Gegenwärtig unverständlich

Eklat beim Musikfest: Stockhausen-Konzerte nach umstrittenen Äußerungen abgesagt  ■ Von Alexander Diehl

Als die Veranstalter am Sonntagabend zum Pressegespräch mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen luden, Stargast des diesjährigen Musikfestes, ahnten sie wohl kaum die Konsequenzen der Routine-Veranstaltung. Aber es blieb eben nicht bei erwartungsgemäß Unverbindlichem zu Programm oder immensem technischen Aufwand – die Musikhalle ist kein optimaler Aufführungsort für die Raummusik-Entwürfe des 73-Jährigen – der für gestern und heute Abend vorgesehenen Stockhausen-Konzerte.

Vergleichsweise am Rande trugen sich die folgenschweren, „unbedarften, geschmacklosen und maßlos überzogenen“ (Hamburger Abendblatt) Aussagen Stockhausens zu, als er nach einer Einschätzung der Vorgänge in New York am vergangenen Dienstag gefragt wurde: „Was da geschehen ist, ist – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat.“

Da half es nichts, noch im selben Atemzug zu relativieren oder auf Nachfrage Unterschiede zwischen Kunstwerk und Verbrechen benennen zu können. Da war der Unmensch, oder in abgemildert-wohlmeinender Form: der zu pathologisierende weltfremde Spinner Stockhausen, längst ausgemacht als untragbare Belastung – wohlgemerkt „für die politische Kultur der Stadt und der Bundesrepublik“, so Kultursenatorin Christina Weiss gestern Mittag.

Die mehrfach widerrufenen Zeilen sollten rasch zur „unvermeidlichen“ Absage aller vier Stockhausen-Konzerte führen. In größtem zur Schau stellbaren „Einvernehmen“ – auch mit dem bereits wieder abgereisten Künstler –, so verkündeten es gestern die Kultursenatorin, Musikfest-Geschäftsführer Benedikt Stampa sowie Michael Goering von der finanziell unterstützenden ZEIT-Stiftung, ist also gewissermaßen das Herz des diesjährigen Musikfestprogramms ersatzlos gestrichen; ob der Festbetrieb tatsächlich wie geplant am Donnerstag ohne zumindest atmosphärische Beeinträchtigungen weitergeht, sei einmal dahin gestellt.

Es gehe dabei nicht um einen Bruch mit der Person Stockhausens, auch seien nicht seine Werke gemeint: „Die künstlerische Bedeutung ist unbestritten“, betonte Weiss. „Es mag sein, dass ein Kenner die Bedeutung der Sätze anders einschätzt. In der gegenwärtigen Situation versteht sie die Öffentlichkeit nicht.“ Der Komponist ließ eine Stellungnahme verlesen: „Wenn sich irgendjemand verletzt fühlt durch meine Äußerungen, dann bitte ich um Verzeihung, denn ich habe nie gefühlt oder gedacht, was in meine Worte hineingelegt worden ist.“

Dass man den „galaktischen Spintisierer“ (Welt) Stockhausen, der auch von seinen täglichen Gebeten zum Erzengel Michael und dessen realer Existenz – wie auch derjenigen Luzifers – gesprochen hatte, möglicherweise vor der unbedachten Weitergabe seiner noch viel unbedachteren Äußerungen schützen müsse, diesen Eindruck dürften schon die Teilnehmer des sonntäglichen Presse-Stelldicheins gewonnen haben. Und dass seine Sentenzen sich auf ästhetische Dimensionen des New Yorker Attentats bezogen haben, ganz im Sinne einer unumstritten unmoralischen, dabei durchaus wirkungsvollen Erhabenheit des Schrecklichen: Das einschätzen zu können, hätte man doch insbesondere den nicht erstmals mit solchen Fragen betrauten Feuilletonisten zugetraut.

Vor dem Hintergrund eines seit einer Woche, gelinde gesagt, hysterisierten politischen Tagesgeschehens verkürzte Aussagen zu verbreiten, um dann zuzusehen, wie das Musikfest, sein künstlerischer Kopf Ingo Metzmacher oder gar die zuständige Senatorin davon in Mitleidenschaft gezogen werden, das zeugt – selbstverständlich bildlich gesprochen – durchaus auch von der Faszination der eigenen Destruktivität.