Zwei gute Gründe Angst zu haben

von JENS KÖNIG

Angst? Die Grünen? Vor Gysi? Vor der PDS? Oder vor der FDP? „Ich habe vor niemandem Angst“, sagt Rezzo Schlauch und lehnt sich ganz entspannt in seinem schwarzen Ledersessel zurück.

Vielleicht tut man fürs Erste gut daran, Schlauch diesen Satz abzukaufen. Der Fraktionschef der Grünen ist ein bulliger Typ, fast 1,90 Meter groß, kräftige Arme. Er könnte nicht nur im Bundestag, sondern auch beim Sumo-Ringen eine gute Figur abgeben.

Aber vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass Schlauch nur von sich spricht und nicht von seiner Partei. Ich habe vor niemandem Angst – heißt das, andere bei den Grünen fürchten sich schon? Schlauch lächelt und schweigt. Und dann lässt er, scheinbar nebenbei, einen Satz fallen, der beweisen soll, dass es für seine Partei keinen Grund gibt, sich zu ängstigen: „Haben Sie gesehen, wie Gysi und Westerwelle im Bundestag dem Kanzler ganz artig Pfötchen gegeben haben?“

Da sind sie plötzlich doch, die zwei Gründe, die den Grünen den Angstschweiß auf die Stirn treiben: Gysi und Westerwelle, PDS und FDP, heraufbeschworen in nur einem einzigen Satz. Was von Schlauch als kleine Demonstration grünen Selbstbewusstseins gedacht war, ist in Wahrheit das Eingeständnis, dass es für die Partei allen Grund zum Fürchten gibt. PDS und FDP wollen ihr an den Kragen. Sie wollen den Grünen nicht nur den dritten Platz im Parteienwettbewerb streitig machen, sondern ihnen das Letzte nehmen, was nach drei Jahren Regierungsbeteiligung noch geblieben ist: die Macht.

Deswegen sind Gysi und Westerwelle so artig zum Kanzler. Und deswegen spielt der Kanzler scheinbar ganz lässig mit diesen beiden Trümpfen. Er empfängt Westerwelle demonstrativ im Kanzleramt und schließt ein paar Tage später eine Koalition mit der FDP ebenso demonstrativ aus. Er lässt seine Genossen in Berlin ein Bündnis mit Gysis PDS schmieden, spricht den Sozialisten auf Bundesebene aber jegliche Koalitionsfähigkeit ab. Beides meint Schröder ernst; so ernst, wie er die Dinge zu nehmen pflegt. Wenn es 2002 doch anders kommen sollte, dann hat es ganz sicher nicht am guten Willen des Kanzlers gelegen, die Koalition mit den Grünen fortzusetzen.

Es ist wieder einmal Joschka Fischer, der grüne Übervater, der die Gefahr für seine Partei als Einziger offen ausspricht: „Die FDP will unseren Job und uns deshalb abräumen. Die PDS will auch unseren Job und uns deshalb abräumen.“ Für die Grünen werde das eine der härtesten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Partei.

Fischers Mission

Genau diese Situationen sind es jedoch, die Fischer liebt. Also hat sich der Außenminister entschlossen, in den 15 Monaten bis zur Bundestagswahl ein bisschen weniger Weltpolitik, dafür aber umso mehr deutsche Innenpolitik zu betreiben. Fischer, so ist aus einem Umfeld zu hören, will seine Partei als unumstrittener Spitzenmann in den Wahlkampf führen. Er ist getrieben von seiner eigenen Mission, nach 1998 zum zweiten Mal den Retter der Grünen zu geben. Damals, so sieht es Fischer, habe er die Partei mit einem wahren Marathon im eigenen Wahlkampfbus fast im Alleingang über die Fünfprozenthürde gebracht. Jetzt hat der erprobte Wahlkämpfer wieder Blut geleckt. „Die anderen wollen uns ans Leder, also müssen wir denen ans Leder gehen“, sagt Fischer, „die Ärmel aufkrempeln, die Handschuhe ausziehen und reingehen in die Bataille.“

