass, dass die hier ihre Katzen mit Hühnerpastete vollstopfen, und in Afrika verhungern täglich hunderte Kinder. Und diese Schere klafft immer weiter auseinander. Dabei könnten wir einfach abgeben, weil wir sowieso von allem zu viel haben.

Wünscht ihr euch manchmal, Kinder hätten mehr Einfluss auf die Politik, dass die Politiker mehr auf euch hören würden?

Ian: Nein. Ich glaube, die Verantwortung ist viel zu groß. Ich möchte jetzt gerade keine Entscheidung treffen müssen. Dafür muss man viel mehr Überblick haben.

Noredin: Ich verstehe da auch noch viel zu wenig davon.

Julia: Ich fände es schon gut, wenn die Politiker auch auf das hören würden, was Kinder jetzt denken. Dass sie eben keinen Krieg wollen.

Aljoscha: Das wäre gut.

Ist es nicht auch ein Kindertraum, mal einen Erwachsenen zur Strecke zu bringen, wie in „Emil und die Detektive“?

Ian: Nee, eigentlich nicht. Also einen zur Strecke zu bringen, das ist ein bisschen hart. Aber einen für sein Unrecht, das er begangen hat, zu bestrafen, das ist richtig. Ansonsten denke ich, dass wir alle in Harmonie miteinander leben sollten.

Aljoscha: Also, ich finde schon. Aber eigentlich darf es gar nicht dazu kommen, dass so ein Unrecht geschieht, dass es Leute gibt, die ein Kind berauben. Alles fängt klein an. Und aus so einer kleinen Sache kann was Großes werden.

Julia: Ich würde mich freuen, einen Menschen, der so etwas getan hat, hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Noredin: Der hat seine Strafe wirklich verdient, wenn er so etwas getan hat.

Was findet ihr eigentlich an einer Rolle in „Emil und die Detektive“ so spannend?

Ian: Das ist eine super Kindergeschichte. Über ein Kind, das von einem Erwachsenen bestohlen wird und von einer Berliner Kinderbande Hilfe bekommt. Und das ist einfach ganz witzig, wie die zusammenarbeiten.

„Ich frage mich, warum passiert das gerade in Amerika“

Aljoscha: Ich finde es vor allem gut, wie die Kinder in der Geschichte zusammenhalten und das Böse, also Herrn Grundeis, besiegen.

Julia: Die Geschichte kenne ich schon lange, weil ich noch ein ganz altes Buch von meinem Papa habe. Nach dem Casting habe ich das Buch dann gleich noch mal gelesen. Ich finde an der Geschichte so toll, dass die Berliner Gören so spritzig sind, super halt.

Morgen sollte ganz groß der Weltkindertag gefeiert werden. Der wird jetzt wegen der Ereignisse abgesagt. Hätte man da wenigstens nicht auch mal euch fragen können?

Noredin: Das finde ich total blöd, dass der nicht stattfindet. Was können denn die Kinder dafür?

Aljoscha: Das finde ich auch: Fußball wird gespielt, Formel 1 wird gefahren, aber den Weltkindertag sagen sie ab. Dabei sollte man ihn gerade jetzt feiern, um den Kindern auf der ganzen Welt Hoffnung zu geben, vor allem denen, die hungern müssen.

Julia: Das ist echt unmöglich. Keine große Party wird abgesagt, nicht einmal das Oktoberfest in München mit seinen tierischen Saufgelagen.

Das ist doch völlig krass, das ist doch jetzt wirklich total unangebracht, wo sie in New York unter den Trümmern des World Trade Centers noch Leichenteile ausgraben.