Er fühlte sich nur verwaltet

Ingenieur B. war in der Arbeitslosenbewegung aktiv, schrieb Texte im Internet – wegen Totschlags am Arbeitsamtsdirektor Klaus Herzberg muss er jetzt für zwölf Jahre ins Gefängnis. Der Sohn des Opfers versteht die Suche nach den Tatmotiven nicht

aus Verden SABINE GIEFFERS

Zwölf Jahre Gefängnis wegen Totschlags, so lautet das gestern gesprochene Urteil der siebten Strafkammer des Landgerichts Verden über Werner B. Der seit neun Jahren arbeitslose Ingenieur hatte am 6. Februar dieses Jahres den Direktor des Verdener Arbeitsamts, Klaus Herzberg, getötet – vor dessen Haus mit 28 Stichen in den Kopf.

Angeklagt war B. wegen Mordes. Er habe beschlossen, Klaus Herzberg „als Symbol für das Arbeitsamt und die gesamte Gesellschaft zu töten, um damit ein Signal zu setzen“. So hatte es der Staatsanwalt Gunther Bredereck zu Prozessbeginn formuliert. Gestern forderte der Anklagevertreter eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren – B. habe die Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst ausgenutzt. Doch das Gericht schloss Heimtücke aus.

Nach dem Abbruch einer Weiterbildung – er fühle sich nur „geparkt, verwaltet“ – war dem 46-jährigen Angeklagten die Arbeitslosenhilfe gestrichen worden. Statt mit mehr als 2.000 Mark hätte er mit nur 540 Mark Sozialhilfe auskommen müssen – und das, wo gerade seine Tochter geboren war. Die Beziehung, für die Werner B. nach Thedinghausen bei Bremen gezogen war, war da längst kaputt, aber er habe sich finanziell verantwortlich gefühlt. An jenem Morgen habe er den Arbeitsamtsdirektor gebeten, die Sperre zurückzunehmen. Als Herzberg ablehnte – er habe B. zurückgestoßen –, stach Werner B. zu.

An drei Verhandlungstagen hatte das Gericht versucht, sich ein Bild von dem Angeklagten zu machen. Werner B. war in der deutschen und französischen Erwerbslosenbewegung engagiert, im Internet veröffentlichte er Texte. Nach dem Anschlag eines Sozialhilfeempfängers auf eine Mitarbeiterin des Hamburger Sozialamts hatte B. einen Text „von der seelischen Ökonomie des Tötens“ angekündigt.

Vor Gericht schilderten Bekannte aus der Erwerbslosenbewegung, aber auch Beschäftigte des Arbeitsamts, wie sie B. erlebt hatten: als stets höflichen Menschen, der offenbar in den letzten Monaten vor der Tat zunehmend unter Druck geraten sei.

Werner B., der einen Intelligenzquotienten von 143 aufweise, habe „keine Beziehungen konstanter Natur oder unkomplizierterer Art“, befand der psychiatrische Gutachter Dr. Gunther Kruse und sah die Ursachen dafür in B.s Kindheit, im Internatsleben sowie in der Scheidung der Eltern. Im Laufe seiner Arbeitslosigkeit nahm Werner B. mehr und mehr persönlich – so hielt er beispielsweise das Verschlampen seiner Unterlagen im Arbeitsamt Hannover für Zermürbungstaktik und das plötzliche Wiederauffinden erst recht. Eine „narzisstische Persönlichkeit mit schizoid-paranoischen Akzentuierungen“, so der Gutachter. Er attestierte dem Angeklagten statt Lösungssuche ein Verharren in Opferhaltung. All das habe seinen „unglücklichen Höhepunkt“ in der Beziehung zu seiner Freundin gefunden, einer Frau, die B. dem Gutachter als „hysterisch, geizig, eifersüchtig“ beschrieb. Für den Gutachter hatte sich im Laufe der Gespräche mit Werner B. herausgestellt, dass die Beziehung zur ehemaligen Freundin „die Quelle des Geschehens, was Herrn Herzberg traf, erheblich mit war, dass sie die Zündung war“.

Weil es keine Tatzeugen gab und Werner B. den ganzen Prozess über bei seiner Erklärung blieb, er könne sich an die Tat selbst nicht erinnern, blieb auch dem Gutachter nur die Spekulation darüber, was da vor Klaus Herzbergs Haus passiert war. Ein „affektiver Stau“ habe sich entladen, möglicherweise ausgelöst durch Herzbergs Zurückweisen.

Tatwaffe war ein Dreikantschaber, ein 25 Zentimeter langes, spitz zulaufendes Werkzeug. Er habe ihn wie einen Talisman stets bei sich getragen, so B. zuvor. Gutachter Kruse sprach von einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ während der Tat, eine verminderte Schuldfähigkeit könne er nicht ausschließen. Dass Werner B. die Tat geplant habe, hielt Kruse „für eher unwahrscheinlich“. So plädierte B.s Verteidiger Michael Brennecke auf Totschlag.

Dass der Amtsdirektor den Angeklagten tatsächlich zurückgeschubst habe, hatten die Witwe und der erwachsene Sohn des Getöteten zuvor ausgeschlossen. „Mein Mann hätte ihn nie angefasst, er war sehr introvertiert“, hatte Ingeborg Herzberg zuvor dem Gericht erklärt. Gerald Herzberg, der als Nebenkläger auftrat, hatte am zweiten Verhandlungstag Spekulationen zwischen Pathologin und Gericht über einen möglichen Kampf seines Vater um sein Leben zuhören müssen – „mir hat die Polizei gesagt, mein Vater sei sofort tot gewesen“, so Herzberg. Er hat für die Intensität, mit der nach B.s Motiven geforscht wurde, nur Verachtung übrig. Für ihn ist B. einer, dem in seinem Leben noch nie etwas gelungen sei. Bis auf das Töten von Klaus Herzberg. Im Internet wird derweil zur „Solidarität mit Werner B.“ aufgerufen. Vor dem Gericht verteilt ein französischer Freund Flugblätter, darin heißt es: „Kriminell ist hier die soziale Logik.“