Und was macht seine Partei? Die ist noch beim Warmmachen und beobachtet nervös die Gegner. In Berlin wirkt sie geradezu hilflos. Eingeklemmt zwischen SPD und PDS müssen die Grünen zusehen, wie die beiden Parteien an einer rot-roten Koalition basteln. Ihre Aufforderung, wer Rot-Rot verhindern wolle, müsse Grün wählen, ist ein verzweifelter Schrei nach ein bisschen Aufmerksamkeit. Wenn dieser Schrei gehört werden sollte, dann dürfen die Grünen im Bündnis mit den beiden großen strukturkonservativen Parteien den kleinen ökologischen Spielverderber geben. Mehr aber auch nicht.

Die Bundespartei ist mit ihrem Versuch, dem populären Gysi den weltoffenen, mediengewandten Cem Özdemir entgegenzustellen, am renitenten Berliner Landesverband gescheitert. Während die linke Parteichefin Claudia Roth die Berliner unterstützt und deren Spitzenkandidatin Sibyll Klotz auf offener Bühne demonstrativ umarmt, schauen viele andere in der Bundespartei, unter ihnen der Parteivorsitzende Fritz Kuhn, dem Treiben fassungslos zu. Offiziell steht die Bundesspitze zur „Berliner Lösung“. Kuhn bemüht sich auch, das Phänomen Gysi zu entzaubern. „Hinter Gysi ist nicht viel“, pflegt er zu sagen, und: „Gysi hat im Bundestag noch immer gegen den rot-grünen Sparkurs von Hans Eichel und Oswald Metzger gestimmt.“ Mehr fällt aber auch ihm nicht ein. Wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind, schimpfen sie in der Partei- und Fraktionsspitze über den Berliner Landesverband, über den „AL-Sumpf“ und die „grüne Kiezpartei“.

Und als ob das noch nicht genug wäre, droht mitten im Berliner Wahlkampf ein Kriegseinsatz der Bundeswehr in Makedonien, gebilligt von der grünen Bundestagsfraktion. „Für uns ist das der GAU“, sagt ein Mitglied des Bundesvorstands. Der Linke Christian Ströbele, der gegen einen Makedonien-Einsatz ist, befürchtet dadurch für die Grünen in Berlin Verluste. „Ein besseres Geschenk kann es für Gysi und die PDS gar nicht geben“, sagt er. Fraktionschef Schlauch keilt zurück: „Ströbele bastelt schon an einer Legende für die Niederlage in Berlin.“ Niederlage in Berlin – Schlauch sagt das ganz ungeniert und richtet dabei seinen Blick schon auf die Bundestagswahlen 2002: „Abgerechnet wird zum Schluss.“

Die Ärmel aufkrempeln, die Handschuhe ausziehen, rein in die Schlacht – von der grünen Kämpferpose, die Fischer fordert, ist auch gegenüber der FDP nicht viel zu sehen. Da ballt die Partei eher die Faust in der Tasche. Wütend sind die Grünen, aber nicht so sehr auf die Liberalen, sondern auf den Kanzler, der mit seinen Avancen gegenüber Westerwelle und Möllemann die FDP aufgewertet hat.

Aber Schröder öffentlich dafür anzählen? Dadurch hätte die Partei erst recht gezeigt, wie sehr ihre demonstrative Gelassenheit gegenüber der FDP gespielt ist. Die Grünen bekommen Schröder einfach nicht zu fassen. Er ist ihnen immer einen Schritt voraus. Als Rezzo Schlauch den Kanzler vorige Woche auf das rot-gelbe Techtelmechtel ansprach, winkte Schröder nur gelangweilt ab: Er habe gar kein Interesse an einer Koalition mit der FDP, wenn es mit den Grünen reichen sollte. Aber erst die Aussicht auf eine unruhige Sommerpause brachte Schröder am Wochenende dazu, diese Nachricht durch ein Interview in der Bild-Zeitung die Öffentlichkeit wissen zu lassen. „Wir wollen mit den Grünen weiterregieren“, sagte er.

