Horoskope lügen doch

Eine Kurzgeschichte von ROBERT NAUMANN

8.00 Uhr Arbeitsbeginn von Robert Naumann. 8.00 Uhr. Pünktlich betrete ich den Flur zu meiner Arbeitsstätte. Sämtliche Kollegen sind dort versammelt, rauchen, trinken Kaffee.

Unser ältester Kollege, zirka 60 Jahre alt, ehemaliger Unterleutnant der NVA, der immer so scharf auf unsere jüngste Kollegin ist, aus Sachsen stammt und von allen Kolleginnen verlangt, dass sie Röcke tragen, kurze Röcke, dieser Kollege liest Horoskope aus der BZ vor.

Man bemerkt mich nicht. Es wird durcheinander gerufen: „Und Schütze?“, „Und Waage?“, „Und Steinbock?“ Unser ältester Kollege, von uns auch scherzhaft „Sexmachine“ genannt, fragt mit einem „Zunge über die Lippen fahren“-Grinsen sein Objekt der Begierde, unsere jüngste Kollegin, welches Sternzeichen sie sei. „Virgin“, antwortet sie schelmisch auf Englisch.

„Wördschn?“, fragt Sexmachine zurück und sucht die Horoskopseite nach diesem noch nie gehörten Sternzeichen ab. „Wördschn, was’n das?“ Nach einer langen Weile kombiniert Sexmachine richtig und liest vor: „Jungfrau, Liebe: Das erotische Glück, von dem Sie träumen, erleben Sie nur durch Zufall. Vielleicht mit einem Kollegen?“

Jetzt ist Sexmachine nicht mehr zu halten. Abwechselnd lacht er, guckt ungläubig, wischt sich die verschwitzten Hände an der Hose ab, sagt: „Na Mensch, haha, na hey, haha.“ Er kann sein Glück nicht fassen. Unsere jüngste Kollegin beginnt zu begreifen, was sich im Kopf von Sexmachine abspielt. Um die peinliche Situation zu retten, frage ich schnell: „Was steht denn bei Widder? Geld?“

„Widder, Geld: Es gann sein, dass Sie bald erben. Trodzdem: jedz noch nich damid galguliern!“

Ich beschließe, den Rat zu beherzigen. „Und du“, frage ich Sexmachine, „was steht denn bei dir?“

„Bei mir? Na, ma guggn. Löwe, Liebe: Heute erreichen Sie mit Erotik alles.“

Einige Kolleginnen beginnen sich zurückzuziehen. Ich versuche, mir Sexmachine im Minirock vorzustellen. „Na Mensch, jedz haun die alle ab, jedz gehds doch erschtemol rischdisch loos“, hechelt Sexmachine, „die Schneggn, die!“ Unsere jüngste Kollegin guckt ängstlich. Sexmachine sabbert und schwitzt, seine Zunge schnellt im Sekundentakt raus und rein, er atmet heftig. „Nu gomm nur ma her, Schnegge!“ Ich lese für mich: „Löwe, Gesundheit: dem Körper genau das geben, was er verlangt und vor allem dann, wenn er es verlangt. Das hält Sie sicher gesund.“

Ich warne meine Kollegin. Sie flieht, Sexmachine hinterher. Da kommt unsere Chefin. „Alle an ihren Arbeitsplatz!“, schreit sie. „Jawoll!“, sagt Sexmachine, der ehemalige NVA-Unterleutnant.

Sexmachine hatte wieder mal keinen Erfolg bei seinen „Schneggn“.

Sein Fleisch ist willig, der Geist ist schwach. Irgendwie tut er mir Leid.