Natürlich sind die Grünen über diese Klarstellung erleichtert. Aber sie wissen, dass sie im Zweifelsfall gar nichts bedeutet. Nicht nur Fraktionschef Rezzo Schlauch hat beobachtet, dass die FDP in der vergangenen Woche sowohl beim Makedonien-Einsatz als auch in der Gentechnik dem Kanzler weit entgegengekommen ist. „Rot-Gelb ist für Schröder mehr als eine Spielerei“, sagt Schlauch, „es ist eine Option.“

Trotzdem ist der grüne Fraktionschef davon überzeugt, dass die rot-grüne Koalition 2002 fortgesetzt wird. „Wenn SPD und Grüne eine Mehrheit haben, was soll dann an der FDP attraktiv sein?“, fragt Schlauch. „Wofür steht denn der Westerwelle? Für die Macht und sonst nichts.“ Wenn seine Partei alle fünf Sinne beisammenhabe, sei die FDP für sie keine Gefahr. Ob Joschka Fischer, Rezzo Schlauch, Fritz Kuhn oder Claudia Roth – für alle ist klar, dass es bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr darum geht, ob Schröder Bundeskanzler bleibt und er seinen Reformkurs der „Mitte“ fortsetzen kann. Die Spitze der Grünen ist davon überzeugt, dass dies für Schröder nur mit ihrer Partei möglich ist. „Wir müssen deutlich machen, dass unsere Partei der Eisbrecher für gesellschaftliche Reformen ist“, sagt Schlauch.

Klare Botschaften tun Not

Fischer hat seine Partei aufgefordert, mit fünf einfachen, plakativen Losungen in den Bundestagswahlkampf zu gehen: die Grünen als Partei der Energiewende, des Verbraucherschutzes, der Zuwanderung, der kinderfreundlichen Gesellschaft und als Europapartei. Dabei solle nicht so sehr die direkte Auseinandersetzung mit der FDP oder der PDS eine Rolle spielen. Fischer hat intern deutlich gemacht, dass die Grünen nicht nur grüne, sondern so viel wie möglich rot-grüne Wähler gewinnen müssten, also solche, die beim letzten Mal noch SPD gewählt haben. Das heißt im Klartext: wildern im Reservoir des Koalitionspartners. Diese Strategie ist empirisch gestützt. Einer Studie der Forschungsgruppe Wahlen zufolge sind 35 Prozent der potentiellen Grünen-Wähler SPD-Anhänger, 29 Prozent sind Nichtwähler und nur jeweils 3 Prozent Anhänger von FDP und PDS.

Irgendwie traut Rezzo Schlauch den vielen Die-FDP-ist-nicht-das-Problem-Beteuerungen jedoch nicht, nicht den eigenen und nicht denen von Fischer. „Wir dürfen die Liberalen nicht unterschätzen“, meint er. Und dann redet er über seine Partei, dass man den Eindruck hat, die Grünen hätten doch nicht alle fünf Sinne beisammen. Sie würden ihre eigenen Erfolge schlecht verkaufen, schimpft der Fraktionsvorsitzende, die Partei sei manchmal zu seriös und intellektuell zu redlich. Schlauch hält es kaum noch in seinem schwarzen Ledersessel. „Wir investieren 80 Prozent unserer Kraft in den Inhalt und nur 20 Prozent in unsere Vermarktung“, tobt er. „Die FDP macht inhaltlich gar nichts und investiert 100 Prozent in ihr Marketing.“ Der Fraktionschef guckt einen dabei so grimmig an, dass man ahnt, was er denkt: Die Grünen stehen mit ihrer Methode in den Umfragen derzeit bei 7 Prozent – und die FDP bei 10. Dann spricht Schlauch wieder: „Das macht mich wahnsinnig.“